Kommerz, groteske Transfersummen, Kunden, statt Zuschauer – hier erzählen Fans, warum sie keine Lust mehr auf Fußball haben.
Fußballer, die mehr verdienen, als ganze Fankurven zusammen. Absurd hohe Transfersummen. Die Entfremdung vom Grundgedanken des Sports. Die Dominanz der reichen Klubs. Oberflächliche Spieler, korrupte Funktionäre, ignorante Entscheider. Die Auswüchse des modernen Fußballs sind vielfältig und oftmals unschön. Für unsere neue Ausgabe (ab sofort im Handel erhältlich) suchten wir nach Fans, denen der Spaß am Spiel vergangenen ist. Die sich einst in den Fußball verliebten und sich inzwischen enttäuscht davon abgewandt haben. Die die Schnauze voll haben.
Hoffentlich ein Wachrüttler
Sieben von ihnen stellen wir in der neuen Ausgabe vor (jetzt am Kiosk und bei uns im Shop) Viele weitere schrieben uns in Mails und Briefen von ihren Beweggründen, sich mehr und mehr von der großen Liebe zu entfernen. Warnrufe, die alle, die den Fußball schätzen, ernst nehmen sollten. Und die, die aus ihm noch den letzten Euro herausquetschen, auf dem Rücken der Fans und des Sports ihre Ziele durchsetzen wollen, hoffentlich wachrütteln.
In zwei Teilen veröffentlicht 11FREUNDE hier nun weitere Proteste aus der Fanszene. Die Meinungen spiegeln nicht immer die unsere wider. Nachdenklich stimmen sie allemal.
„Opa“ / 43
Schon seit vielen Jahren schreibe ich unter dem Pseudonym „Opa“ über meine Erlebnisse auf Auswärtsfahrten mit meinem Klub: der Alten Dame Hertha BSC. Als Herthaner ist man wahrlich leidgeprüft, in jedes Skandalfettnäpfchen scheinen wir mit Anlauf eine Arschbombe zu machen. All das, auch die Schrulligkeiten drumherum, haben meiner Liebe nichts anhaben können. Aber die immer schriller werdende kommerzielle Entwicklung macht mich müde, mürbe und wütend.
Ein paar Beispiele gefällig?
Nehmen wir das Stadionerlebnis: Teuer war es im Stadion schon immer, aber richtig ätzend wurde es, als man Bier aus einem Zahnputzbecher trinken musste, das von mit einfachsten Bestellungen überfordertem Hilfspersonal tapsig serviert wird, die einen dazu animieren sollen, diesen Vorgang mit einem Bezahlkartensystem zu bezahlen, obwohl jeder weiß, dass das erheblich länger dauert und man keinen Überblick über das Guthaben hat.
Herthas Merchandisingschweinereien
Oder wie wäre es damit: Ein von Kinderhand zusammengenähtes Stück Trikot, aus Recyclingmüll hergestellt, soll nunmehr 85 Euro kosten.
Von den sonstigen Merchandisingschweinereien wie Badeenten oder anderem lieblosem Plastikmüll mal ganz abgesehen, wird einem ein Lizenzprodukt geboten, was so erkennbar darauf abzielt, einem in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen. Vereinstreue haben es schwer, das zu ertragen und neue loyalisiert man damit sicher nicht.
Größter Hohn allerdings ist unser neuer Brustsponsor. Dass ein Wettanbieter mit einem Firmengeflecht, das in Steueroasen zerstreut ist, nun nicht das Allerseriöseste ist, was man sich so vorstellen kann, ist das eine. Aber was der seit ein paar Wochen an Werbekampagne fährt, ist derart billig und peinlich, dass es mir die Zornesröte ins Gesicht treibt. Da wirbt ein so genanntes Model im Trikot (aber ohne Höschen) mit zweideutigen Anspielungen, dass sie noch frei sei und nur darauf warte, dass man komme. Tiefer kann man kaum sinken.
Dumpfsinnstakkato im Stadion
Mittlerweile besuche ich regelmäßig Amateurspiele, um mich zu erden. Das Dumpfsinnstakkato im Stadion ertrage ich zwar noch, aber nur, weil die Menschen, mit denen ich das erlebe, mir etwas bedeuten.
