Dieter Kürten begleitet die Bundesliga seit 1963 und gilt als „Mister Sportstudio“. Heute wird er 85 Jahre alt. Ein Gespräch über Autofahrten im Schlafanzug und Mogelei im Studio.
Klingt sehr stressig.
Jeder wusste, dass er diesen Job nicht sein ganzes Leben lang würde machen können. Die körperlichen und psychischen Belastungen waren enorm. Man arbeitete viel allein, ein Feedback von der Redaktion gab es in aller Regel erst am Montag. Wenn man zum Beispiel wusste, dass etwas nicht ganz glatt gelaufen war, grübelte man den ganzen Sonntag lang.
Sie kamen kurz vor dem ersten Sendetag am 1. April 1963 zum ZDF. Wie müssen wir uns die Arbeitsbedingungen in der Sportredaktion damals vorstellen?
Kann man sich kaum vorstellen! Ich kam aus Düsseldorf nach Eschborn und hatte mich für meinen ersten Arbeitstag richtig schick gemacht: Kamelhaarmantel, teure Schuhe. Es regnete in Strömen, und als ich unsere Redaktionsräume sah, wusste ich schlagartig, ich war overdressed.
Inwiefern?
Wir waren in einem ehemaligen Bauernhof untergebracht. Hier standen jetzt Baracken. Die Regie saß in einem umgebauten Schweinestall, die Technik lagerte im früheren Kuhstall. Draußen grasten Schafe, und man kam nur über ausgelegte Bohlen in die Büros. Wenn es geregnet hat, war man dreckig bis ans Knie. Wir Sportredakteure fühlten uns selbst wie die Kanalarbeiter. Aber wir schafften. Auch wenn der Sport immer als Erstes aus der Planung kippte. Dabei gab es jeden Tag sowieso nur eine Meldung.
Sportjournalisten galten als Fans, die über die Bande gesprungen sind.
Der Vorwurf ist so alt wie der Job selbst. Auch im ZDF wurden wir zunächst belächelt.
Heute ist Sport, und vor allem Fußball, medial omnipräsent.
Das hat sich bereits damals abgezeichnet. Allerdings keinesfalls aus Überzeugung, sondern aus reinem Pragmatismus. Sport war für einige Programmverantwortliche ein notwendiges Übel. Aber die Sender haben sehr früh gemerkt, dass man mit Sport sehr preiswert Sendezeit füllen kann. Und Zuschauer gewinnt! Also dominierte der Sport zunehmend das Programm.
Ihre erste Moderation im „Sportstudio“ im Jahr 1967 dauerte drei Stunden und 18 Minuten. Das sind Sendelängen, die man sonst nur von Thomas Gottschalk kennt.
Heute undenkbar, aber damals hat man uns machen lassen. Ich hatte unter anderem drei Ingenieure zu Gast, die unseren Zuschauern die Funktionen einer brandneuen Magnetband-Aufzeichnungsmaschine erklären sollten. Das war ein riesiger Kasten, um den man herumgehen musste. Ich hatte den drei Herren das Wort erteilt und sie referierten sehr ausführlich. Ich glaube, allein dieser Teil der Sendung hat eine halbe Stunde gedauert.
In einer anderen Ausgabe im Jahr 1986 hatten Sie minutenlang keine Spielberichte, weil die Leitungen zusammengebrochen waren.
Genau. Ich saß da mit Jupp Heynckes und Steffi Graf und drohte, dass wir uns bald Witze erzählen müssten, weil ich nichts mehr zu senden hätte. Die Kollegen aus der Technik erklärten dann nach solchen Pannen gern: „Schuld ist die Post.“
Was hatte das zu bedeuten?
Während der ersten Jahre liefen alle Leitungen noch über die Post, sie wurden in einer Zentrale in Frankfurt, dem sogenannten „Stern“, gebündelt. Und wenn es da gehakt hat, mussten ganze Livesendungen mit allerlei Improvisation gerettet werden. Wir hatten sogar einen Pannen-DJ im Studio.
Einen was, bitte?
Eine Idee des damaligen Sportchefs, der die Kollegin Ursula Sternberg überzeugen konnte, als DJ zu fungieren. Also stand sie während der Sendung an einem Plattenteller. Und wenn etwas schief lief, spielte sie einfach ein bisschen Musik.
Im Internet gehen Neuigkeiten heute binnen Sekunden um die Welt. Wie sammelten Sie damals Informationen?
Wir telefonierten viel, waren immer im Kontakt mit den Protagonisten. Aber wenn Trainer oder Spieler nicht mit uns reden wollten, dann gingen sie uns aus dem Weg. Pressekonferenzen wie heutzutage gab es nicht. Dann hatten wir keine Chance auf exklusive Informationen. Deswegen musste man sich eben etwas einfallen lassen.
Verraten Sie uns Ihre Tricks?
Ich wählte häufig die Privatnummern der Trainer und hoffte, die Ehefrau würde den Hörer abnehmen. Mit viel Charme und kleinen Flirts entlockte ich den Gattinnen die eine oder andere Information, die ihre Männer am Kaffeetisch ausgeplaudert hatten.
Sie waren also die etwas andere Variante des „Witwenschüttlers“.
Das waren oft nur Häppchen, mit denen ich meine Vorberichte würzen konnte. Und die Frauen wussten irgendwann auch, was der Kürten wollte. Nicht selten haben die Lebenspartner angeordnet, dass sie mit mir, „dem Sauhund“, nicht mehr so viel quatschen sollten. Dann musste ich mich beim nächsten Mal besonders ins Zeug legen.
Dieter Kürten, wenn Sie auf diese Anfangsjahre der Fußballberichterstattung zurückblicken. Beneiden Sie die heutigen Kollegen um ihre Arbeitsbedingungen?
Und wie. Aber im Nachhinein möchte ich diese Zeit nicht missen. Nur als ich da drin steckte, war das nicht immer nur lustig. Aber es ging eben nicht anders. Die Vernunft blieb dabei oftmals buchstäblich auf der Strecke. Leidenschaft und Herzblut bestimmten unsere Arbeit.