Ein Großer hat Geburtstag: Peter Schmeichel feiert den 60. Ehrentag. Vor einiger Zeit sprachen wir mit ihm über die EM 1992, das blanke Entsetzen in Jürgen Klinsmann Gesicht und Stopps bei McDonalds.
Das Interview erschien im März 2020 in unserem 11FREUNDE Spezial „Die andere Geschichte der EURO“. Das Heft findet ihr bei uns im Shop.
Peter Schmeichel, Sie standen beim sensationellen EM-Triumph Dänemarks 1992 ebenso im Tor wie beim Champions-League-Finale 1999, als Manchester United Bayern München in den letzten zwei Minuten besiegte. Sind Sie ein Experte für Fußballwunder?
Wenn Sie es so formulieren, klingt es ganz hervorragend. Ich muss Sie allerdings ein bisschen enttäuschen: Unser EM-Titel 1992 war kein Wunder.
Wie bitte? Ihre Mannschaft wurde wenige Tage vor dem Turnierstart nachnominiert, startete quasi ohne Vorbereitung und holte den Titel.
Dennoch standen wir alle noch voll im Saft. Viele von uns hatten bis kurz vor dem Turnierstart noch in ihren Vereinsmannschaften gespielt. Außerdem hatten wir noch ein Freundschaftsspiel gegen die GUS, die sich damit auf das Turnier vorbereitete. Am 30. Mai, beim Mittagessen vor der zweiten Trainingseinheit, erfuhren wir dann, dass wir wohl bei der EM für Jugoslawien starten werden.
Viele Mitspieler hatten da schon Ihren Urlaub gebucht.
Lars Olsen hatte mir nur Stunden vorher noch von seinem Ferienhaus auf Mallorca vorgeschwärmt. Und dann das. Man muss das eben so sehen: Unsere Saison war vorbei, alle hatten die Maschinen schon runtergefahren. Mental waren wir bereits im Urlaub. Das Freundschaftsspiel gegen die GUS bedeutete nur unserem Trainer Richard Møller Nielsen etwas. Er stand unter Druck und nahm die Partie sehr ernst. In dieser seltsamen Situation erfuhren wir dann, dass wir bei einer Europameisterschaft antreten. Als uns die Nachricht erreichte, hat jedenfalls keiner lautstark gejubelt.
Die Mannschaft machte sich dennoch einen Spaß aus der Sache, trat locker auf, schlurfte in Badeschlappen über den Trainingsplatz.
Stopp! Niemand hat sich einen Spaß aus dem Turnier gemacht. Unsere Teilnahme hatte tragische Umstände. Wir durften antreten, weil in Jugoslawien vielen unschuldigen Menschen unglaubliches Unrecht widerfahren ist. Wir waren uns dieser Verantwortung jederzeit bewusst. Es klingt immer so, als seien wir eine Freizeitmannschaft gewesen. Das ist unfair, auch unserem Trainer gegenüber. Wir haben uns genauso professionell vorbereitet wie jedes andere Team auch.
Allerdings nur zehn Tage. War diese kurze Vorbereitung ein Nachteil gegenüber anderen Teams, die seit Monaten auf die Europameisterschaft hingearbeitet
hatten?
Im Gegenteil, für uns war es sogar ein Vorteil. Bei der Vorbereitung auf eine Europameisterschaft durchläuft man normalerweise viele Phasen. Ständig kommen neue Spieler in den Kader, der interne Wettbewerb ist extrem. Dazu gibt es viele Werbetermine, der Druck von außen steigt stetig. Das kann innerhalb einer Mannschaft für Unruhe und Stress sorgen. Das alles gab es bei uns nicht. Richard Møller Nielsen hatte 22 Spieler zum Länderspiel gegen die GUS eingeladen. Und diese Mannschaft fuhr dann auch zur EM.
Im ersten Spiel ging es gegen England. Erinnern Sie sich noch an die Kabinenansprache Ihres Trainers?
Wir sagten uns immer wieder: „Wer weiß, wann wir jemals wieder an einem großen Turnier teilnehmen werden.“ Wir wollten bei allem Ehrgeiz jede Minute genießen. Møller Nielsen kam also in die Kabine und sagte trocken: „Jungs, geht raus und blamiert euch nicht. Macht euch stolz. Das reicht mir vollkommen.“
Das Spiel endete 0:0.
Und es war wohl dennoch unser wichtigstes Ergebnis im gesamten Turnier.
Warum?
Man stelle sich vor, wir wären mit 0:5 vom Platz gegangen. Das war durchaus möglich. Wir wären die Lachnummer des Turniers gewesen, und alle hätten gesagt: „Das war doch klar, die nehmen das nicht ernst.“ Aber nach dem Spiel waren wir sogar enttäuscht, dass wir nicht gewonnen hatten. Für mich war das ein positives Signal.
Weil die Mannschaft merkte, dass Sie mit den Großen mithalten kann?
Es war ein Zeichen für das Selbstvertrauen, das in unserer Mannschaft herrschte. Jeder merkte, dass auch der andere etwas erreichen will. Niemand spielte für sich, sondern für den Erfolg der Mannschaft, für Dänemark. So ein Spirit ist während eines Turniers Gold wert und kann die Kleinen sehr groß werden lassen.