Vor zwei Wochen beschossen Unbekannte den besetzten Mannschaftsbus von Fenerbahce. Seitdem sucht die Polizei die Täter – mit mäßigem Erfolg.
Ausgerechnet Emre, der Provokateur, ist jetzt ein wichtiger Mann. Am vergangenen Sonntag betrat er die ganz große Bühne: ein riesiger Saal, eine lange Tafel unter einem fetten Kronleuchter, an dem brav aufgereiht alle Kapitäne der 18 Ligaklubs saßen und schüchtern zum Kopf des Tisches blickten, an dem Präsident Recep Tayyip Erdogan thronte. Am Ende äußerte sich nur Emre öffentlich, denn er initiierte das Treffen. Es sollte nach den Schüssen auf den Mannschaftsbus symbolische Wirkung haben. „Wir stehen zusammen“, lautete die Botschaft.
„Der türkische Fußball bereitet mir große Sorge“
„Es ist typisch für den türkischen Fußball, dass jetzt Emre Belözglu, einer der aggressivsten Spieler der Liga, Vermittler in diesem Konflikt sein soll. Ausgerechnet er!“, sagt Harald Aumeier. Der Pädagoge schreibt Bücher über den türkischen Fußball und kennt die Fanszenen. Er ist selbst Fenerbahce‑Anhänger und lebt in Istanbul sowie in Berlin. Am vergangenen Dienstagabend diskutierte er in Berlin über die Rolle der Ultras bei den Gezi-Park-Protesten im Frühjahr 2013. Doch natürlich ging es auch um den Angriff auf den Mannschaftbus von Fenerbahce. „Der türkische Fußball bereitet nicht nur mir große Sorgen“, sagt er.
Auch für Aumeier sind die Trabzonspor-Fans verdächtig. An eine schnelle Aufklärung glaubt er aber nicht. Zumal nun schon wieder gespielt wird. Der Vorstand von Fenerbahce hielt sich nicht lange an seine Drohung, keine Spiele mehr auszutragen. Am Donnerstag ging der Pokal weiter, am Wochenende wird der abgesagte Liga-Spieltag von letzter Woche nachgeholt.
„Der Druck, der auf Fenerbahce lastete, war zu groß“, sagt Aumeier, „vor den Wahlen Anfang Juni wollten sie durch Spielabsagen nicht noch mehr Öl ins brennende Feuer geben.“ In der Türkei ist gerade Wahlkampf, die Absage im Fußball wäre einem Erdbeben gleich gekommen. Fenerbahce sei die „größte NGO“ des Landes, keine Organisation hat mehr Anhänger. Schätzungsweise 20 bis 30 Millionen Menschen hängen an „Fener“. Der mächtige Präsident Aziz Yildirim gilt zwar als politischer Gegenspieler von Staatschef Erdogan, doch der kompletten Saison fernzubleiben hätte eine Massenrevolte ausgelöst. Mit Fenerbahce als sturköpfigen Auslöser. Das wollten sie dann doch nicht.
Wohin taumelt der Fußball in der Türkei?
In der Türkei schlingert der Fußball von einer Krise in die nächste. Die türkische Liga, der immer schon das Klischee einer Chaosliga anhaftete, wird durch Vorfälle wie diese nicht attraktiver. Die meisten Spieler fühlen sich zwar gerade noch wohl. „Dieses Ereignis verdirbt das Bild der Türkei“, sagte Fenerbahce-Verteidiger Bruno Alves der türkischen „Spox“. Michal Kadlec aber fügt hinzu: „Es könnte sein, dass sich nach diesem Vorfall manche Spieler überlegen, ob sie in die Türkei wechseln.“
Und es ist längst nicht nur dieser Vorfall, der momentan dunkle Schatten auf den türkischen Fußball wirft. Dieser Tage müssen sich auch die Ultras der Istanbuler Vereine, die bei den Gezi-Protesten demonstrierten, für einen versuchten Putsch vor Gericht verantworten. Ihnen droht eine lebenslange Haft.