Chantal Hoppe spielte Bundesliga, beendete ihre Karriere aufgrund von Depressionen, wechselte auf die Trainerbank und baute die Mädchen- und Frauenabteilung bei Tennis Borussia Berlin auf. Zuletzt gründete sie die Female Football Academy mit. Gespräch mit einer Frau, die den Fußball verändern will.
Chantal Hoppe, Sie sind Mitgründerin der Female Football Academy, die am Wochenende mit einem Kick-Off-Kongress gestartet ist. Das Thema Frauen im Fußball hat am Mittwoch noch einen zusätzlichen Dreh bekommen: Neun prominente Frauen haben ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie konkrete Forderungen zur Unterstützung von Frauen im Fußball formulieren. Wussten Sie davon
Ich habe ein wenig Gemunkel gehört, aber ansonsten nichts, nein. Das Positionspapier kam für uns von der Female Football Academy ziemlich plötzlich, aber es zeigt: Es bewegt sich gerade etwas Großes. Wir schauen gerade, wie wir das alles zusammenbringen können.
Sind Sie schon in Kontakt?
Ein wenig. Tabea (Kemme, ebenfalls Teil der FFA, beide spielten in der Jugend gegeneinander, Anm. d. Red.) ist da ziemlich mittendrin.
Wie bewerten Sie das Papier und die mögliche Kandidatur von Katja Kraus als DFB-Präsidentin?
Es ist endlich etwas, das wachrüttelt. Es zeigt ganz deutlich, wo die Schmerzpunkte sind und dass es Leute gibt, die wirklich etwas bewegen wollen. Die mit Nachdruck dabei sind und nicht klein beigeben. Es muss jetzt gehandelt werden, deshalb ist das völlig richtig.
Der Kongress am Wochenende sollte den Status Quo von Frauen im Fußball abbilden, bevor der Blick der Akademie in die Zukunft geht. Wie würden Sie diesen Status denn aktuell beschreiben?
Unruhig! (Lacht) Sehr, sehr unruhig. Wir sind an einem Wendepunkt, weil jetzt viele sagen: Macht was! Wir gucken nicht mehr nur zu, wir wollen Ergebnisse und Fortschritte sehen. Ich glaube auch, dass es dieses Mal nicht einfach verpufft, sondern dass Personen, Organisationen und Unternehmen dabei sind, die wirklich etwas anpacken wollen – und nicht nur reden.
Worum geht es Ihnen dabei konkret?
Wir wollen vor allem eine Denk- und Analysewerkstatt für Frauen im Fußball und den Frauenfußball sein und die Professionalisierung nach vorne treiben. Wir wollen Werkzeuge an die Hand geben. Solange man im Frauenfußball noch keine Millionen verdient, suchen wir auch Unternehmen, die dabei unterstützen. Es geht aber nicht nur ums Finanzielle, sondern um alles drumherum. Nicht zuletzt um das Thema mentale Gesundheit. Das muss aber nicht nur im Frauenfußball größer gemacht werden, sondern generell.
Gemeinsam mit Andreas Gebhard (Geschäftsführer der re:publica, ehemaliges Vorstandsmitglied von Tennis Borussia Berlin) gründete Chantal Hoppe die FFA. Am Anfang stand eine Studie zum Frauenfußball in Berlin, deren Ergebnisse die beiden erschreckte. Viel zu wenige Strukturen und Unterstützung – das wollen sie mit der neu geschaffenen Akademie verändern und so langfristig den Frauenfußball und die Situation für Frauen im Fußball verbessern.
Seit anderthalb Jahren haben Sie an der FFA gearbeitet und geplant. Konnten Sie während der Zeit schon eine Veränderung beobachten?
Ja, ich merke deutlich, dass jetzt die Zeit für Veränderungen gekommen ist. Mehr und mehr Leute haben den Willen, anzupacken. Zu Beginn war alles noch recht ruhig, der Tenor war: „Wir gucken mal.“ Frauenfußball war da, aber mehr auch nicht. In den letzten Monaten kommt mehr zutage.
Sie schauen auch über die Landesgrenzen hinaus. In den Niederlanden wurden vor Kurzem gemischte Teams im Amateurfußball zugelassen. Was meinen Sie: Sollte man eher Mädchenmannschaften unterstützen und mehr Angebote schaffen oder länger gemeinsam spielen lassen?
Es gibt Mädchen, die wollen einfach nicht mit Jungs zusammenspielen. Das ist auch völlig in Ordnung, das sollen sie machen. Für die Mädels, die bei den Jungs mitspielen wollen, sollte es dieses Angebot aber geben. Es ist eine andere Trainingsart, es ist ein anderes Miteinander, die Schnelligkeit ist eine andere. Es sollte beides möglich sein, damit sich die Mädchen selbst entscheiden können. Wer bei den Jungs spielen möchte, sollte keine Steine in den Weg gelegt bekommen.
