Sexualisierte Gewalt ist in Fußballstadien traurige Realität. Vereine reagieren spät und zögerlich. Der BVB will das jetzt ändern und holt sich Hilfe – quasi aus Mittelamerika.
Der primitive, respektlose Anmachspruch auf der Zugfahrt, der frauenverachtende Aufnäher auf der Vereinskutte, die obszöne Handbewegung in Richtung der gegnerischen Fans, der Grabscher beim Torjubel oder das sexistische Transparent in der Kurve. Sexismus ist eine hässliche Begleiterscheinung des Fußballs. Das Stadion, das eigentlich ein Ort der Emotionen sein sollte, wird schnell zum Ort der Grenzüberschreitung und der Hemmungslosigkeit.
Aus diesem Grund hakte die Sportschau bei den Vereinen der ersten drei deutschen Ligen nach. Mehr als die Hälfte aller deutschen Profilklubs ließ die Sportschau-Anfrage zur Zahl sexueller Übergriffe in ihren Stadien unbeantwortet, einige gaben an, dass ihnen keine derartigen Vorfälle bekannt seien. Die Verbleibenden gaben ausführlich Auskunft, zum Beispiel Borussia Dortmund und die TSG Hoffenheim. Trotz der geringen Beteiligung der Vereine zählte die Sportschau insgesamt mindestens 21 registrierte Fälle in den letzten beiden Spielzeiten. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich aber sehr viel höher. Der BVB will dieses Thema nun offensiv angehen und sexueller und sexualisierter Gewalt, verbaler wie physischer Natur, keinen Platz mehr im und um das Westfalenstadion geben.
Auf die Frage, wo Panama liege, würde ein Mensch mit Geographiekenntnissen mit Mittelamerika antworten. Im Dortmunder Stadion wird die Antwort des Ordnungsdienstes bald aber in etwa so lauten: „Einmal die Treppe runter und dann nach links, dort wird Ihnen geholfen.’’ Der Grund: Panama wird seit 2017 auf Musikfestvials als Chiffre, also als Wort mit verschlüsselter Bedeutung, verwendet. Menschen, die sich belästigt fühlen, können das Codewort Panama verwenden und bekommen sofort Unterstützung von ausgebildetem Personal. In einigen Bundesländern gibt es in der Gastronomie ein ähnliches Konzept. Fühlt sich eine Person in einer Bar oder Kneipe unangenehm bedrängt, kann sie sich mit der Frage, wo Luisa sei, an das Thekenteam wenden. Diese Art der Kommunikation gibt ihnen die Möglichkeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ohne sich direkt offenbaren oder sich in eine Opferrolle begeben zu müssen. An diesen Konzepten will sich Borussia Dortmund orientieren.
Die dazu ins Leben gerufene Arbeitsgruppe beim BVB möchte, „dass Menschen, die sich im Stadion an Spieltagen z.B. unwohl, bedroht oder belästigt fühlen, die Möglichkeit haben, unkompliziert und schnell darauf aufmerksam zu machen und Hilfe zu bekommen.’’ Der bisherige Plan sieht vor, einen Schutzraum unter der Südtribüne einzurichten, in den sich die von sexualisierter Gewalt betroffenen Personen zurückziehen und unmittelbar auf eine/n sozialpsychologisch geschulte/n Gesprächspartner/in treffen können, wenn sie möchten. Außerdem soll es Fans, die sich gegen sexualisierte Diskriminierung engagieren wollen, ermöglicht werden, einen Ansteckbutton zu bekommen, um als Ansprechpartner/innen erkannt zu werden. Für die Gästefans, die im Norden des Westfalenstadions untergebracht sind, werde ebenfalls an einer Lösung gearbeitet, heißt es.
Besonders betroffen von sexualisierter Gewalt im Fußball sind Frauen. Der weibliche Anteil im Publikum bei Fußballspielen nimmt auf der einen Seite zwar zu, auf der anderen Seite sind gerade die Fankurven und die Stehplatztribünen noch immer von Männern dominiert. Sexualisierte Gewalt ist nicht immer für jede/n Außenstehenden wahrnehmbar, manchmal aber schon: Anfang Dezember 2018 zeigten Fans von Dynamo Dresden während eines Auswärtsspielsbeispielsweise ein sexistisches Transparent, auf dem „Ihr müsst heute Abend hungern – Weil eure Fotzen mit euch im Block rumlungern‘‘zu lesen war. Ende August 2019 zeigten die Dresdener Fans bei einem Heimspiel dann erneut ein Spruchband mit der Aufschrift: „Papa, wo ist das Teil zum Kartoffelschälen?‘‘ - „Die steht heute im Gästeblock’’.Die verbalen Attacken tauchten beide bei Spielen gegen den FC St. Pauli auf und richteten sich gegen die als progressiv geltende Fanszene des Hamburger Stadtteilvereins, die es sich zum Ziel gesetzt hat, ihre Kurve von Sexismen jeglicher Art zu befreien.
Neben Dortmund haben sich deshalb auch andere Fußballbundesligisten mittlerweile dieses ernsthaften Themas angenommen. Bereits Anfang der Saison 2019/2020 wurde beispielsweise beim Rivalen aus Gelsenkirchen eine Anlaufstelle namens #stehtauf im Stadion eingerichtet. Wer in der Arena auf Schalke Zeuge oder Zeugin von diskriminierendem Verhalten wird oder selbst in irgendeiner Hinsicht diskriminiert wird, kann sich dort beraten lassen und das Erlebte zu Protokoll geben. Viele aktive Fanszenen Deutschlands und die dazugehörigen Fanprojekte leisten zwar seit Jahren gute und wichtige Antidiskriminierungsarbeit, dennoch sind rassistische, xenophobe, antisemitische und eben sexistische Entgleisungen noch immer nicht aus dem Fußball verschwunden.
So auch auf Schalke, als sich im Februar dieses Jahres ein Mann vor dem ausschließlich weiblichen Servicepersonal eines Stadion-Kiosks mit heruntergelassener Hose selbstbefriedigte. Das Personal war geschockt. Beim Eintreffen der Polizei war die Hose des Mannes allerdings wieder geschlossen. Er wurde des Stadions verwiesen, kam ansonsten aber ungeschoren davon. Und das, obwohl es mehrere Zeuginnen und Zeugen gegeben hatte, die dieses niederträchtige Verhalten beobachten mussten. Die Verantwortlichen der Königsblauen merkten anschließend mit Bedauern an: „Es gibt leider in einem Raum wie einem Fußballstadion wenig Möglichkeiten, einen solchen Vorfall im Vorhinein zu verhindern. Hier können wir nur an den gesunden Menschenverstand unserer Besucher appellieren.“