2019 kehrte Leon Goretzka erstmals beruflich zu seinem Ex-Klub nach Bochum zurück. Vor dem Pokalspiel gegen den VfL erzählte er uns, was er „anne Castroper“ liebt, wie sehr ihn rassistischen Fans aufregen und wie er die Özil-Debatte während der WM erlebte.
Sie haben einmal gesagt: „Fußball ist für mich kein Beruf, sondern Leidenschaft.“ Sie haben in der letzten Saison 42 Spiele gemacht. Seit drei Jahren spielen Sie fast ohne Pause. Wie behalten Sie sich Ihre Leidenschaft?
Es gibt keinen Wochentag mehr, an dem kein Fußball gezeigt wird. Und das wirkt sich aus: Die Zuschauer sind weniger emotional, gehen nicht sofort mit. Fußball um 15.30 Uhr ist deshalb nicht mehr das Highlight, das es sein sollte. Es gibt diese besonderen Momente noch, aber sie sind leider rar geworden.
Sie gelten als extrem lernwillig. Nach einem Jahr beim FC Bayern: In welchen Bereichen haben Sie sich verbessert?
Das, was ich mir erhofft habe, ist eingetreten: Im Training lerne ich sehr viel. Das tägliche Niveau ist ein höheres und das war der Hauptgrund, warum ich gewechselt bin. Weil mich das Team noch einmal besser macht. Ich mache einen Laufweg, und meine Teamkollegen erkennen das und – und das ist wichtig! – können dann auch den nötigen Pass spielen. Danach habe ich mich extrem gesehnt. Dafür, dass ich hauptsächlich als defensiver Sechser gespielt habe, konnte ich meine Torgefahr ausbauen. Und das liegt eben daran, dass beim FC Bayern der letzte Pass überdurchschnittlich oft ankommt.
Aus persönlicher Sicht haben Sie ein grandioses erstes Jahr beim FC Bayern erlebt. Zum ersten Mal Meister, zum ersten Mal Pokalsieger. Rund um den Verein herrschte dennoch Krisenstimmung nach der Saison. Niko Kovac wurde in Frage gestellt. Wie haben Sie diesen Kontrast erlebt?
Bei einem Verein wie dem FC Bayern wird alles und jeder täglich hinterfragt. Das gehört zum Geschäft und der Maxime, jedes Jahr aufs neue möglichst viele Titel zu holen. Es ist ein Kontrast, an dem wir als Team wachsen, wenn wir diese Stimmung richtig einordnen.
Sie hat das nicht gestört?
Ich kam ja nicht gerade vom ruhigsten Verein der Bundesliga. Auf Schalke haben wir gefühlt alle drei Monate Krisengespräche geführt. Als wir hier in München unsere Schwächephase zu Saisonbeginn hatten, habe ich mich gefühlt, als hätte ich einen kleinen Vorteil in dieser Situation. Die Kollegen waren ja verwöhnt (lacht.).
Sind Sie trotzdem froh, dass Sie beim FC Bayern nicht allein die Verantwortung tragen?
Überhaupt nicht. Ich übernehme gerne Verantwortung, das zeichnet mich sogar aus.
Kurz vor dem Pokalspiel stehen Sie jetzt wieder im Kader. Nach zwei Monaten Verletzungszeit. Wie verlief Ihr Heilungsprozess?
Ziemlich chaotisch, um ehrlich zu sein. Eine eigenartige Geschichte. Ich hatte eine richtig gute Vorbereitung gespielt, mich körperlich hervorragend gefühlt. Und vor dem Abschlusstraining des Eröffnungsspiels einen Pferdekuss bekommen. Als ich nach Hause kam, ist der Oberschenkel in einem unvorstellbaren Ausmaß eingeblutet. (Umfasst mit beiden Händen den Oberschenkel.) Ein richtig dickes Bein! Wir wollten es konservativ angehen, ich habe zwei Wochen Pause gemacht. Hier bei den Bayern haben alle einen extrem guten Job gemacht.
Deshalb standen Sie schon wieder im Kader und sind …
… im September zur Nationalelf gefahren. Nach einer entspannten Einheit ist es nachts wieder eingeblutet. Da war klar, dass ein Gefäß verletzt ist und es leider doch operiert werden muss.
Wie haben Sie diese Zeit emotional erlebt?
Es war schon extrem nervig, weil es Auf und Abs gab. Ich hatte mich ja schon wieder herangearbeitet und musste dann doch unters Messer. Gerade die Zeit nach einer OP ist schmerzhaft und langwierig. Ich habe nur darauf gewartet, dass das Bein endlich abschwillt. Als die Fäden gezogen waren, wurde es immer besser. Glücklicherweise konnte ich relativ schnell wieder mit dem Ball trainieren. Der Moment, als ich die Fußballschuhe wieder anziehen durfte, war der beste.
Sie sind Deutscher Meister, Pokalsieger, Confed-Cup-Sieger. Was bedeutet da noch ein Spiel am Dienstagabend gegen den Heimatverein?
Alles. Es war ein riesiger Wunsch von mir, jedes Mal, wenn die Auslosung kam. Als ich mit 17 Jahren meine Karriere beim VfL begann, war ich vor jedem Spiel total angespannt. Nervös. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich die Atmosphäre nicht genießen konnte. Als ich als Zuschauer zurückkam, habe ich erst gemerkt, wie geil es wäre, in Bochum noch einmal aufzulaufen. Nach meinem Wechsel zu Schalke wurde ein Testspiel als Teil der Ablöse vereinbart, um das Stadion zu füllen. Ausgerechnet an dem Tag war ich jedoch verletzt.
Jetzt scheint die Ausgangssituation ähnlich.
Und deshalb bin ich mir ziemlich sicher, dass ich an dem Tag punktgenau fit bin. (Grinst.)