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Dieses Inter­view erschien erst­mals im August 2020 in 11FREUNDE #225. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Ralf Minge, was haben Sie mit der Drei-Meter-Salami gemacht?
Die haben wir nach dem Halb­fi­nal­einzug gegen Vik­toria Buka­rest brü­der­lich in der Mann­schaft geteilt.

Eine Dresdner Metz­gerei hatte die Wurst vor dem Uefa-Cup-Halb­fi­nale im März 1989 für den ersten Tor­schützen aus­ge­lobt.
Wir waren zuvor sechsmal im Vier­tel­fi­nale eines inter­na­tio­nalen Wett­be­werbs aus­ge­schieden. Auch diesmal schien es, als würde uns das Pech an den Stie­feln kleben. In Buka­rest hatte Ulf Kirsten nach wenigen Minuten die rote Karte gesehen und viele von uns dachten: Das geht wieder nach hinten los!“ Aber wir spielten unent­schieden und gewannen das Rück­spiel in Dresden mit 4:0. Den Augen­blick, als die Flanke von Mat­thias Mauksch in den Straf­raum segelt, sehe ich bis heute glas­klar vor meinem geis­tigen Auge.

Auch das 2:0 war Ihr Tor. Und nach der Partie große Salami-Party in der Kabine?
Von wegen. Unser Coach hieß Ede“ Geyer. Nach Abpfiff durften wir mit unseren Frauen eine halbe Stunde in der Kabine bei­sam­men­sitzen, dann hieß es: Auf­sitzen und Abfahrt ins Sport­heim.

Wie bitte?
Geyer war schließ­lich vom alten Schlag. Für den war das Spiel abge­hakt und wir wurden wieder kaser­niert. Schließ­lich stand sams­tags das nächste Ober­li­ga­match an.

Und nie­mand hat auf­gemuckt? Es war der größte Erfolg der Dynamo-Geschichte.
Auf dem Papier waren wir Volks­po­li­zisten, wenn man so will eine mili­tä­ri­sche Dienst­ein­heit. Da lief vieles nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam. Zwar hielten sich unsere sons­tigen Pflichten in Grenzen, bis auf ein paar Grund­übungs­ein­heiten zum Dienst an der Waffe und ein biss­chen Mar­schieren am 1. Mai konnten wir uns voll auf Fuß­ball kon­zen­trieren. Aber in sol­chen Momenten war Geyer knall­hart. 1989 haben wir auch den AS Rom mit Rudi Völler aus­ge­schaltet. Er sagte später zu mir: Ralf, Ihr hattet eine Super­mann­schaft.“ Unser Trainer hat uns das nie gesagt.

Dynamo war immer mein Traum“

In den Acht­zi­gern waren Sie der erfolg­reichste Dynamo-Tor­schütze, obwohl Sie zuvor im Nach­wuchs­leis­tungs­system der DDR durchs Raster gefallen waren.
Mit 14 spielte ich noch bei der TSG Grö­ditz und war schon in der Aus­wahl des Kreises Riesa. Sowohl die kör­per­liche Ent­wick­lung als auch mein Talent reichten zu diesem Zeit­punkt noch nicht für den Sprung zu Dynamo Dresden. Ich war ein klas­si­scher Spät­zünder.

Wie, kein Talent?
Ich kam weit­ge­hend über den Willen, konnte gna­denlos mir selbst gegen­über sein.

Wie kamen Sie dann von der TSG Grö­ditz zur renom­mierten SG Dynamo Dresden?
Ich begann in Freital eine Aus­bil­dung als Instand­hal­tungs­me­cha­niker mit Abitur und wohnte im Internat. Da gab es einen Bolz­platz, aIuf dem ich drei Jahre für mich allein oder mit Hob­by­fuß­bal­lern trai­nierte.

Und am Wochen­ende spielten Sie in Grö­ditz in der zweiten DDR-Liga.
1979 waren wir in die Bezirks­liga (dritt­höchste DDR-Spiel­klasse, d.Red.) abge­stiegen, doch in dem Jahr zün­dete ich dann. Wir schafften ohne Nie­der­lage den Wie­der­auf­stieg und ich wurde mit großem Abstand Tor­schüt­zen­könig. Im Sommer spielten wir mit der TSG auch eine deutsch-deut­sche Freund­schafts­be­geg­nung gegen die Lich­ter­felder Sport-Union. Für den Staat bedeu­teten diese Spiele poli­ti­schen Klas­sen­kampf. Sie wurden des­halb sehr akri­bisch vor­be­reitet. Dynamo-Trai­ner­le­gende Walter Fritzsch betreute uns, ich spielte gut, wir gewannen das Spiel und er lud mich zum Pro­be­trai­ning nach Dresden ein.

Machten Sie sich große Hoff­nungen?
Es war immer mein Traum, für Dynamo zu spielen, aber ich wusste, es wird sau­schwer. Also rückte ich im Früh­jahr 1980 aus Freital in der S‑Bahn mit meinem Ruck­sack an und bewies mich erfolg­reich im Pro­be­trai­ning. So hatte ich am 1. Juli 1980 meinen ersten Tage als Spieler von Dynamo Dresden. Das war in der DDR der Tag der deut­schen Volks­po­lizei und Anlass für ent­spre­chenden Fei­er­lich­keiten. So auch bei Dynamo Dresden. Als ich ankam fand im Casino im Sta­dion gerade eine feucht-fröh­liche Feier der Funk­tio­näre statt und mir wurde gesagt: Nimm dir nen Ball, kick gegen die Wand und komm morgen wieder.“

Ich war damals noch sehr naiv“

In Ihrem ersten Spiel gegen Chemie Böhlen erzielten Sie direkt Ihren ersten Ober­liga-Treffer.
Bevor ich reinkam, gab der Schiri Frei­stoß. Ich lief in den Straf­raum. Mein Trainer Ger­hard Praut­zsch rief noch: Warten, warten, warten.“ Die Flanke von Ger­hard Heidler segelte in den Straf­raum und ich köpfte ein und erzielte mein erstes Tor. Das sind die Zufalls­mo­mente, bei denen in Trai­nern das Gefühl wächst: Viel­leicht wird aus dem ja doch irgendwas.“ Im Übrigen hatte Praut­zsch einen großen Anteil an meiner Ent­wick­lung, weil er auch sehr indi­vi­duell mit mir gear­beitet hat.

Sie wurden schon bald Stamm­spieler. Nicht zuletzt, weil Peter Kotte, Mat­thias Müller und Gerd Weber wegen Flucht­ver­dacht ent­lassen wurden. Angeb­lich hatten die Drei ein Angebot vom 1. FC Köln.
Es pas­sierte im Januar 1981. Die Natio­nal­mann­schaft war auf dem Weg zum Flug­hafen, um ins Trai­nings­lager nach Süd­ame­rika zu fliegen. Die Spieler wurden aber noch vor dem Abflug von der Staats­si­cher­heit fest­ge­nommen. Und teilte man mir, dass die drei auf­grund des Ver­dachts auf Vater­lands­verrat nie wieder für Dynamo Dresden spielen werden.

Hat das an Ihrem Welt­bild gerüt­telt?
Ich war damals zwar noch sehr naiv, aber den­noch scho­ckiert und wusste was für ein harter Schlag das war – sowohl für die Betrof­fenen als auch für unsere Mann­schaft. Es waren schließ­lich Leis­tungs­träger. Die Dimen­sion der sys­te­ma­ti­schen Über­wa­chung der Spieler wurde mir im Ganzen erst nach der Wende und der Ein­sicht in meine Stasi-Akte bewusst.