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Seite 2: „Zum Rapport bei der Stasi angetreten“

Hat man je ver­sucht, Sie in die Bun­des­liga abzu­werben?
1982 bekam ich einen als Fan­post getarnten Brief, der in Ost­berlin ein­ge­worfen wurde.. Darin wurde exakt geschil­dert, wie ich mich beim Euro­pa­cup­spiel in Kopen­hagen ver­halten müsse, um in den Westen zu gelangen. Ich war mir bis 20 Jahre nach der Wende aber nicht sicher, wie ernst­ge­meint dieses Angebot wirk­lich war. Dann näm­lich hat mich bei einem Sich­tungs­tur­nier in Bad Blan­ken­burg ein gewisser Adolf Remy ange­spro­chen, der sich als Absender des Briefes zu erkennen gab. In dem langen Gespräch erzählte Remy mir, dass er im Auf­trag des HSV gehan­delt habe.

Haben Sie mit dem Gedanken gespielt?
Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Zum einen hätte ich nicht ohne meine Familie und Freunde leben können. Zum anderen wusste ich, was so ein Schritt für sel­bige in diesem System bedeutet hätte. Dar­über hinaus fühlte es sich für mich wie ein Haupt­ge­winn an, Spieler dieser Dynamo-Elf zu sein. Mehr konnte ich mir damals nicht vor­stellen. Meine Sorg­lo­sig­keit erkennen Sie auch daran, dass ich den Brief erst nach der Rück­kunft aus Däne­mark bei den Funk­tio­nären ein­reichte. Im Übrigen liegt sel­biger heute in Kopie zuhause in meiner Sta­si­akte.

Und wie reagierten die?
Es gab ein Rie­sen­theater und ich musste zum Rap­port bei der Stasi antreten. Die konnten den Absender aber nicht eru­ieren.

Viele DDR-Spieler träumten damals von der Bun­des­liga.
Wissen Sie, mir ging es nie um das große Geld. Mir gefiel die ideelle Aner­ken­nung, die wir in der Stadt als Fuß­baller bekamen. Etwa, wenn mir eine Ver­käu­ferin in der Kauf­halle unbe­merkt eine Tüte mit Bananen in den Wagen legte oder mich nach dem Spiel gegen Buka­rest vor der Woh­nungstür zwei Fla­schen Bier – für jedes Tor eine – und eine Gir­lande von den Nach­barn emp­fingen. Diese emo­tional-mensch­liche Kom­po­nente, die das Leben in der Man­gel­wirt­schaft aus­machte, war mir viel mehr wert als Geld.

Im Uefa-Cup-Halb­fi­nale 1989 unter­lagen Sie dem VfB Stutt­gart. Nach der Nie­der­lage im Wunder von der Gro­ten­burg“ 1986 gegen Bayer Uer­dingen die zweite wich­tige Dynamo-Nie­der­lage in einem deutsch-deut­schen Duell.
In ent­schei­denden Momenten fehlte uns oft das nötige Selbst­ver­trauen, um dagegen zu halten. Da kam uns auch die poli­ti­sche Kom­po­nente in die Quere. Die strenge sozia­lis­ti­sche Erzie­hung. Schauen Sie sich nur unsere Kör­per­sprache an, nachdem wir gegen Uer­dingen das 5:3 fangen. Es war noch alles mög­lich, aber als Mann­schaft waren wir implo­diert. Die Köpfe und Schul­tern – alles hing runter. Da war keiner in der Lage, sich auf­zu­bäumen und das Heft des Han­delns in die Hand zu nehmen.

Auch in Ihrem letzten von 36 Län­der­spielen im März 1989 schei­terten Sie durch eine Nie­der­lage gegen die Türkei knapp an der Teil­nahme zur WM 1990.
Wir waren immer in Freund­schafts­spielen am besten oder wenn es nichts zu ver­lieren gab. Wenn es drauf ankam, fehlte es uns trotz der eigent­lich hohen indi­vi­du­ellen Qua­lität an besagtem Selbst­ver­trauen, eigene Ent­schei­dungen zu treffen.

Wir hatten vom Kapi­ta­lismus keine Ahnung“

Fehlte Ihnen auch per­sön­lich der Mut?
Ich gebe zu, dass ich in meinem ver­trauten Umfeld in Dresden meist bes­sere Leis­tungen abrufen konnte als in der Natio­nalelf.

Ralf Minge, wo waren Sie, als die Mauer fiel?
Zuhause in Dresden auf dem Sofa, ich hatte damals gerade zwei Knie­ope­ra­tionen hinter mir.

Kaum war die Grenze offen, hatten Ihre Mit­spieler wie Mat­thias Sammer oder Ulf Kirsten bereits lukra­tive Ver­träge in Lever­kusen unter­schrieben.
Keiner von uns konnte sich diese Dynamik vor­stellen. Von Ulf, mit dem ich eng befreundet bin, hörte ich, dass Lever­kusen anklopfte. Andreas Traut­mann, der mein Schwager war, erzählte, dass For­tuna Köln ihm, Hans Uwe Pilz und Atze Dös­chner ein Angebot machte. Das ging alles im Schweins­ga­lopp.

