Sechs Profis von Athletic Bilbao führen ein Doppelleben: Tagsüber sind sie Fußball‑, abends Rockstars – mit allem, was dazu gehört. Und ihr Trainer Marcelino Garcia? Ist der größte Fan der Band.
Als der Busfahrer von Athletic Bilbao am 16. Januar beim Treffpunkt vorfuhr, dürfte er sich gefühlt haben wie im falschen Film. Neben all den Trikot-Kisten, Medizinkoffern und Sporttaschen stand dort eine ganze Batterie Musik-Instrumente zum Verladen bereit: drei elektrische Gitarren, ein E‑Bass, eine Trompete sowie ein komplettes Schlagzeug. Außerdem ein fetter Marshall-Verstärker und weiteres sperriges Gerät. Mit auf die Reise zum Finale im spanischen Supercup gingen nämlich sechs aufstrebende Rockmusiker. Aber, keine Sorge – hier lag kein Verstoß gegen die Corona-Auflagen vor: Die Herren Asier Villalibre (Mittelstürmer/Vocals und Trompete), Mikel Balenziaga (linker Verteidiger/Gitarre), Dani Garcia (zentrales Mittelfeld/Drums), Oscar de Marcos (rechtes Mittelfeld/Gitarre) Inigo Lekue (rechter Verteidiger/Bassgitarre) sowie Mikel Vesga (zentrales Mittelfeld/Gitarre) spielen hauptberuflich in der Profimannschaft von Athletic.
Die sechs Bilbao-Stars, die gemeinsam das Rock-Ensemble „Orsai“ bilden, verfolgten an jenem 16. Januar einen ziemlich simplen, aber nicht minder verwegenen Plan: nach Sevilla (zum Endspiel) fahren, tags darauf gegen den großen FC Barcelona antreten, anschließend die Nacht zum Tag machen und am folgenden Morgen im Mannschaftshotel die eigene Debüt-Single vorstellen. Cool auch: Bilbaos Cheftrainer Marcelino Garcia hatte überhaupt nichts dagegen. Der 55-Jährige stellte lediglich eine Bedingung, aber die war nicht verhandelbar: Seine Schützlinge mussten zuvor diesen verdammten Supercup gewinnen.
Überflüssig zu erwähnen, dass insbesondere sechs Akteure auf Seiten von Athletic Bilbao rannten wie die Hasen. Leadsänger Asier Villalibre rettete den Gig höchstpersönlich, indem er kurz vor Ende der regulären Spielzeit den 2:2‑Ausgleich markierte. Zuvor hatte Gitarrist und Mittelfeldmann De Marcos zum zwischenzeitlichen 1:1 getroffen. Als nach der Verlängerung schließlich ein sensationeller 3:2‑Erfolg zu Buche stand (Siegtor: Inaki Williams, 93. Spielminute), griff Villalibre noch auf dem Rasen zu seiner Trompete, um Messi & Co. feierlich den Marsch zu blasen.
Und während man bei Barca mit der bitteren Gewissheit leben musste, dass man quasi gegen eine Amateur-Band verloren hatte, feierten die Sieger wie leibhaftige Rockstars. Zu deutlich vorgerückter Stunde, als die Stimmung im Teamhotel auf dem Siedepunkt war, stellte das musikalische Sextett schließlich seinen Song „One Club Men“ vor – eine Mitgröl-Hymne mit größtenteils baskischem Text und musikalischen Stilelementen aus Ska und Garage. Sänger Villalibre trug bei dem Auftritt noch seine Siegermedaille um den Hals. Gitarrist Balenziaga steckte in einer (nicht mehr ganz wohlriechenden) kurzen Hose, die er am Vorabend 82 Minuten lang getragen hatte, ehe Bassist Lekue seinen Platz eingenommen hatte.
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Rückblick: Vor rund zweieinhalb Jahre steckte Athletic Bilbao gerade in der Saisonvorbereitung, und die Herren Balenziaga, Lekue, Dani Garcia, De Marcos sowie Vesga schwitzten gemeinsam im Kraftraum. Als Motivationsmusik plärrte „Piperrak“ aus den Speakern, eine spanische Punk-Combo. Irgendwann fiel das Gespräch auf Musik. „Und plötzlich hatten wir die Idee ausgebrütet, unsere eigene Band zu gründen“, erzählte Dani Garcia kürzlich der Zeitung El Pais. Noch am selben Tag legte sich der Spielmacher ein elektronisches Schlagzeug zu; tags darauf trafen sich Lekue, Balenziaga, De Marcos und Vesga vor einem Musikgeschäft in Bilbao und kauften sich (Bass-)Gitarren. „Im Laden sind sie förmlich ausgeflippt, als sie erkannten, dass ihre Kunden Athletic-Profis waren“, erinnert sich Lekue.
Ausflippen? So hätten auch Bilbao-Trainer Marcelino Garcia oder der Vereinsvorstand reagieren können. Man stelle sich etwa die Gesichter von Hansi Flick und Kalle Rummenigge vor, wenn Robert Lewandowski, Jerome Boateng, David Alaba, Leon Goretzka, Kingsley Coman und Joshua Kimmich abends gemeinsam im Proberaum verschwinden würden. Bei Athletic aber hielt sich die Aufregung in Grenzen. Marcelino Garcia kann dem Hobby seiner Schützlinge sogar viel Gutes abgewinnen: Asier Villalibre auf der Bühne zu erleben, sei ein regelrechter Genuss gewesen, schwärmte der Coach. „Asier ist ein sehr gebildeter, korrekter Junge, aber ziemlich schweigsam. Umso beeindruckter war ich, als ich ihn singen hörte.“
„Im Laden sind sie förmlich ausgeflippt“
Villalibre war als Letzter zur Band gestoßen. „Orsai“ hatte bereits einen Namen, einen soliden Beat und jede Menge Gitarren-Power. Was fehlte, war ein brauchbarer Sänger. Der musikbegeisterte Stürmer akzeptierte unter einer Bedingung: Er wollte auch auf seiner geliebten Trompete spielen – ein musikalischer Sidekick, der „Orsai“ eine ganz spezielle Note verleiht. Das erkannte auch der baskische Produzent Juan Escribano, ein alter Bekannter von Oscar de Marcos. „Zuerst war ich ziemlich aufgeregt, weil ich selbst Fan von Athletic bin“, verriet Escribano in El Pais. „Aber im Studio spürte ich von der ersten Minute an, dass die Jungs ziemlich lockere Typen sind.“ Und echte Naturtalente: Dani Garcia, Lekue, Balenziaga und Vesga hatten musikalisch bei Null begonnen, um sich in Rekordzeit durch diverse Youtube-Tutorials zur Bühnenreife vorzuarbeiten.
Überflüssig zu erwähnen, dass „Orsai“ on-stage genau so engagiert zur Sache gehen wie auf dem heiligen Rasen von San Mamés. Dani Garcia, der sein elektronisches Schlagzeug längst gegen ein akustisches eingetauscht hat, wird nachgesagt, er habe bereits Dutzende von Drumsticks zerstört. „Auf dem Feld bin ich aggressiv, also muss ich auch in der Band aggressiv sein“, scherzt der Mittelfeldmann. Der Einsatz scheint sich zu lohnen: Zuletzt zählte die Debütsingle „One Club Men“ fast 300.000 Aufrufe bei Youtube. Jetzt träumen die Rocker davon, dass ihr Song eines Tages „in San Mamés zu hören ist“. Und dass 53.000 Fans in Rot und Weiß lauthals mitgrölen.
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