Hitlergrüße im Block, SS-Banner an den Zäunen, Affenlaute auf den Tribünen. In Russlands Fußballkurven dominieren Neonazis und Hooligans. Oder?
Inwiefern?
Ich muss dafür ein bisschen ausholen, zurückgehen in die frühen Neunziger. Damals besaß ich einen Holzstock und ein Stofftuch, auf das ich das ZSKA-Wappen hatte. Im Stadion war ich allerdings nie, denn ich wuchs auf in Abchasien, einer Region im Süden des Kaukasus. Damals hatten wir nicht viel zum Leben, mein Vater konnte nach einem Autounfall nicht mehr arbeiten, meine Mutter ernährte die ganze Familie. Jeden morgen um vier Uhr fuhren wir aus unserem Heimatort Gagra ins 70 Kilometer entfernte Sotschi und verkauften dort Gemüse aus unserem Garten. In Sotschi gab es auch einen Fußball-Fanshop. Der Sehnsuchtsort meiner Kindheit. Ein Jahr lange sparte ich das Taschengeld, und eines Tages ging ich in den Laden und sagte: „Ich möchte einen ZSKA-Schal kaufen, bitte.“ Ich habe ihn heute noch.
Wann haben Sie Ihr erstes ZSKA-Spiel gesehen?
Saison 1995/96, ZSKA spielte auswärts bei Schemtschuschina Sotschi. Im Stadion schaute ich fast nur in die ZSKA-Fankurve, ich war so beeindruckt von den Fahnen und den bengalischen Feuern. Ich dachte: Es muss toll sein, mit deinem Verein überall hinzufahren. Dieses riesige Russland zu entdecken. Die ganze Welt zu bereisen. Nach dem Spiel wartete ich stundenlang vor dem Mannschaftsbus, um ein Autogramm von Sergei Semak (Semak machte 282 Spiele für ZSKA, d. Red.) zu ergattern.
In den neunziger Jahren herrschte Bürgerkrieg in Abchasien. Verschwand ZSKA in der Zeit aus Ihrem Blickfeld?
Im Gegenteil. Viele Nachbarn sind damals gestorben, wir lebten ein gutes Jahr als Flüchtlinge. Ich erinnere mich noch, wie wir durch die Häuserschluchten flohen, während Flugzeuge Bomben abwarfen – und ich die ganze Zeit an ZSKA dachte. Später schloss ich meine Schule ab und ging zum Studieren auf eine amerikanische Universität in die Türkei. Danach hätte ich in den USA weiterstudieren können, aber ich wollte unbedingt nach Moskau. Ich wollte endlich ZSKA nahe sein.
„CSKA Fans Against Racism“ existiert nun seit fast vier Jahren. Was haben Sie bislang erreicht?
Rassismus ist in russischen Kurven immer noch existent, und es ist noch ein weiter Weg, bis wir Verhältnisse wie in Deutschland haben. Das merke ich an dem Feedback, denn selbst Befürworter unserer Initiative können ein enges Weltbild haben. Einer schrieb mal: „Toll, dass ihr euch gegen Rassismus stark macht. Aber warum unterstützt ihr Schwule und Lesben? Das geht mir ein bisschen zu weit!“ Aber vieles ist besser geworden. Wir konnten den Klub überzeugen, dass er positive News generieren kann, wenn er unser Projekt unterstützt. Wenn er eine Initiative wie FARE als Partner begreift. Wenn er mit den Fans einen Dialog sucht.
Wie sieht es bei anderen Vereinen aus?
Vor allem Zenit und Spartak haben große Probleme mit Rassismus. Spartak musste in der vergangenen Saison fünf Spiele ohne Zuschauer austragen. Immerhin weiß ich, dass Fans eines anderen großen russischen Vereins ebenfalls eine antirassistische Initiative gründen wollen. Ich hoffe, sie bekommen Unterstützung.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich war in den vergangenen Monaten und Jahren auf vielen Konferenzen und Workshops in Russland, aber auch in Westeuropa. Ich habe Fanexperten und Fanforscher getroffen, neulich erst war ich in Berlin bei Hertha BSC und Union. So einen regen Austausch wünsche ich mir auch für Russland. Ein Fanprojekt wäre toll. Es sollte dann aber nicht „CSKA Fans Against Racism“ heißen, sondern für etwas stehen. „Red Blue Family“ fände ich gut. Oder noch besser: „CSKA for all“.