Trotz Corona rollt der Ball in Belarus weiter. Denn Diktator Lukaschenko ist überzeugt: Sport treiben hilft gegen den Erreger. Also nehmen die Fans die Sache nun selbst in die Hand: Sie rufen zum Boykott auf.
Am Wochenende geht es weiter: dritter Spieltag in der Wysheyshaya Liha – der höchsten Spielklasse von Belarus. Den Anfang macht am Freitagabend Dinamo Minsk mit einem Heimspiel gegen Torpedo Schodsina. Ein wichtiges Spiel: Die ersten beiden Partien gegen Rukh Brest und den Stadtrivalen FK Minsk hat der Hauptstadtklub Dinamo verloren. Ein katastrophaler Saisonstart für den Spitzenklub. „Vielleicht steht die Mannschaft mehr unter Druck. Auf einmal schaut die ganze Welt unsere Spiele“, vermutet der Vorsänger der hiesigen Fanszene Alex, der seinen Nachnamen lieber nicht im Internet preisgeben möchte.
In der Tat erfreut sich die sonst unbeachtete Liga großer Beliebtheit. Während weltweit fast überall der Ball ruht, wird in Belarus noch gespielt – sogar vor Fans im Stadion. Das Interesse aus dem Ausland ist deshalb groß: Vergangene Woche hat der Fußballverband einen Deal mit TV-Anstalten aus 10 Ländern – darunter Russland, Bosnien oder Indien – abgeschlossen. Wettanbieter berichten von deutlich mehr abgeschlossenen Wetten auf Spiele der Wysheyshaya Liha.
„Weil sich die Regierung nicht um uns kümmert, haben wir eine Verpflichtung den Kindern, Alten und den Menschen mit Vorerkrankung gegenüber. Die müssen wir schützen.“
Ein zweischneidiges Schwert – das weiß auch Alex: „Natürlich ist es gut für den Fußball. Viele Menschen schauen jetzt die Spiele. Trotzdem müssen wir aufpassen und dürfen nicht sorglos mit der Situation umgehen.“ Eigentlich ist er bei jedem Spiel im Stadion. Obwohl seine Mannschaft besonders jetzt auf die Unterstützung angewiesen ist, wird er die Partie gegen Schodsina von der heimischen Couch aus verfolgen.
„Wir haben uns entschlossen nicht mehr in die Stadien zu gehen. Weil sich die Regierung nicht um uns kümmert, haben wir eine Verpflichtung den Kindern, Alten und den Menschen mit Vorerkrankung gegenüber. Die müssen wir schützen“, sagt er. Fangruppen von mehr als der Hälfte der 16 Vereine beteiligen sich am Stadionboykott. „Wenn die Regierung nicht auf uns aufpasst, müssen wir das eben selbst tun.“
Derweil versucht Lukaschenko die Gefahren herunterzuspielen. Er bezeichnet das Virus als „Psychose“, rät zum Sport machen („beste Anti-Viren-Medizin“) und Traktorfahren. „Die Felder heilen jeden“, posaunte er durch die Medien. Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen erkrankt oder gestorben sind, gibt es nicht. Nach offiziellen Angaben sollen sich 300 Menschen infiziert haben. Zwei Todesfälle seien zu beklagen. Der 65-Jährige Lukaschenko wies seine Sicherheitsbehörden an, jeden Fall genau zu untersuchen, in dem jemand „fälschlicherweise“ einen Todesfall mit Corona in Verbindung bringe.
Doch trotz der staatlichen Informationsblockade, oder vielleicht genau deswegen, regt sich Widerstand in der Bevölkerung – nicht nur im Fußball. Studentengruppen machen sich für eine Schließung der Universitäten und Schulen im Land stark. An einer Universität war der erste offizielle Corona-Fall bekannt geworden. Eine Petition, die schärfere Präventivmaßnahmen gegen eine Ausbreitung des Virus fordert, wurde bislang von mehr als 20.000 Menschen unterzeichnet.
„Die Menschen in Belarus sind nicht dumm. Wir bekommen mit, was auf der Welt passiert. Aber trotzdem versucht die Obrigkeit, uns Informationen vorzuenthalten. Deshalb glaubt ihnen keiner“, beschreibt Alex die Lage vor Ort. Angst vor dem Virus haben er und die anderen Ultras allerdings nicht. „Wenn wir zu den Spielen fahren, müssen wir mehr Angst vor der Polizei oder den anderen Fans haben.“