Mario Autherith / 26
Mein erstes Spiel besuchte ich in der Saison 1993/94 im denkwürdigen Lehener Stadion mit meinem Vater, damals gewann Austria Salzburg (bzw.: SV Casino Salzburg) durch zwei Tore von Heimo Pfeiffenberger mit 2:0. Es folgte weitere sporadische Stadionbesuche, die aufgrund der damals schwierigen finanziellen Situation meiner Eltern durchaus als wunderschöne Abwechslung galten (verglichen mit den heutigen Eintrittspreisen waren die Karten damals ja quasi gratis). Meine erste Saisonkarte bekam ich dann von meiner Godi (zu deutsch: Taufpatin) in der letzten Saison im Lehener Stadion, dort wurde ich dann endgültig infiziert. Samstags war Fußball, alles andere war nebensächlich, auch auswärts war ich so gut wie immer dabei und so passierte es, dass meine Austria Salzburg (damals dann SV Wüstenrot Salzburg) zu einem der wichtigsten Teile meines Lebens wurde.
Ehrlichkeit, Underdog-Erfolge und Gemeinschaftssinn – alles weg
Was dann im Jahre 2005 im Zusammenhang mit Red Bull passierte, muss ich 11FREUNDE-Lesern ja nicht noch mal erzählen. Was die Sache mit der Übernahme allerdings noch trauriger machte, war das Unverständnis, auf das ich damals innerhalb meines Familien- und Freundeskreises stieß.
Weder meine Eltern, noch andere Verwandte oder Bekannte wollte verstehen, dass dies jetzt nicht mehr mein Verein war, dass dies ein Verein war, der etwas völlig anderes darstellte als all das, was ich an diesem wunderschönen Sport Fußball so liebe: Ehrlichkeit, Underdog-Erfolge und Gemeinschaftssinn.
Da beginnt das Problem mit dem heutigen Produkt, ja es ist kein Sport mehr sondern ein Produkt, Profifußball. Plötzlich wollten Menschen die sich maximal bei Welt- und Europameisterschaften für Fußball interessierten, mir erklären, wie Fußball zu sein hat, welche Aktivitäten Fans zu machen haben und wie ein Stadionbesuch auszusehen hat.
Schlechtes Vorbild Stars Wars
Fußball als Familienprodukt wurde plötzlich zur Realität. Man möge mich in dieser Beziehung als stumpfsinnig bezeichnen, doch ich finde, Fußball ist ein Proletensport und sollte es auch bleiben. Wenn Leuten das ihren Kindern nicht zumuten wollen, dann ist das okay, aber dann sollen sie auch nicht versuchen, den Fußball an Kinder anzupassen. Das ging auch schon bei den Star Wars-Filmen schief.
Ich finde, das Geld sollte sich dem Fußball, nicht der Fußball dem Geld anpassen. In Österreich geht es immer nur um Geld, von oben bis nach unten. Wenn eine Mannschaft in der Europa oder Champions League gut spielt, heißt es hier nicht etwa: Wow, wir freuen uns auf tolle Stimmung und tolle Spiele, mal sehen, was jetzt sportlich möglich ist! Sondern: Wie viel Geld kostet das? Was verdient man daran? Wenn man noch eine Runde weiter kommt, wie viel Kohle bekommt dann mein Verein? Finanzielles Interesse vor emotionaler Vorfreude. Geht´s noch?
Stefan Holstein / 39
Mich kotzt die Bundesliga einfach nur noch an. Ich selbst bin Fan des einmaligen, unbeschreiblichen, oft kopierten und nie erreichten SV Waldhof Mannheim. Seit 13 Jahren kämpfen wir in den Niederungen des deutschen Fußballs ums Überleben. Um wirklich irgendwann einmal wieder ganz oben mitzumischen, bräuchten wir schon einen steinreichen Geldgeber, aber das erscheint fast noch unrealistischer als ein sportlicher Durchmarsch. Eine solche Zeit, wie wir sie mit den legendären Waldhof-Buben einst hatten, ist heute schon gar nicht mehr vorstellbar. Selbst wenn Waldhof eine solche Generation heranzüchten würde, spätestens in der B‑Jugend würden die potenten Konkurrenten aus Hoffenheim oder Mainz diese Talente wegschnappen.
Die Faszination für Fußball lag für mich auch immer darin, dass ein Haufen guter Jungs zusammen etwas Großes schafft. Ich habe aber längst aufgegeben, mich mit Spielern zu identifizieren, Vereinstreue ist ein Wort, dass nur noch wir Fans benutzen. Und trotzdem bricht mir dieser Zustand das Herz.
