Als ein Geldgeber ihren Klub umkrempeln wollte, griffen die Fans von Tennis Borussia Berlin zum letzten Mittel: Sie vermieteten sich selbst in der ganzen Republik. Die Geschichte eines besonderen Kampfes.
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Außerdem präsentieren wir euch an dieser Stelle in den kommenden Wochen weitere spektakuläre Reportagen, Interviews und Bilderserien. Heute: Wie die Fans von TeBe um ihren Verein kämpften.
Stimmung ist immer Ansichtssache. Im Berliner Mommsenstadion, unweit der Würstchenbude, drängt sich ein älterer Herr mit beigefarbener Jacke zu einer kleineren Fangruppe mit Bier und Selbstgedrehten. Sie sind Teil der aktiven Fanszene von TeBe. Er reicht die Hand in die Runde, fasst aber bei der Begrüßung ins Leere. „Ist doch eine super Stimmung hier, oder?“, sagt der Mann etwas zu laut. „Verpiss dich“, lautet die Replik. „Das sagst du mir.“ „Ja, das sag ich dir.“ Tennis Borussia führt an einem lauen Freitagabend im März zur Halbzeit mit 3:0 gegen CFC Hertha, und rein sportlich, da hat der Herr recht, ist die Stimmung beim Oberligisten tatsächlich super. TeBe steht auf Platz zwei und hat noch alle Chancen auf den Aufstieg in die Regionalliga. In Wahrheit jedoch ist die Stimmung genau so, wie der kurze Austausch der Nettigkeiten vermuten lässt: sehr angespannt bis offen aggressiv.
Mittlerweile gibt es zwei Lager beim Traditionsverein aus dem Westen der Hauptstadt. Auf der einen Seite stehen die Unterstützer des Vorstandsvorsitzenden Jens Redlich, Chef einer Fitnesskette und potenter Geldgeber. Der etwas zu gut gelaunte Herr mit der beigen Jacke sitzt im Ältestenrat und gilt der Fanszene als Claqueur des aus ihrer Sicht autokratischen Bosses Redlich. Ein großer Teil der aktiven Fanszene von TeBe sieht in dem Gebaren des Vorsitzenden eine feindliche Übernahme des Vereins und seiner Strukturen.
„Der Verein ist heute beerdigt worden“
Spätestens seit einer chaotischen Mitgliederversammlung im Januar boykottieren die Fans deshalb die Spiele ihres Vereins. Teilnehmer der Versammlung schubsten und bepöbelten sich, die Polizei musste anrücken, von gekauften Mehrheiten war die Rede, von eigens bestellten Bussen mit bulgarischen Arbeitern als Stimmenbeschaffer für Redlich. „Der Verein ist heute beerdigt worden“, hatten die Fans gesagt und ihre weitere Unterstützung in einer Zeitungsanzeige angeboten. Seither tourt eine Gruppe von 70 bis 100 TeBe-Fans durch die Republik und feuert Mannschaften aus der ganzen Republik an – nur nicht mehr ihre eigene.
Im Winter erhielten die aktiven Fans von Tennis Borussia Berlin die offizielle Bestätigung: Sie haben gewonnen.
Für viele Außenstehende mag der Streit eine Petitesse im Berliner Amateurfußball sein. Doch Tennis Borussia ist kein normaler Oberligist. Und seine Fanszene keine beliebige. Als sie früher immer wieder von Gegnern den Gesang „Lila-weiß ist schwul“ um die Ohren gebrüllt bekamen, drehten sie den Spieß um. 300 Fans fuhren 1999 zum Auswärtsspiel nach Cottbus – Männer als Frauen verkleidet, Frauen als Männer. Selbstironie und der Kampf gegen Homophobie wurden zu einem Wesenskern der Fanszene, als beides in deutschen Kurven nicht gerade weit verbreitet war. Mit dem T‑Shirt-Aufdruck „Schnösel-Szene“ machte sich der Anhang über das bürgerliche Milieu der Heimat in Westberlin lustig und sang selbst am lautesten: „Lila-weiße Westberliner Scheiße“. Die TeBe-Fans retteten ihren Klub aus eigener Kraft vor der Insolvenz und behielten auch dabei ihren Witz: „Es ist wieder so weit. TeBe geht zugrunde.“ TeBe – das war von jeher Antirassismus, Toleranz und Abgedrehtheit, vielleicht ein bisschen Punkfußball. Es musste viel passieren, damit sich diese Szene von ihrem Klub abwendet.
„Es ist, als ob dir jemand das Herz rausreißt“
Alex Rudolph geht seit den siebziger Jahren zu TeBe, an diesem Freitag ist er nur wegen seiner Freunde aus England hier, zu Besuch im alten Zuhause. Für den Herrn aus dem Ältestenrat hat auch er nichts über. Er steht mit Tweedmütze in der Fangruppe am Würstchenstand und kramt den Drehtabak hervor. „Ich hatte meinen Freunden lange versprochen, dass wir zu TeBe gehen, aber eigentlich will ich hier nicht mehr hin. Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun“, sagt er. Auf der Versammlung sei die Satzung missachtet worden, unliebsame Funktionäre würden rausgedrängt, verdienstvolle Spielerinnen der Frauenabteilung ausgebootet. Neben ihm nippt Dennis Wingerter an seinem Bier, ein Mann mit schwarzer Funktionsjacke, kurzen blonden Haaren und Dreitagebart. Er sagt: „Es ist, als ob dir jemand das Herz rausreißt.“
Seit fast neun Jahren hat er kein Spiel seines Vereins verpasst, ob daheim oder auswärts – jetzt will er nicht mehr hin, der Vorsitzende habe ihm seinen Verein entrissen. TeBe schießt gerade das 4:0, doch Wingerter schaut regungslos. An einem Stand verkaufen Vereinsangestellte T‑Shirts mit Motiven wie Ping-Pong-Schlägern und der Aufschrift „Hacke Spitze seit 1902“. Wingerter und seine Freunde hatten sie einst erfunden. Er zeigt verärgert auf die Jerseys, als würde der neue Freund der Ex seine Kleidung auftragen. Drüben, im Block E, dem ehemaligen Herzstück der kreativen und pulsierenden TeBe-Fanszene, stehen vereinzelt Grüppchen. Was sagen sie zum Boykott der Fanszene? „Welcher Boykott?“, fragen die jungen Fans, um die zwanzig Jahre alt, alle mit lila TeBe-Schal. Sie gehen sporadisch ins Mommsenstadion. Daneben stehen reifere Herren, manche mit Schal, einer mit Trikot. Sie schreien „Lila“, und tatsächlich antwortet die gegenüberliegende Tribüne mit „Weiße“. Ein Wechselgesängchen.