Wie war es bei Ihnen? Haben Sie in der Jugend in Jungenmannschaften gespielt?
Teilweise. Ich habe vor allem mit ihnen trainiert. Spielen – das war damals noch nicht so populär, das wollte ich auch nicht. Ich war aber beim DFB-Stützpunkt der Jungen, habe zweimal die Woche mit ihnen trainiert, neben dem Vereinstraining. Das hat mir viel gebracht. Insbesondere für Spielerinnen, die Ambitionen haben, weiter nach oben zu kommen, ist das sehr wichtig. Als ich aber mit fünfzehneinhalb in die Regionalliga gewechselt bin, war es vorbei mit dem Training bei den Jungs.
Begonnen haben Sie beim Lichterfelder FC. Wie sahen Ihre ersten Schritte dort aus?
Ich bin mit zehn von einer Hortfahrt nach Hause gekommen und habe gesagt: „Wenn ich nicht Fußball spielen darf, möchte ich ein Junge sein!“ Daraufhin meinten meine Eltern, dass es doch auch Vereine für Mädchen geben müsse. Fußball war bei uns zuhause überhaupt kein Thema. Trotzdem haben meine Eltern mich bei allem unterstützt, mich überall hingefahren. Meine Eltern fragen sich bis heute, wo ich diese Leidenschaft her habe! (Lacht)
Mit zehn angefangen, Fußball zu spielen, mit sechzehn standen Sie in der Bundesliga – wer hat sie so stark gefördert?
Vor allem die jeweiligen Trainer, ganz klar. Meine Eltern wussten überhaupt nicht, was Sache ist. Und auch ich wusste das nicht! Als der Anruf von der Berlin-Auswahl kam, fragten meine Eltern erst einmal, was das überhaupt sei. Aber sie haben mich unterstützt, sich immer umgehört und mit Trainern gesprochen, weil ich immer mehr wollte.
So kam es mit sechzehn zum Wechsel zu Tennis Borussia Berlin in die Bundesliga. Wie war das in so einem jungen Alter?
Überfordernd! Auf der einen Seite war es total toll, aber ich war nun einmal erst sechzehn, war im Abitur – und alle anderen waren deutlich älter. Das kannte ich zwar aus der Jugend, weil ich auch bei Lichterfelde zusätzlich mit der zwei Altersklassen höheren Mannschaft trainiert habe. Aber Bundesliga war dennoch etwas komplett anderes. Mein allererstes Spiel werde ich nie vergessen. In der Jugend war ich sehr ballverliebt. In den ersten Spielen bin ich dann sehr viel geflogen, weil ich mich sehr spät vom Ball getrennt habe. Die ersten Monate waren sehr hart und lehrreich. Aber es hat trotzdem viel Spaß gemacht.
Im Folgenden geht es um Depressionen und Suizid. Wenn Ihnen diese Themen zu nahe gehen, überspringen Sie diesen Abschnitt und wechseln zur nächsten Seite. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, finden Sie Hilfe bei der Telefonseelsorge unter der kostenlosen Hotline 0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222. Die Berater:innen dort konnten schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen.
Trotzdem beendeten Sie Ihre aktive Karriere recht früh.
Mein ganzes Fußballleben war geprägt von Verletzungen. Im Nachhinein ist mir klar: Es kam viel über den Kopf. Mit 21 musste ich wegen Leistungssportdepressionen aufhören. Ich habe immer gedacht, ich hätte Fehler und müsste noch mehr an mir arbeiten. So etwas wie mentales Training gab es damals überhaupt noch nicht. So habe ich mich immer wieder herankämpfen müssen, und gerade, als ich wieder auf der Höhe war, gab es die nächste Verletzung. Das nagt am Kopf.
Gab es für Sie einen Moment, in dem Sie wussten: Jetzt ist Feierabend?
Das hat sich langsam eingeschlichen, ich habe es nicht gemerkt. Zum Schluss hatte ich leider Trainer, die sehr viel dazu beigetragen haben, wie es mir ging. Trainer, die mir gegenüber standen und gesagt haben: „Wir können dich persönlich nicht leiden, also spielst du nicht.“ Es gab Angebote von anderen Vereinen, aber ich dachte, dann würde ich ja aufgeben. Dass das nicht der Fall ist, sondern dass man einfach irgendwann sagen muss:„Jetzt ist gut“, wusste ich damals nicht. Ich war siebzehn, achtzehn! Dann ist Robert Enke gestorben. Als ich das gehört habe und dachte: „Das ist eigentlich ein ganz guter Ausweg, den er da gewählt hat“, wusste ich: Hier stimmt was nicht! Dann gab es drei Selbstmordversuche. Da war sehr schnell klar, weiter geht es nicht.
Sie haben sich Hilfe gesucht?
