Klaus Täuber, wenn Sie einen Moment in Ihrer Profikarriere noch einmal erleben könnten: Welcher wäre das?
Klaus Täuber: Ich würde gerne zwei Tage noch einmal erleben: Den Tag, an dem ich meine Unterschrift unter den ersten Profivertrag beim 1. FC Nürnberg setzte. Und den Tag, an dem wir vor 23 Jahren mit Bayer Leverkusen den Uefa-Cup gewannen.
Die Vorzeichen, dass der 18. Mai 1988 der größte Tag in der Vereinsgeschichte von Bayer Leverkusen werden würde, waren alles andere als gut.
Klaus Täuber: Das stimmt. Im ersten Finalspiel kamen wir bei Espanyol Barcelona mit 0:3 unter die Räder. Nach dem Spiel waren wir vollkommen perplex. Das war surreal. Wir hatten bis zu diesem Spiel so viel erreicht, hatten den neuen Deutschen Meister Werder Bremen ausgeschaltet, sogar im Camp Nou beim FC Barcelona gewonnen. Doch plötzlich schien alles verloren. Während des Rückflugs nach Deutschland liefen uns die Tränen über die Wangen.
Gingen Sie in das erste Finale zu siegessicher?
Klaus Täuber: Nein, denn auch Espanyol hatte große Brocken zur Seite geräumt – etwa die beiden Mailänder Klubs geschlagen. Und man wusste eh: Du kannst gegen jeden Gegner im Europapokal verlieren. Im Gegensatz zu heute, wo man viele Mannschaften der ersten zwei Runden kaum noch kennt, war das Feld in den internationalen Wettbewerben damals ausschließlich mit Topmannschaften bestückt.
Sie hatten überhaupt keine Hoffnung mehr?
Klaus Täuber: Direkt nach der Partie in Barcelona nicht. Gerade international ist ein 0:3‑Rückstand schwer umzubiegen. Wir hatten bis dahin ja kein einziges Auswärtsspiel verloren und kaum Gegentore kassiert. Dann hagelte es plötzlich drei Stück. Die Spanier kamen deshalb mit unglaublich breiter Brust nach Leverkusen – eigentlich auch nur, um den Pokal abzuholen.
Am Tag nach der 0:3‑Niederlage hing ein großer Zettel an der Tür zur Umkleidekabine, auf dem stand: „Noch 13 Tage“. Tags darauf: „Noch 12 Tage“. Sie versuchten sich gegenseitig zu motivieren?
Klaus Täuber: Je näher das Spiel kam, desto mehr kamen wir wieder auf die Beine. Wir kannten ja all die Fußballwunder, die es in der Vergangenheit gegeben hatte. Und wir stachelten uns gegenseitig an, auch wenn wir wussten, dass solche Aufholjagden nur alle 100 Jahre vom Erfolg gekrönt sind. Doch das war uns in den Tagen vor dem zweiten Finale egal. Wir hatten nichts mehr zu verlieren, und genau so wollten wir spielen. So gab es von der ersten Minute an nur eine Richtung: Auf das Tor der Spanier.
Zur Halbzeit stand es dennoch nur 0:0. Wie tief hingen die Köpfe in der Kabine?
Klaus Täuber: Wir hatten in der ersten Hälfte zahlreiche Möglichkeiten. Ein Tor wurde nicht gegeben, Bum Kun Cha traf den Pfosten. Der Glaube war aber immer noch da, auch in der Kabine. Wir dachten: Jetzt erst recht.
Herbert Waas schnaubte vor Wut, weil er nicht in der Startelf stand. Auch Sie wurden erst in der 62. Minute eingewechselt.
Klaus Täuber: Bei mir war die Situation etwas anders als bei Herbert Waas: Ich war verletzt, hatte einen Muskelfaserriss gehabt und konnte vor dem Spiel gar nicht trainieren. Ribbeck fragte mich noch unter der Woche, ob er mich denn überhaupt in den Kader berufen sollte. Ich sagte: „Trainer, auch wenn mein Bein gebrochen wäre, würde ich spielen!“ Ribbeck versprach mir daraufhin, dass er mich in der zweiten Halbzeit bringen würde.
