Jörg Heinrich erlebte nach dem Mauerfall bei Kickers Emden vier euphorische Jahre, die ihn für seine spätere Weltkarriere prägten. Erinnerungen eines „Ossis“ in Ostfriesland.
In den Folgejahren kamen immer mehr Spieler aus der ehemaligen DDR. Zeitweise lief Kickers mit mehr als einem halben Dutzend Ex-Ossis auf. Sie spielten insgesamt vier Jahre für den Klub.
Gleich im ersten Jahr stiegen wir in die dritte Liga auf. In der Saison 1993/94 ließen wir in der Oberliga trotz eines eher überschaubaren Budgets sogar die Zweitligaabsteiger VfB Oldenburg, Eintracht Braunschweig und den VfL Osnabrück hinter uns und wären um ein Haar aufgestiegen. Die Zuschauer rannten uns die Bude ein. Bei normalen Ligaspielen waren fast immer 2500 Zuschauer im Stadion, zu den Aufstiegsspielen kamen dann mehr als 10 000 Besucher zu den Spielen – knapp ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Emdens.
Wie müssen wir uns den Zusammenhalt im Team vorstellen?
Wir wurden von der Euphorie getragen und hatten das Glück, oft am Freitagabend unter Flutlicht zu spielen und dann am Wochenende frei zu haben. Nach Siegen haben wir oft spontan die Nacht zum Tag gemacht und kehrten mit der Mannschaft und den Frauen in die Emder Kneipe „Kulisse“ ein. Und manchmal endeten diese Abende in kleinerer Besetzung auch bei mir in der Wohnung.
Ihre alten Kumpels Detlev Uecker und Jörg Müller blieben nach der aktiven Zeit in Ostfriesland. Hätten Sie sich vorstellen können, in Emden alt zu werden?
Nein, das nicht. Denn es boten sich mir bald immer mehr Optionen, höher zu spielen. Im Frühjahr 1993 wurde ich von Eintracht Braunschweig zum Probetraining eingeladen. Schon auf dem Weg dahin war ich überzeugt, dass die mich haben wollen. Und so war es. Aber am Saisonende stieg Eintracht ab und ich entschied, noch ein Jahr in Emden dranzuhängen.
Mit anderen Worten: Das Ziel Profifußball nahm nun rasant Formen an?
Ich war mir irgendwann sicher, dass ich auch ein oder sogar zwei Klassen höher mithalten kann. Nach der Saison 1993/94 wurde ich zum „Oberliga-Spieler des Jahres“ gewählt und bekam etliche Angebote von Profivereinen.
„Nach Siegen haben wir oft spontan die Nacht zum Tag gemacht und kehrten mit der Mannschaft und den Frauen in die Emder Kneipe „Kulisse“ ein. Und manchmal endeten diese Abende in kleinerer Besetzung auch bei mir in der Wohnung”
Wie kam Ihr Wechsel in die Bundesliga zum SC Freiburg zustande?
Wieder ein Zufall. Freiburg-Präsident Achim Stocker machte wegen der guten Luft oft Urlaub an der Nordsee und wollte bei der Gelegenheit im Herbst 1993 einen Spieler vom SV Werder II beobachten, gegen die wir in der Oberliga antraten. Wir gewannen das Heimspiel mit 3:0, ich machte zwei Tore und war wohl ganz gut. Volker Finke hatte meinen Namen über seine alten Kontakte zum TSV Havelse auch mal gehört, sodass wir bald in die Verhandlungen einstiegen.
Keine Angst davor, in der Bundesliga zu scheitern?
Nein, ich habe mir das zugetraut. Der SC Freiburg hatte in der Vorsaison gerade so die Klasse gehalten. Zur neuen Saison verpflichtete Volker Finke zwei Spieler aus der zweiten Liga, dazu mich aus der dritten. Der hatte ein gutes Auge für Fußballer. Und ich dachte: Soviel besser als ich können die auch nicht sein.
Jörg Heinrich, was ist aus Ihrer Zeit in Ostfriesland geblieben?
Die Erinnerung an eine sehr erfolgreiche Zeit und viele nette Menschen, die dafür sorgen, dass ich immer gern nach Emden komme. Im Herbst ist dort dieses Spaßländerspiel Ostfriesland gegen die DDR (am 9. Oktober 2021 im Ostfrieslandstadion Emden, d.Red.) geplant, zu dem ich eingeladen wurde. Hoffentlich lassen es die Termine zu, dass ich da auflaufen kann. Ich würde gern die alten Leute und Emden mal wiedersehen.