Maximilian Fritz / 21
Meine große Liebe sind die guten alten Münchner Löwen. Der Satz alleine reicht eigentlich schon, um mein Desinteresse zu erklären. Doch die allgemeinen Entwicklungen im deutschen wie im europäischen Fußball können nichts dafür, dass mich mein Verein seit immer verarscht und mein größtes Glücksgefühl als Fan aus den gewonnen Relegationsduellen gegen Kiel resultiert.
Vielmehr stören mich andere Dinge, die seit Jahren absehbar waren und denen meiner Meinung nach nicht mehr beizukommen ist.
Die Spannung ist weg!
Da ist erstens die viel diskutierte Dominanz der Bayern. Ich versuche vor meinem Hintergrund als Anhänger des Lokalrivalen (oder wie man es auch nennen mag) selbstverständlich weitestgehend sachlich zu bleiben. Das fällt mir seit der Saison 13/14 erstaunlicherweise ziemlich leicht, was gleichzeitig das fortgeschrittene Stadium der Gleichgültigkeit ausdrückt, in dem mich bereits befinde. Wie schön war es beispielsweise, auf Ausrutscher der Roten unter Magath, Klinsmann, ja sogar van Gaal zu warten. Damals verfolgte ich die Spiele der Bayern hin und wieder, weil ich insgeheim natürlich auch versuchte, meinen blauen Frust mit roten Niederlagen aufwiegen zu können. Schande über mich, aber ich denke, den meisten Fußballfans sollte dieses Verhalten bekannt vorkommen. Mittlerweile sind mir die Spiele des Großkonzerns mit angeschlossener Fußballabteilung einfach nur egal. Ich schaue die Spiele einfach nicht mehr, es macht keinen Sinn, weil keine Spannung vorhanden ist.
Mir ist klar, dass ich im Fußball eine sehr traditionelle Sicht auf die Dinge pflege und schon mit 21 Jahren wie ein Ewiggestriger wirke. Aber ich habe einfach so ein verschwindend geringes Interesse daran, Duelle von Klubs anzusehen, die sportlich sicher ihre Daseinsberechtigung haben, vom Umfeld und ihrer Geschichte her jedoch niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. In der Bundesliga sind das Vereine wie Hoffenheim, Ingolstadt, Augsburg (ja, ich weiß, da kann man sich garantiert drüber streiten, die „Sky“-Quoten geben mir in dem Punkt aber recht), Wolfsburg, ehemals Paderborn, usw. Mir ist auch klar, dass die Traditionsvereine daran zu einem großen Teil selber schuld sind und es versäumt haben, ihre Strukturen zu erneuern und „mit der Zeit zu gehen“, wie man so schön sagt. Gefallen muss einem der Status quo aber deswegen noch lange nicht.
Betrug und Korruption
Es gibt noch etliche weitere Gründe: Plastikfans bei erfolgreichen Vereinen und bei EM und WM, radikale Kommerzialisierung, ohne sich ansatzweise um die Belange und Ansinnen der (zuviel) zahlenden Zuschauer zu scheren, Betrug und Korruption auf ALLEN Ebenen der relevanten Institutionen, die inzwischen groteske Champions League… Ich könnte leider ewig so weiter machen. Das Ergebnis ist, dass ich die Lust am Fußball verloren habe und zum Zyniker geworden bin. Und daran sind nicht mal nur die Münchener Löwen schuld.
Philipp Streckenbach / 21
Früher war ich Fan vom 1. FC Köln, ich war Dauergast bei den Spielen in der zweiten Liga. Vor drei Jahren zog ich nach La Paz in Bolivien, inzwischen lebe ich Buenos Aires. Einige Zeit versuchte ich, via Stream die Spiele meines FC zu sehen, doch mit der geografischen Distanz entfernte ich mich auch immer mehr vom deutschen Profifußball. So professionell, so durchkommerzialisiert, so glatt – so langweilig. In Bolivien und vor allem Argentinien habe ich bei den Spielen das gefunden, was ich im deutschen Fußball so vermisse: eine wilde, unberechenbare Fankultur, Fußballer, die wirklich noch Herzblut für ihre Klubs vergießen und ein Stück weit Anarchie, die der Bundesliga so gut tun würde. Mein Fazit: fußballerisch vermisse ich nichts.