Sie hin­gegen been­deten 1991 mit gerade mal 30 Jahren ihre aktive Lauf­bahn.
Es ging nicht mehr. Ich spielte schon seit Jahren oft unter Schmerz­mit­teln, litt unter einem ange­bo­renen Rücken­leiden. Drei Ope­ra­tionen an Knie und Sprung­ge­lenk gaben mir schließ­lich den Rest.

Ungnade der frühen Geburt. Viele Ihrer Ex-Kol­legen machten nach der Wende richtig Kasse.
Das hat mich nie gekratzt. Ich hatte aus meinem Talent das Opti­male raus­ge­holt. Zum Abschluss hatte ich Dynamo als Kapitän in die Bun­des­liga geführt. Ich lebte mit meiner Familie in einer Drei-Raum-Woh­nung, nach der Wende hatte ich 60 000 West­mark durch den Umtausch auf der Bank. Ein guter Zeit­punkt für einen klaren Schnitt.

Bereits 1990 machte der Klub einen Deal mit dem Ham­burger Händler Dieter Bur­mester, der Dynamo zwanzig Audi 80 stellte und dafür auf dem Ver­eins­ge­lände seine Autos ver­kaufen durfte.
Wir kannten bis dato nur Ladas, Trabis und Wart­burgs. Der Audi roch ganz anders. Ich werde nie ver­gessen, wie wir die Karren in der Nähe von Ham­burg abholten: Wie die Kinder beim Kart­fahren rasten wir im Convoy zurück nach Dresden. Wir waren die Moto­ri­sie­rung gar nicht gewohnt, was da alles hätte pas­sieren können.

Dynamo nahm durch den Ver­kauf der Top-Spieler Mil­lionen ein, die schnell ver­si­ckerten. Und Sie heu­erten nach der aktiven Lauf­bahn als Geschäfts­führer-Azubi an.
Wir hatten vom Kapi­ta­lismus keine Ahnung. Natür­lich ahnte ich, dass etwas falsch läuft, aber ich wusste auch nicht, wie es anders gehen soll. Bereits im letzten Ober­li­ga­jahr machten wir gra­vie­rende Fehler.

Gute Jungs, aber völlig über­teuert“

Der Klub ver­pflich­tete abge­half­terte Bun­des­li­ga­spieler wie Peter Lux und Sergio Allievi.
Gute Jungs, aber völlig über­teuert. Lux ver­kaufte uns in der Kabine Sei­den­hemden für 40 Mark, die er drüben für zehn gekauft hatte. Unser Prä­si­dent rief manchmal im Über­schwang vor beson­deren Spielen: Wir ver­drei­fa­chen die Prämie.“ Und wir zahlten auf Jahre Lehr­geld für die Arro­ganz, uns in dieser Phase nicht pro­fes­sio­nelle Hilfe von außen geholt zu haben.

Im Januar 1992 wurden Sie Co-Trainer des West­lers Helmut Schulte.
Schöne Zeiten, aber auch eine Umstel­lung. Wir waren gewohnt, dass jeden Tag der Spieler vom Dienst“ dem Trainer mel­dete, die Mann­schaft sei – in Reih und Glied an der Grund­linie – zum Trai­ning ange­treten. Als Schulte das mit­bekam, dachte er, er sei im fal­schen Film und schaffte den mili­tä­ri­schen Drill ab.

Schulte und Sie wurden nur einen Monat später damit kon­fron­tiert, dass eine Zei­tung einige Dresdner Profis und Staff­mit­glieder als Stasi-Agenten ent­tarnte.
Es kam knüp­pel­dick. Wir spielten gegen den Abstieg, hatten kein Geld mehr und das auch noch. Helmut und mir war klar: Für die Situa­tion gibt es keine Lösung, wir müssen aber trotzdem eine finden.

Und?
Wir beriefen eine Sit­zung ein, um reinen Tisch zu machen und fragten, wer noch als IM gear­beitet hatte. Und im Raum schossen die Finger hoch.

Wie geht man als Trainer damit um? Das Ver­trau­ens­ver­hältnis im Team ist damit doch zer­stört.
Jeder Betrof­fene hatte seine Art des Umgangs. Viele ver­suchten, es abzu­schwä­chen. Andere erklärten, sie seien erpresst worden oder hätten bewusst nur Neben­säch­lich­keiten berichtet. Natür­lich war es furchtbar zu erfahren, wer alles mit­ge­macht hatte. Aber noch schlimmer war, dass es einige in der Sit­zung nicht anzeigten und es später dann doch rauskam. Einigen war damals offenbar gar nicht bewusst, was das bedeu­tete.