Drei Gegentreffer aus dem Bernabeu aufholen? Friedhelm Funkel weiß, wie das geht. 5:0 siegte er einst mit Kaiserslautern gegen Real Madrid im Uefa-Cup-Viertelfinale 1982. Im Buch „Wenn der Betze bebt“ berichtet er von der magischen Nacht.
Real Madrid war damals wie heute der klangvollste und ruhmreichste Name in Europa. Namen wie Stielike, del Bosque, der legendäre Camacho und der dunkelhäutige Mittelstürmer Cunningham machten den Mythos Real aus, Trainer war der Jugoslawe Boskov. Die Viertelfinal-Auslosung verfolgten wir alle zusammen im Trainingslager. Wir jubelten über das Glückslos und freuten uns unheimlich darauf, uns mit einem solch gigantischen Gegner messen zu dürfen.
Wir wurden regelrecht zusammengetreten
Nach dem 1:3 im Hinspiel war die Stimmung dann deutlich gedämpft. Das Bernabeu-Stadion, das ich vorher nur aus Träumen kannte, behielt ich in schlimmster Erinnerung. Schon in der ersten Halbzeit wurde ich mit der Bahre vom Platz getragen und ins Krankenhaus eingeliefert. Del Bosque hatte mich voll am Knöchel erwischt, den Ball hatte ich noch an ihm vorbei spitzeln können, aber über sein ausgestrecktes Bein zu springen, schaffte ich nicht mehr. Die Ärzte dachten zuerst, der Fuß sei gebrochen, es handelte es sich aber „nur“ um eine schwere Bandverletzung. Eine Dreiviertelstunde nach mir wurde dann Hans-Peter Briegel eingeliefert. Auf dem Rückflug wurde kaum gesprochen. Die Madrilenen hatten uns regelrecht zusammengetreten, sie legten das als „internationale Härte“ aus.
Ich konnte eine Woche überhaupt nicht auftreten, an einen Einsatz in einem der beiden Bundesligaspiele, die zwischen Hin- und Rückspiel lagen, war überhaupt nicht zu denken. Erst einen Tag vor dem Rückspiel probierte ich es mit dem ersten Training. Als Kalli Feldkamp mich fragte, ob ich spielen könne, habe ich trotz Schmerzen ja gesagt. Ich wollte unbedingt dabei sein!
Als wir die kleine Treppe zum Spielfeld hochgingen, wurden wir von einer Woge der Begeisterung empfangen. Diese Enge im vollen Stadion – unbeschreiblich! Für die Zuschauer war es ja auch etwas ganz Besonderes: Mittwochabend, Flutlicht, Real Madrid…
„Habt keine Angst vor den Spaniern!“
Die Ansprache von Kalli Feldkamp vor dem Spiel war sehr deutlich gewesen. „Habt keine Angst vor den Spaniern“, sagte er, „und geht selbst bis an die Grenze des Erlaubten, bringt das Publikum hinter euch!“ Wir hofften, dass Schiedsrichter Palotai uns als Heimmannschaft besonders schützen würde und sich sein letztes internationales Spiel nicht verderben lassen wollte.
Ich bekam von Feldkamp unter anderem den Auftrag, Fouls zu provozieren. Mit dem Rücken zum Tor sollte ich Brehme auf links entgegen kommen und mich anspielen lassen. Die erste Grätsche kam dann auch bereits nach wenigen Minuten. Obwohl ich nicht so schlimm getroffen worden war, wälzte ich mich auf dem Boden und ließ mich auf dem Platz behandeln. Die Zuschauer tobten.
In der siebten Minute gelang mir der Führungstreffer. Nach einem Bongartz-Pass zog ich aus spitzem Winkel aus der Drehung ab – ein Ball, den Reals Keeper Agustin auf jeden Fall halten musste. Aber er hielt ihn eben nicht, sondern ließ ihn durch die Arme rutschen. Wenige Minuten später fiel schon das zweite Tor. Nach einer Flanke von rechts trudelte der Ball nach einem Schussversuch von Andy Brehme in hohem Bogen an die Latte, das Leder sprang mir genau vor die Füße. Nach einer Viertelstunde bereits hatten wir das Hinspielergebnis ausgeglichen – durch zwei Funkel-Tore…
Ich war da, wo’s wichtig war!
Man hat mir ja immer nachgesagt, ich würde keine normalen Tore schießen, nur Abstauber, Glückstreffer und Traumtore. Und es stimmt – von allen meinen Toren habe ich vielleicht eins außerhalb des Sechzehners erzielt, die allermeisten zwischen Fünfmeterraum und Elfmeterpunkt. Aus Zweikämpfen hielt ich mich sonst am liebsten raus. Ich war nicht da, wo’s weh tut, wie man so schön sagt. Nein, ich war da, wo’s wichtig war! So wie gegen Real.