Ihre Einwechslung und die von Herbert Waas brachte die Wende. Sie bereiteten beide die ersten zwei Tore vor.
Klaus Täuber: Wir spielten ab der 46. Minute alles oder nichts. Wir stürmten, stürmten, stürmten. Nach meiner Einwechslung standen vier Stürmer auf dem Feld, und wir wurden belohnt: Bum Kun Cha erzielte wenige Minuten vor Ende der Partie das 3:0. Wir glaubten, dass der Widerstand von Espanyol gebrochen war.
In der Verlängerung passierte dennoch nicht allzu viel. Niemand wollte ins offene Messer rennen.
Klaus Täuber: Das stimmt. Bitter war der Beginn des Elfmeterschießens. Wir spielten dieses sensationelle Finale, holten einen 0:3‑Rückstand auf, lagen nach der Verlängerung mit Krämpfen auf dem Rasen und dann verschoss Ralf Falkenmayer gleich den ersten Elfer. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Wir lagen wieder auf dem Boden. Erst Rüdiger Vollborn half uns wieder auf.
Nach Ihrem Elfmeter zum 3:2 brachen im Ulrich-Haberland-Stadion und auf den Straßen von Leverkusen alle Dämme. Hatten Sie jemals zuvor eine solche Euphorie in Leverkusen mitbekommen?
Klaus Täuber: Nein. Dieses Spiel war definitiv eines der intensivsten, das ich je erlebt habe. Über 120 Minuten hatten wir Spieler das Gefühl im wahrsten Sinne des Wortes von den Fans nach vorne gepeitscht zu werden. Ich war von den Fans auf Schalke natürlich verwöhnt, aber was an diesem Abend im Ulrich-Haberland-Stadion abging, war absolut phänomenal. Unvergessen! Wir waren ja wie in Trance. Man kann solche Spiele erst Tage später richtig reflektieren. Die Feierei hörte auch nicht in der Kabine auf.
Und Sie jubilierten einem Reporter zu: „Heute sauf ich, bis mir das Bier zu den Ohren rauskommt.“
Klaus Täuber: (lacht) Dieser Satz verfolgt mich mein ganzes Leben. Aber klar, wir waren völlig euphorisiert, so endorphingeschüttelt, da sagt man eben auch mal solche Sachen…
Bayer Leverkusen galt bis dahin als grauer Retortenverein, als der „Pillen-Klub“. Vollzog sich auch mit diesem Spiel ein erster Imagewandel?
Klaus Täuber: Auf jeden Fall. Wir bekamen nach dem Sieg unglaublich viel Zuspruch, und zwar nicht nur aus Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Wir sind einige Zeit später nach Japan geflogen, um bei einem internationalen Freundschaftsturnier mitzuspielen, und da merkten wir: Dieser Uefa-Cup-Sieg hatte Bayer über Nacht weltweit bekannt gemacht.
Was machte Bayer in dieser Saison international eigentlich so stark? In der Vorsaison rutschte Bayer Leverkusen erst am letzten Spieltag auf einen Uefa-Cup-Platz. In der Saison 1987/88 spielte die Mannschaft durchschnittlich, belegte am Ende nur den 8. Platz.
Klaus Täuber: Die Strukturen in Leverkusen waren bis Ende der 80er Jahre noch ganz andere als heute. Bayer war ja erst einige Jahre zuvor aus der 2. Bundesliga aufgestiegen, der Klub war noch am Wachsen. Außerdem hatten wir in dieser Saison viele Häuptlinge im Team, bestimmt acht oder neun, Indianer aber nur wenige. Es war insofern schwierig eine richtige Hackordnung in der Mannschaft zu etablieren. Dieses Team war alles andere als einfach zu führen.
Obwohl die Mannschaft durchaus die Qualität hatte in der Bundesliga oben mitzuspielen.
