Jahrelang musste sich der deutsche Fußball in die zweite, dritte, sogar vierte Reihe stellen. Spätestens mit dem deutschen Champions-League-Finale dürfte diese Dürreperiode beendet sein. Ein Liebesbrief.
Lieber deutscher Fußball,
ich bin 1983 zur Welt gekommen. Als Du 1990 Weltmeister wurdest, saß ich mit meinen Eltern irgendwo in Italien in einer Kneipe. Ich erinnere mich noch, wie schnauzbärtige Italiener wie von Sinnen „Kliinsmaaaaaaaann!“ oder „Maattthäuuuuuss!“ brüllten. Dass Du damals die Welt gerockt hast, las ich mir erst später in kiloschweren Chroniken an. Ich fand Dich toll, aber ich hatte Dich eigentlich nicht kennengelernt.
1992 wurdest Du Vize-Europameister. Weil Du gegen Dänemark verloren hast. Die Dänen waren die Sensation, waren sexy, waren aufregend. Du warst ziemlich uncool und bekamst dann auch noch auf den Sack. Das Sammelalbum von Hanuta klebte ich trotzdem mit Dir voll. Das Bild von Bodo Illgner hatte ich gleich sechsfach. Auf dem Schulhof war er nichts wert. Bezeichnend.
Wenige Stunden vor dem ersten WM-Spiel 1994 brach ich mir auf dem Bolzplatz den kleinen Finger. Ein Zeichen? Du quältest Dich zu einem 1:0‑Sieg gegen Bolivien. Während mir im Krankenhaus eine Schiene angelegt wurde, fragte ich meinen Vater, wo Bolivien überhaupt liegt. Du flogst dann im Viertelfinale raus. Gegen Bulgarien. Das musste meinen damaligen Berechnungen zufolge irgendwo bei Bolivien liegen. Ich musste noch einmal in die Chroniken schauen, um mich zu vergewissern, wie toll Du einmal warst.
1996 wurdest Du Europameister. Das war super. Ich erinnere mich an Matthias Sammer, die Spuckeflocken auf seiner Lippe, die Tore von Oliver Bierhoff im Finale und die schönen Trikots. Ein Jahr später wurde Dortmund Champions-League-Sieger und Schalke holte den Uefa-Cup. Ich hielt trotzdem zu Werder. Die spielten zwar scheiße, aber was soll man machen. Liebe macht eben blind.
Im Sommer 1997 war ich 13. Du warst schon ganz toll, aber Mädchen fand ich plötzlich besser. Ich dachte: Du wirst mich schon davon überzeugen, dass Du toller bist als Mädchen. Dann kam die WM 1998 und 2002, die EM 2000 und 2004 und die Finalniederlage bzw. der Finalsieg der Bayern in der Champions League. Der Sieg 2001 war super, aber richtig freuen konnte ich mich nicht. Dafür waren die Bayern einfach viel zu unsympathisch. 2002, Vize-Weltmeister. Für die Siege im Viertelfinale gegen die USA und im Halbfinale gegen Südkorea habe ich mich geschämt. Es tut mir leid, Dir das sagen zu müssen: Aber Du hattest es einfach nicht verdient. Gegen Mädchen hattest Du keine Chance.
2006, 2008, 2010, 2012. Uefa-Cup und Champions League. Was hatten wir für aufregende Zeiten! Ich fand Dich plötzlich wieder attraktiv und interessant. Ich verknallte mich noch einmal in Dich. Aber da war dieses Spanien und dieses England. Die waren Dir irgendwie immer eine Nasenlänge voraus. Ich betrog Dich in Gedanken, das ehrt mich nicht, aber Erfolg macht nun einmal sexy, nicht wahr?
In dieser Saison ist alles perfekt. Aus Verknalltheit wurde echte Liebe. Ich bin Dir mit Haut und Haaren verfallen. Du stehst im Finale der Champions League. Ganz allein. Du, nein, wir sind Finale! Das macht mich stolz, das macht mich glücklich, das sichert mir einen Ehrenplatz auf Wolke Sieben.
Lieber deutscher Fußball: Wenn Du jetzt noch nächstes Jahr Weltmeister wirst, dann heirate ich Dich. Unsere Kinder nennen wir dann Bastian, Mats, Jürgen oder Jupp. Patenonkel wird Jogi Löw. Aber das können wir dann auch noch mal in Ruhe besprechen.
Alles Liebe