2019 kehrte Leon Goretzka erstmals beruflich zu seinem Ex-Klub nach Bochum zurück. Vor dem Pokalspiel gegen den VfL erzählte er uns, was er „anne Castroper“ liebt, wie sehr ihn rassistischen Fans aufregen und wie er die Özil-Debatte während der WM erlebte.
Gibt es eine Person, die Sie sofort mit dem VfL Bochum verbinden?
Die intensivste Zeit hatte ich unter Christian Britscho, der mein U17-Trainer war. Ich war im jüngeren Jahrgang und unsere Truppe hat eine überragende Saison gespielt. Als kompletter Außenseiter sind wir Westfalenpokalsieger geworden. Das war das geilste Jahr! Sebastian Brune, der Torwart und Tim Kosien, der rechter Verteidiger spielte, zählen noch immer zu meinen besten Freunden. Mit Tim habe ich dann auch in Bochum in einer WG gewohnt, als meine Profikarriere begann.
Worauf freuen Sie sich bei Ihrer Rückkehr besonders?
Auf die Leute. Auf den Stadiongang. Von der Kabine geht es durch die Katakomben zum Platz, kurz davor trennen sich die Wege der Mannschaften. Man läuft links und rechts die kleinen engen Betontreppen hoch, sieht die ersten Menschen, sobald man nach oben blickt, schaut in das helle Flutlicht und hört die Einlaufmusik.
Kleiner Test. Wenn wir singen würden – keine Sorge, wir singen nicht – aber wenn wir singen würden: „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt…“.
(summt.) „Ist es besser, viel besser als man glau-ubt“. Das ist doch zu einfach! Bochum – Grönemeyer. Die Platte läuft bei mir ja fast jeden Tag zuhause. (lacht.)
Herbert Grönemeyer, der den Text im Original singt, wurde kürzlich angefeindet, weil er sich bei einem Konzert gegen Rechtsextremismus aussprach.
Sie sagten im Mai, nach rassistischen Vorfällen beim Länderspiel in Wolfsburg, einen Satz, der zum Fußballspruch des Jahres nominiert war.
Kurz bevor ich zur Pressekonferenz gehen musste, habe ich dieses Video (um dieses Video geht es, d. Red.) gesehen. Ich saß noch in meinem Zimmer, und ich war ehrlich geschockt davon. Ich bin normalerweise nicht leicht aus der Fassung zu bringen, aber das hat mich getroffen und ich habe angefangen zu überlegen. Wann ich selbst mit Rassismus in Kontakt gekommen bin. Wie es meinen Teamkollegen gehen muss. Und so bin ich zu dem Satz gekommen.
Sie sagten: „Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets. Da antwortet man auf die Frage nach der Nationalität mit Schalke, Dortmund oder Bochum.“
Und ich habe diesen Satz nicht gesagt, um für einen Preis nominiert zu werden. Ich wollte klarmachen, was ich von den Menschen in Deutschland erwarte. In meinem Alltag stand das Zusammenleben verschiedener Kulturen immer im Vordergrund. Auf meiner Schule lag der Ausländeranteil bei 80 Prozent, aber das war nie ein Thema – und das war gut so. Unsere Frage war immer nur: Von wem bist du Fan?
Wie fielen die Reaktionen innerhalb der Mannschaft aus?
Nach der Pressekonferenz habe ich viele Reaktionen erhalten. „Hut ab!“, hieß es von einigen. Und speziell Leroy, zu dem ich als Schalker ja ein spezielles Verhältnis habe, der auf die gleiche Schule in Wattenscheid gegangen ist, hat sich extrem gefreut, dass ich klare Kante zeige. Wir müssen aktiv sein, wir dürfen nicht weghören, wir müssen Rassisten mit dem Gesagten konfrontieren.
Diese klare Kante ließ die Mannschaft neun Monate zuvor bei der WM und im Fall von Mesut Özil vermissen. Müssen Sie sich das im Nachhinein vorwerfen lassen?
So ein Turnier ist natürlich ein spezieller Fall. Aber es ist völlig berechtigt, dass wir darüber jetzt sprechen. Wir waren nicht konsequent genug. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir in erster Linie Fußballer sind. Es ist zu viel verlangt, von jedem Nationalspieler zu erwarten, dass er die Rolle eines Politikers übernehmen kann. Natürlich, wir müssen unserer Vorbildrolle gerecht werden. Aber wir werden in erster Linie auch daran gemessen, ob wir erfolgreich auf dem Platz sind.
Es heißt, dass sich viele Spieler im WM-Quartier auch nicht bewusst waren, wie groß dieses Thema während des Turniers wurde.
Das meine ich. Teilweise war Einzelnen nicht klar genug, wie groß Themen in der Öffentlichkeit sind oder werden können. Und ja, es ist richtig, innerhalb der Mannschaft war das Thema während der WM nicht allzu präsent.