Klaus Täuber: Definitiv. Aber Bayer Leverkusen zeigte zwei Gesichter. In der Bundesliga ging nicht viel, dafür wuchs die Mannschaft im Europapokal richtig zusammen, jeder einzelne Spieler stellte seine Eitelkeiten, sein Ego hinten an. Das machte uns unglaublich stark: Wir verloren bis zum ersten Finale nicht eine einzige Partie.
Der damalige Trainer Erich Ribbeck gilt als Vater des Erfolgs. Was zeichnete Ribbeck in diesen Jahren aus?
Klaus Täuber: Ribbeck war ganz anders, als er häufig und vor allem während der EM 2000 in den Medien dargestellt wurde. Wer seine Meinung über Ribbeck nur über diese EM entwickelt, der hat ein verzerrtes Bild. Ribbeck war nämlich jemand, der unglaublich viel mit den Spielern sprach, er schaffte es, diese heterogene Bayer-Truppe zu einer Einheit zu formen.
Wie war Ihr persönliches Verhältnis zu ihm?
Klaus Täuber: Wir schätzten uns gegenseitig. Er war ein sehr geradliniger Typ, er ging fair mit seinen Mitmenschen um, sparte nicht mit Komplimenten. Und zwar nicht nur als Trainer, sondern auch im Privaten. Das mochte ich an ihm.
20 Jahre nach dem Uefa-Cup-Sieg hofft man bei Bayer Leverkusen wieder auf einen Titel. Heute gilt Bruno Labbadia als Motor. Was schätzen Sie an ihm?
Klaus Täuber: Ich muss zuallererst meinen Hut vor der gesamten Bayer-Mannschaft ziehen. Ich finde es toll, wie attraktiv, wie tempo- und trickreich Bayer momentan spielt. Und das ist mit Sicherheit auch ein Verdienst von Bruno Labbadia – der ja wie ich auch Stürmer war.
Inwiefern ähneln sich die Bayer-Mannschaften von 1988 und von 2008?
Klaus Täuber: Wir waren bei Bayer damals mit Tita, Bum Kun Cha, Schreier, Kastl, Waas und mir in der Offensive sehr breit aufgestellt. Heute hat die Bayer-Elf mit Kießling, Helmes, Augusto oder Barnetta ein ähnliches Potenzial. Allerdings war die 88er-Mannschaft ein Team von gestandenen Profis, wirklich junge Spieler gab es in der Stammformation kaum – Knut Reinhardt vielleicht.
Und wie ähneln sich die Trainer Erich Ribbeck und Klaus Täuber?
Klaus Täuber: Ribbeck war sicherlich eine Art Lehrmeister. Aber auch andere wie Diethelm Ferner oder Rinus Michels. In meinen ersten Trainerjahren habe ich stets überlegt: Was hat mir damals, in meiner Profizeit, an diesem oder jenen Trainer gefallen. Dann habe ich versucht die besten Momente zu übernehmen. An Ribbeck schätzte ich zum Beispiel, dass er stets den Dialog mit den Spielern gesucht hat. Dass er seine Entscheidungen im Vier-Augen-Gespräch begründete und den Spieler nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellte. Ribbeck hatte eine ehrliche, aber oftmals auch sehr direkte Art. So wie ich. Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb ich nie in der 1. oder 2. Bundesliga trainiert habe.
Es wäre aber ein Wunsch?
Klaus Täuber: Natürlich wäre es schön, Anfragen hat es auch gegeben, und ich stand oftmals kurz davor. Ich war Trainer der zweiten Schalke-Mannschaft, dann zwei Jahre bei Jahn Regensburg, fast wäre ich auch bei dem damaligen Zweitligisten Rot-Weiß Erfurt gelandet – die wollten dann aber einen Ostdeutschen. Im Übrigen bin ich eigentlich gar kein Trainer.
Bitte?
Klaus Täuber: (lacht) Mir sagte einmal ein Lehrer auf einem Trainerseminar: „Klaus, ein richtiger Trainer wird man erst, wenn man zum ersten Mal entlassen wird.“ Und das wurde ich bis heute noch nie.