Ich wurde gezwungen, mir Hilfe zu suchen. Ein Jahr lang habe ich nur im Bett gelegen, musste Sprechen und Essen neu lernen, ich habe gar nichts mehr auf die Reihe bekommen. Als die Tabletten irgendwann wirkten, habe ich wieder angefangen, Fußball zu spielen, direkt wieder zweite Liga. Ich habe aber schnell gemerkt: Das ist mental nicht mehr möglich, das möchte ich nicht.
Deshalb auch der Punkt der mentalen Gesundheit in der Akademie.
Genau. Ich finde, Depressionen sollten kein Tabuthema sein. Deshalb gehe ich damit extrem offen um. Das muss man aus der Schublade holen.
Nach dem Ende Ihrer aktiven Karriere haben Sie dann die Seiten gewechselt und beschlossen, Trainerin zu werden?
Ja. Es war mir immer sehr wichtig, besser zu sein als meine letzten Trainer.
Brauchten Sie eine Zeit Abstand, bevor Sie den Schritt auf die Trainerbank gehen konnten?
Ja. Ein Jahr hatte ich gar nichts mit Fußball zu tun. Als ich wieder anfing und es nicht funktionierte, nahm ich noch ein halbes Jahr Abstand. Und selbst dann, als ich als Trainerin auf dem Platz stand, dauerte es noch ein Jahr, bis ich mir wieder Fußballschuhe anziehen konnte. Ich wurde da langsam herangeführt. Meine ehemalige Mannschaftsmanagerin kam zu mir und meinte, sie hätte drei Mädchen, die trainiert werden müssten. Da habe ich noch überhaupt nicht darüber nachgedacht, ob ich diesen Weg gehen möchte. Ich dachte nur, es wäre eine gute Möglichkeit zurück ins Leben zu kommen. Und aus den drei Mädels wurde dann ganz schnell eine ganze Abteilung, die ich geleitet habe.
Nachdem Sie die Seiten gewechselt haben, wurden Sie 2014 von der Gesellschaft KOMM MIT in Kooperation mit dem DFB als eine von hundert Jugendtrainerinnen des Jahres ausgezeichnet. Der Preis war eine Reise nach Barcelona. Was haben Sie davon mitgenommen?
Total viel! Nicht nur Wissen, sondern auch persönlich sehr viel. Wissen Sie, ich war immer noch dabei, zurück ins Leben zu finden, mir eine neue Identität aufzubauen. Die, die ich früher war, war ich nicht mehr. Aber diese Reise hat mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben. In der Ausbildung dort habe ich gelernt, was es eigentlich heißt, Trainerin zu sein. Ich hatte ja gar keinen Schein, hatte nie die Zeit dazu.
„Ich wollte mich nicht erpressen lassen“
Sie waren nicht nur Trainerin, sie leiteten die gesamte Frauen- und Mädchenabteilung bei TeBe. Wie wurden Sie da unterstützt?
Als ich die Abteilung aufgebaut habe, konnte ich schalten und walten, wie ich wollte – musste aber alles selbst organisieren, von Sponsorenakquise bis hin zu Elterngesprächen. Nebenbei habe ich auch noch studiert. Das ging am Anfang noch, irgendwann artete es aber aus und eskalierte auch mit dem Verein. Es waren über achtzig Mädels, das waren vier bis sechs Mannschaften. Seit Monaten hatte ich um Hilfe gebeten und gesagt, dass ich es alleine nicht mehr schaffe, dass ich aufpassen muss, wo ich bleibe. Der damalige Vorstandsvorsitzende sagte: „Wenn du gehst, ist das der Sargnagel, das weißt du?“
Sie gingen trotzdem.
Ich wollte mich nicht erpressen lassen. Ich hatte ein Angebot von Hertha Zehlendorf, das ich dankend annahm. Auch, um zu sehen, wie hoch ich als Trainerin kommen kann. Daraufhin zersprengte es die komplette Mädchenabteilung bei TeBe. Dabei hatte ich die Möglichkeit offen gelassen, dass ich das erste halbe Jahr unterstützend dabei sein könnte. Es war nicht gewollt. Mittlerweile ist das zum Glück anders, sonst wäre ich nicht wieder da. Es ist ein anderer Vorstand und ich weiß, dass der Frauen- und Mädchenfußball wertgeschätzt wird. Ich möchte das nicht alleine machen. Es muss über mehrere Köpfe gehen und auf mehreren Schultern liegen.
Ein Ansatz, den Sie auch mit der Female Football Academy unterstützen wollen. Ihr großes Ziel ist es, eine Plattform und mehr Wertschätzung für Frauen im Fußball zu schaffen.
Genau. Wir wollen Spielerinnen, Schiedsrichterinnen, Trainerinnen – allen, die damit zu tun haben – eine Unterstützungsplattform sein.