Marcel Witeczek feiert heute seinen 50. Geburtstag. Er war 13, als seinen Eltern die Flucht gelang. Im Interview spricht er über Aufnahmelager, seine Zeit als gefeiertes Supertalent und den FC Hollywood.
Wie wurden Sie als Flüchtling behandelt?
Damals kamen ja regelmäßig Flüchtlinge aus dem Osten, die Menschen hatten sich schon daran gewöhnt.
Was hat Ihnen damals die meisten Probleme in der neuen Heimat gemacht?
Definitiv die Sprache. Ich bekam ein halbes Jahr lang Deutschunterricht, erst dann wurde ich in eine deutsche Klasse versetzt. Meine Eltern taten sich mit der neuen Sprache naturgemäß noch schwerer.
Wann kamen Sie das erste Mal mit Fußball in Berührung?
Das ging sehr schnell. Schon im Aufnahmelager war das meine Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Meine Sprachschule lag direkt an der Grenze von Mühlheim zu Oberhausen. Mein Lehrer hatte Kontakt zu Post SV Oberhausen, also spielte ich mal beim Training vor und muss nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Jedenfalls wollten die mich gar nicht mehr gehen lassen.
Half Ihnen der Fußball bei der Integration?
Absolut. Vorrangig ging es ja darum, dass ich so schnell wie möglich deutsch lernte und dabei half mir das Training und die Spiele ungemein.
Wie viel ist dran an der Floskel von der „universellen Sprache Fußball“?
Eine ganze Menge. Ich habe das ja aus verschiedenen Perspektiven erleben dürfen: als Flüchtlingskind, dem der Fußball den Übergang in ein neues Leben erleichterte, als Fußballprofi im Umgang mit den verschiedensten Nationalitäten und heute in meiner Tätigkeit als Sportreferent für die AOK Rheinland/Hamburg. Wo sich der Kreis übrigens schließt: schon seit einiger Zeit organisiere ich mit meinem ehemaligen Mitspieler Michael Klinkert Trainingstage für Schulklassen, an denen auch Flüchtlingskinder teilnehmen. Die Resonanz ist großartig und zeigt mir immer wieder, wie viel Power der Fußball hat.
Was antworten Sie dann Menschen, die Flüchtlingen mit Furcht oder gar Hass begegnen?
Manchmal versuche ich mich tatsächlich daran, die Beweggründe von Menschen auf der Flucht zu erklären. Dass sie nicht freiwillig ihre Heimatländer verlassen, sondern dafür gute Gründe haben. Und wir ihnen zumindest das Gefühl geben sollten, dass sie bei uns erstmal in Sicherheit sind. Aber meiner Meinung nach hat die Politik schon im Vorfeld der Flüchtlingswellen versagt. Wenn man tatenlos zuschaut, wie in manchen Staaten Machthaber Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen, muss man sich nicht wundern, wenn irgendwann die Flüchtlinge kommen. Die Büchse der Pandora ist geöffnet und jetzt müssen wir alle einen vernünftigen Weg finden, damit umzugehen.
Zurück zu Ihrer Karriere: Sie galten schnell als großes Talent, wurden schon 1983 erstmals zur U15-Nationalmannschaft eingeladen. Wie haben Sie das damals wahrgenommen?
Das ging alles sehr schnell: von der Kreisauswahl zu den Verbandsmeisterschaften und schließlich in die U‑Auswahlmannschaften. Mit 15 spielte ich plötzlich vor 65.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion, das war unglaublich. Bis zur U21 durchlief ich sämtliche U‑Teams und machte dabei offenbar einen so guten Eindruck, dass sich 1986 Bayer Uerdingen meldete.
Stimmt es, dass Bayer 100.000 DM an Ihrem damaligen Verein Rot-Weiß Oberhausen überwies, um Sie loszueisen?
Ich glaube, es waren sogar 150.000. Viel Geld für einen 16-Jährigen. Dazu bekam mein Vater einen neuen Job und der Verein stellte uns eine eigene Wohnung. Unsere ganz persönliche Aussiedler-Erfolgsstory.