Juri Schlünz wird heute 60 Jahre alt. Mit Axel Schulz und Hansa Rostock gewann er 1991 völlig überraschend die letzte DDR-Meisterschaft. Hier erinnern sie sich an viel Salat und wenig Cola – und an ein Pferd am Ostseestrand.
Dennoch: Der Erfolg gab den Methoden von Reinders schließlich recht. Zur Winterpause führte Hansa Rostock, in der DDR als„Fahrstuhlmannschaft“ gebrandmarkt, sensationell die Tabelle in der DDR-Oberliga an.
Axel Schulz: Nur schade, dass ich zur Winterpause bereits nicht mehr mitmachen konnte…
Warum?
Axel Schulz: Weil mir Juri im Training das Kreuzband zertreten hatte! (Lacht.)
Sie lachen?
Juri Schlünz: Kurz zuvor hatte Axel eine Invalidenversicherung abgeschlossen, also wollte ich ihn rechtzeitig vor dem Karriereende absichern (beide lachen). Kleiner Scherz. Eine unglückliche Grätsche, das passiert schon mal.
„Dieser Wessi war einer von uns!“
Sie, Juri Schlünz, sollen ja eh ein richtiger Heißsporn gewesen sein. Ihr damaliger Kollege Henri Fuchs verriet uns, dass Sie vor den Spielen gerne mit gefletschten Zähnen an die Kabinen des Gegners hämmerten und brüllten:„Kommt jetzt raus, ihr Feiglinge!“ Das kann man sich heute gar nicht vorstellen.
Juri Schlünz: Das war Uwes größte Waffe: Er hat uns mit seiner Leidenschaft und seinem Enthusiasmus angesteckt. Früher hätten wir beispielsweise eigentlich nie gegen Carl Zeiss Jena antreten müssen, die Punkte hätten wir ihnen auch per Post zuschicken können. Perry Bräutigam, ein ehemaliger Jenenser, sagte mir Jahre später: „Euch brauchte man in den ersten Minuten nur ein paar Mal tüchtig auf die Stöcker treten, dann war das Spiel schon gewonnen.“
Und das änderte sich unter Reinders?
Juri Schlünz: Auf jeden Fall. Ihm war es völlig egal, ob der Gegner nun Dynamo Dresden, BFC Dynamo oder Carl Zeiss Jena hieß. Er wollte einfach jedes Spiel gewinnen.
Wie motivierte er Sie in der Kabine vor den Spielen?
Axel Schulz: Auf ganz unterschiedliche Weise. Mal malte er uns das Horrorszenario an die Wand und erinnerte an die Existenzangst, die dieser letzten DDR-Oberligasaison anhaftete. Ein anderes Mal faltete er scheinbar grundlos einen Spieler zusammen. Uwe Reinders sorgte dafür, dass immer alle unter Spannung standen und niemand sich zufrieden zurücklehnte. Ein Beispiel: Einmal aß einer von uns einen Tag vor dem Spiel auf dem Flughafen ein Eis. Uwe Reinders machte ihn deswegen zur Minna. Wenn er ihn beim Rauchen erwischt hätte, wäre wohl nichts passiert.
Juri Schlünz: Häufig erzählte er uns auch Dinge, die er in seinem Alltag als westdeutscher Neuling in der DDR erlebt hatte. Im Neubaugebiet Rostocks gab es damals nur eine große Tankstelle, davor staute sich natürlich immer eine lange Schlange. Ein Mercedesfahrer versuchte sich allerdings vorzudrängeln. Uwe erzählte uns, wie er dem dreisten Kerl gedroht hatte: „Wenn du den Zapfhahn berühst, dann haue ich dir den Arm ab!“ Das fanden wir natürlich großartig. Dieser Wessi war einer von uns!
Axel Schulz: In dieser Saison passte einfach alles und wir erlebten eine unerwartet erfolgreiche Saison. Der frische Wind, der mit Uwe Reinders kam, beflügelte alle. Ich kann mich an ein Spiel gegen Vorwärts Frankfurt erinnern, als mir mein Gegenspieler mitten im Spiel sagte: „Mann, habt ihr das gut in Rostock! Bei uns läuft alles im alten Trott.“
„Paul, unser Strand hat noch nie ein Pferd gesehen!“
Hansa Rostock hatte in diesem Jahr sogar einen richtigen Paradiesvogel in den eigenen Reihen: Paul Caliguri, der erste US-Amerikaner im DDR-Fußball!
Axel Schulz: Für ihn war natürlich vieles neu und ungewohnt. Juri hat sich um ihn gekümmert, das hat ihm das Einleben erleichtert.
Juri Schlünz: Nach den ersten Wochen im Hotel, zog Paul in eine Neubauwohnung in den fünften Stock. Ich wohnte im Nachbarhaus. Ich zeigte ihm die Stadt und sorgte dafür, dass er sich schnell eingewöhnte.
Gab es keine Differenzen zwischen dem US-Boy und dem altgedienten DDR-Sportler?
Juri Schlünz: Eigentlich nicht. Bis auf eine Ausnahme: Ich zeigte ihm den Ostseestrand in Warnemünde und er war sichtlich begeistert. Mit seinem lustigen Akzent sagte er: „Wonderful! Das ist perfect zum Reiten! Juri, wo bekomme ich hier ein Pferd?“ Er wollte tatsächlich einen Gaul, um mit seiner Frau an der Ostsee entlang zu reiten. Ich war völlig von den Socken und antwortete: „Paul, unser Strand hat noch nie ein Pferd gesehen!“
Mit Caligiuri in der Stammformation wurden Sie am Ende dieser letzten DDR-Saison Meister und Pokalsieger. Wann war Ihnen klar, dass sie die Meisterschaft gewinnen würden?
Juri Schlünz: Eigentlich erst, als wir vier Spieltage vor Saisonende mit 3:1 gegen Dynamo Dresden gewannen und dadurch auch rechnerisch vorzeitig Meister waren. Natürlich hatten wir auch schon vorher mal einen Gedanken an die Meisterschaft verschwendet, wir führten schließlich fast die gesamte Saison über die Tabelle an. Aber über allem stand der Einzug in den bezahlten Fußball.