Wir rechneten jetzt mit einem wütenden Anstürmen der Spanier, stattdessen aber verloren sie die Nerven. Eine gute halbe Stunde war gespielt, als San José nach bösem Einsteigen gegen Beppo Hofeditz vom Platz flog. Während wir wie im Rausch kombinierten und die Weißen immer wieder ins Leere laufen ließen, herrschte bei den Madrilenen das reine Chaos. An der Seitenlinie tobte Boskov und zeigte immer wieder mit beiden Händen die Zahl zehn an. Hannes Bongartz sollte endlich gedeckt werden, doch der war an dem Tag überhaupt nicht aufzuhalten. Auch dass Hans-Peter Briegel links offensiv spielte, hatte sie vollkommen überrumpelt. Er rannte immer wieder die Außenlinie hinunter und ließ sich durch nichts und niemanden stoppen. Alleine seine Präsenz und Dynamik hat die ganze Mannschaft mitgerissen. Hans-Peter behauptete den Ball selbst dann, wenn schon zwei Spieler auf ihm draufhingen.
Fünf Minuten vor der Pause startete Cunningham ein wildes Dribbling auf der rechten Seite. Briegel grätschte ihm von hinten in die Beine, doch er blieb am Ball. Als ich ihn auflaufen ließ, brannten ihm alle Sicherungen durch. Für sein Nachtreten gab es die rote Karte. Mit elf gegen neun ging es in die Pause.
In der Halbzeit ermahnte Kalli uns, genau so weiter zu machen wie bisher. Wir hätten auch gar keinen Gang zurückschalten können, aufgeputscht wie wir waren, mit diesem fantastischen Publikum im Rücken. Wir waren so laufstark und aggressiv, dass wir die Madrilenen bis aufs Blut gereizt hatten. Mit unseren beiden frühen Toren hatten wie sie völlig konsterniert, sie hätten nie damit gerechnet, dass es möglich wäre, beim kleinen 1. FC Kaiserslautern nach einem 3:1 noch auszuscheiden. Wir haben sie schlicht überrollt. Kurz nach der Pause startete Hannes Bongartz ein unwiderstehliches Solo auf der linken Seite. Nach zwei Übersteigern schlenzte er den Ball ins rechte untere Eck – ein wunderschönes Tor.
Beim Stand von 4:0 hatte Real die große Chance zum Ehrentreffer. Ich stand nach einer Standardsituation auf der Linie und klärte mit beiden Fäusten. Damals bekam man dafür noch nicht automatisch Rot. Statt eines sicheren Gegentors gab es Elfmeter für Madrid, den unser Teufelskerl auf der Linie parierte! Als Ronnie Hellström den Ball ins Toraus lenkte, ließen die Spieler von Real die letzte Hoffnung fahren. Kurz darauf flog der dritte Spanier vom Platz.
Eine Viertelstunde vor Schluss musste ich dann mit Adduktorenproblemen vom Feld. Es war ein unglaubliches Gefühl: Alles stand und jubelte, die Stimme von Stadionsprecher Udo Scholz dröhnte durchs Rund. Auf der Bank genoss ich die letzten Minuten.
Nie wieder so eine Stimmung auf dem Betzenberg
In der Kabine ging die Feier los, irgendjemand hatte Sektflaschen aufgetrieben, spät in der Nacht fuhren wir in unsere Stammpizzeria, wo wir noch bis fünf Uhr zusammen saßen. Es hätte sowieso niemand schlafen können nach diesem Spiel. Für mich war es eine unvergessliche Nacht – nicht nur wegen meiner beiden Tore. Mein Bruder und mein Vater waren zusammen mit einigen Freunden aus Neuss gekommen, sie blieben über Nacht in Kaiserslautern und feierten zusammen mit uns. Wolfgang sagte mir später, dass er selbst als Spieler nie wieder eine solche Stimmung auf dem „Betze“ erlebt hätte wie damals, als wir die Königlichen 5:0 besiegten.
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Von Eckel bis Klose – FCK-Helden erzählen von ihren größten Partien: „Wenn der Betze bebt“ (Johannes Ehrmann, 2010, Verlag Die Werkstatt)
17. März 1982
1. FC Kaiserslautern – Real Madrid 5:0 (2:0)
Lautern: Hellström – Wolf, Melzer, Dusek, Brehme – Geye, Bongartz, Briegel – Eilenfeldt (83., Brummer), Funkel (76., Eigendorf), Hofeditz
Madrid: Agustin – San Jose, Gallego, Sabido (70., Carcelen), Camacho – del Bosque, Stielike, Cortez – Hernandez (56., Isodoro), Pineda, Cunningham
Tore: 1:0 Funkel (7.), 2:0 Funkel (14.), 3:0 Bongartz (50.), 4:0 Eilenfeldt (56.), 5:0 Geye (73.)
Rot: San Jose (34.), Cunningham (40.), Pineda (67.)
Zuschauer: 34.500 (Betzenberg)