Sein Gelb-Rekord hielt 21 Jahre: Eisenfuß Tomasz Hajto über sein Zweikampfverhalten, die Meisterschaft der Herzen und geschmuggelte Zigaretten.
Tomasz Hajto, lassen Sie uns gleich zu Beginn Fakten schaffen: Ist Ihr Spitzname noch aktuell?
Sie meinen Gianni? Natürlich, meine Kumpels nennen mich fast alle noch so.
Wem haben Sie diesen phantastischen Namen zu verdanken?
Indirekt Gianni Versace. Verpasst haben ihn mir aber zwei meiner besten Freunde, Piotr Swierczewski und Tomasz Iwan. 1998 muss das gewesen sein. Ich bin damals nach Polen geflogen, zur Nationalmannschaft, und bei der Zwischenlandung in Warschau kam mein Gepäck nicht an. Ich brauchte dementsprechend dringend Unterhosen. Also bin ich mit Piotr und Iwan in einen Laden gefahren und habe mir vier Versace-Unterhosen gekauft. Schweineteuer waren die, umgerechnet 600 Mark musste ich zahlen, so viel Geld hatte ich davor für alle Unterhosen meines Lebens zusammen nicht ausgegeben. Aber sie sahen halt geil aus, der Name stand fett auf dem Bund, darauf fuhr ich damals irgendwie ab. Und danach hieß ich eben nicht mehr Tomasz, sondern Gianni …
In der Bundesliga kannte man Sie nicht als Paradiesvogel, sondern als beinharten Verteidiger, der weiter einwerfen konnte, als andere flankten. Haben Sie Ihre Würfe eigentlich trainiert?
Unter Huub Stevens ab und zu. Allerdings ging es eher darum, wie sich die Stürmer im Strafraum bewegen sollen, wenn ich werfe.
Hatten Sie denn verschiedene Techniken?
Quatsch. Ich habe den Ball einfach immer so weit und so doll in die Mitte geschleudert, wie ich konnte. Aber das war auch die beste Taktik, so habe ich viele Tore vorbereitet, unter anderem eins im Revierderby für Ebbe Sand. Damals war ich eine echte Einwurfmaschine – ohne Rücksicht auf Verluste. Fragen Sie mal bei Manuel Neuer nach.
Das müssen Sie uns erklären.
Ich arbeite als TV-Experte in Polen und neulich, nach einem Champions-League-Spiel, habe ich ihn interviewt. Danach fragte er mich: „Tomasz, weißt du eigentlich, dass du mich mal angebrüllt hast, als ich ein kleiner Junge war?“ Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. „Ich war Balljunge auf Schalke“, sagte er dann, „und dir anscheinend nicht schnell genug. Du hast mich angeguckt und geschrien: Gib mir den scheiß Ball, Mann!“
wuchs als Sohn eines Ingenieurs und einer Klavierlehrerin im Südosten Polens auf. Über Hutnik Krakau und den damaligen Topverein Gornik Zabrze landete er 1997 in Duisburg. Für den MSV, Schalke und Nürnberg kommt Hajto auf insgesamt 201 Partien in der Bundesliga, außerdem bestritt er 62 Länderspiele für Polen. In der 11 FREUNDE-Rangliste der härtesten Profis aller Zeiten landete er einst auf einem für ihn laut eigener Aussage enttäuschenden 23. Platz. In der Saison 1998/1999 sah er 16 Gelbe Karten. Bis zum heutigen Tag Bundesligarekord. Allerdings ist Klaus Gjasula vom SC Paderborn an diesem Wochenende gleichgezogen – und hat nun noch vier Spiele Zeit, Hajtos Rekord zu knacken.
Waren Sie damals zu verbissen?
Nein, ich war einfach nur ein harter Hund. Musste ich aber auch sein.
Wieso?
Weil ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der das Leben in Polen hart war. 1981 übernahmen die Generäle das Kommando im Land, da war ich gerade neun Jahre alt. Damals waren die Regale in den Supermärkten leer, wer Fleisch einkaufen wollte, brauchte dafür besondere Marken. Aber wir bekamen keine Marken. Sondern Besuch von der Polizei.
Warum?
Weil mein Vater in der Solidarnosc war. Was den Milizen bei uns im Ort nicht passte. Also durchsuchten sie unser Haus. Wenn du als kleiner Junge siehst, wie fremde Leute in deinen Sachen wühlen, wenn im Fernsehen Bilder gezeigt werden von Werftarbeitern, die erschossen werden, wenn es eine Sperrstunde gibt und du nach 19 Uhr nicht mehr auf die Straße darfst, wenn die Russen an der Grenze warten, um das Land zu überrennen, dann bekommst du es mit der Angst zu tun. Und legst dir irgendwann ein dickes Fell zu. Diese Jahre haben mich abgehärtet.
Haben Sie damals davon geträumt, Profi zu werden?
Einerseits irgendwie schon, dazu kann ich Ihnen gleich eine gute Geschichte erzählen. Andererseits habe ich aber auch erst mit 15 Jahren angefangen, im Verein zu spielen. Bis dahin habe ich immer nur auf einem Betonplatz neben unserer Schule gekickt. Und auch zig andere Sportarten ausprobiert. Ich habe Tischtennis gespielt, Handball, Volleyball, im Winter war ich Ski fahren. Ich komme aus Makow Podhalanski, das ist ein kleiner Ort südlich von Krakau, von dort ist man schnell in den Bergen. Dementsprechend oft war ich oben. Und wissen Sie was? Mit 14 Jahren war ich der drittbeste Slalomfahrer von allen polnischen Pfadfindern. Zumindest in einem Rennen.
Und doch wurden Sie Fußballer.
Weil ich es im Blut hatte. Mein Onkel, Ryszard Blachut, war ebenfalls Profi, er hat zum Ende seiner Karriere neben Hans Krankl für First Vienna gestürmt. Außerdem habe ich immer in den richtigen Momenten auf mich aufmerksam gemacht. Als Hutnik Krakau wegen eines anderen Spielers Scouts zu meinem Klub schickte, schoss ich ein Tor. In meinem ersten Derby gegen Wisla traf ich ebenfalls, danach wurde ich zur U21 eingeladen. Mit der U21 spielten wir dann in Holland, gegen Leute wie Marc Overmars. Zwanzig Meter vor der Kiste kam ich an den Ball und dachte: „Tomasz, wenn du jetzt schießt, laufen wir zumindest nicht in einen Konter.“ Also zog ich einfach ab – und der Ball war drin. Wir gewannen 3:0, schlugen danach noch England, auf einmal war ich in aller Munde. Und – jetzt kommt die versprochene Geschichte – von so einer Karriere hatte ich nicht nur geträumt. Ich hatte sie sogar angekündigt.