Marcel Witeczek feiert heute seinen 50. Geburtstag. Er war 13, als seinen Eltern die Flucht gelang. Im Interview spricht er über Aufnahmelager, seine Zeit als gefeiertes Supertalent und den FC Hollywood.
Wie wurden Sie bei Bayer aufgenommen?
Zu meinem Glück wurde die Mannschaft damals von Karl-Heinz Feldkamp trainiert, der ein Faible für junge Spieler hatte und vor allem den Mut, die Jungs auch einzusetzen. Wobei man aber auch sagen muss, dass er über eine stattliche Auswahl von Talenten verfügte: ein Jahrgang über mir spielte ein gewisser Oliver Bierhoff.
Am 8. August 1986 feierten Sie schließlich Ihr Debüt.
Ganz genau: ein 2:0‑Sieg gegen den FC Homburg. Feldkamp brachte mich für den leider viel zu früh verstorbenen Horst Pfeilzer. Und damit ging das alles los.
Sie waren erst 17 – mussten auch Sie den harten Gang durch die Hierarchien antreten?
Natürlich. In Uerdingen hieß der harte Hund der Mannschaft Norbert Brinkmann, der hat nur den Ball gesehen und bedingungslos draufgehalten. Auch ich musste ein paarmal dran glauben. Allerdings muss ich sagen, dass Lehrjahre in Uerdingen mich wirklich vorangebracht haben: die Alten sorgten dafür, dass man in der richtigen Spur blieb und wenn man das nicht tat, bekam mal halt auf die Socken. Gleichzeitig haben mich erfahrene Spieler, allen voran Friedhelm Funkel, in Schutz genommen, wenn es beispielsweise harsche Kritik von der Presse gab.
Ein Jahr nach Ihrem Debüt fuhren Sie mit der deutschen U20 zur Weltmeisterschaft nach Chile. Mit im Kader u.a.: Andreas Möller, Knut Reinhardt und Detlev Dammeier. Bester Deutscher waren aber Sie: wie schon bei der U‑16-WM 1985 schossen Sie die meisten Tore (7) und wurden hinter Robert Prosinecki und Zvonomir Boban zum drittbesten Spieler des Turniers ausgezeichnet.
Eine tolle Erfahrung. Leider verloren wir das Finale gegen die Jugoslawen mit 4:5 nach Elfmeterschießen, dreimal dürfen Sie raten, wer den entscheidenden Elfmeter verschoss… Ich bekam trotzdem zum Dank nach dem Turnier ein Angebot vom AS Monaco.
Warum blieben Sie in Uerdingen?
Ein Wechsel ins Ausland erschien mir damals noch zu früh. Dabei hätte ich in Monaco mehr Geld als anderswo verdienen können. Trotzdem habe ich die Entscheidung nie bereut. Obwohl es doch schade ist, dass dieses Angebot nie wieder kam.
Stattdessen wechselten 1991 zum 1. FC Kaiserslautern und von dort nach zwei Jahren zum FC Bayern, der damals als „FC Hollywood“ verschrien war. Wie haben Sie die Eitelkeiten innerhalb des Vereins wahrgenommen?
Es stimmt, dass wir damals eine ganze Reihe sehr starker Persönlichkeiten im Kader hatten: Andy Herzog, Oliver Kahn, Ciriaco Sforza, Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus, auch Mehmet Scholl. Das führte schon mal zu Streit, wie bei der legendären Szene, als Oliver Kahn Andy Herzog am Genick packte. Gleichzeitig war das Niveau auch sehr hoch. 1994 und 1997 wurden wir Meister, 1996 gewannen wir den Uefa-Cup.
Welche Rolle hatten Sie in dieser Truppe?
Vermutlich den der Allzweckwaffe. Allein unter Franz Beckenbauer spielte ich mal auf der Zehnerposition, dann Außenstürmer, auch Verteidiger. Das zog sich dann durch meine weitere Karriere: später bei Borussia Mönchengladbach (1997 bis 2003, d. Red.) wurde ich als Libero, Manndecker und als Rechtsverteidiger in der Viererkette eingesetzt.
So ein Positionswechsel macht keinem Fußballer Spaß. Konnten Sie sich nicht dagegen wehren?
Nun, bei den Bayern war ich einer der ganz wenigen Nicht-Nationalspieler, die regelmäßig zum Einsatz kamen. Da konnte ich mir eben nicht aussuchen, wo ich spielen wollte. Zumal ja eben diese Vielseitigkeit dazu geführt hat, dass ich letztlich auf 410 Bundesligaspiele kam.
Wie haben Sie es geschafft, nach dem Ende der aktiven Karriere nicht in ein Loch zu fallen?
Indem ich weiter aktiv geblieben bin. Irgendwann hat mich mein Zahnarzt, ein begeisterter Läufer, dazu überredet, für den Marathon und Triathlon zu trainieren. Das hat mich gleich gepackt. Als ich beim Iron Man durch Frankfurt rannte, fiel mir wieder Hansi Pflügler ein, der mir irgendwann beim Training gesagt hatte: „Junge, du hörst ja auch nicht auf zu rennen.“ Das macht mir einfach Spaß. Und was den Adrenalinschub angeht, steht so ein Marathon keinem Bundesligaspiel nach.
Wie schon erwähnt, engagieren Sie sich als ehemaliger Flüchtling heute für die nächste Generation, die ihre Heimatländer verlassen mussten. Welchen Beitrag kann der Fußball in der aktuellen Problematik leisten?
Meiner Meinung nach sind die Vereine gefragt, sich noch stärker für Flüchtlinge einzusetzen. Dass sie Kindern und jungen Leuten die Möglichkeit geben, in den Mannschaften mitzumischen, so die deutsche Sprache lernen und sich zugehörig fühlen. Die integrative Kraft dieses Spiels ist enorm. Ich habe das ja selber erfahren dürfen.