Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Arsène Wenger weiß es am besten.“ Das ist ein geflü­geltes Wort auf der Insel. Aber was, wenn selbst Wenger etwas nicht erklären kann? Ange­spro­chen auf den FC Sout­hampton, meinte Arse­nals Trainer nur: Das sind Wun­der­täter.“

Er ist bei­leibe nicht der Ein­zige, der die Ent­wick­lungen in Sout­hampton nur mit wal­tenden, über­sinn­li­chen Kräften zu erklären vermag. Es war im Oktober 2010, da verlor Sout­hampton mit 0:2 gegen Hud­ders­field und war Fünf­zehnter in der Dritten Liga. Nun, vier Jahre später, schoss die Mann­schaft Sun­der­land locker mit 8:0 ab. Und ist Tabel­len­dritter – in der Pre­mier League. Das allein wäre sen­sa­tio­nell, doch die Saints“ stiegen nicht nur inner­halb der ver­gan­genen vier Jahre aus der Asche empor, son­dern inner­halb der ver­gan­genen vier Monate.

Leis­tungs­träger gehen – für 120 Mil­lionen Euro

Dabei verlor der Klub im Sommer den erfolg­rei­chen Trainer Mau­ricio Pochet­tino (an Tot­tenham) und eine Viel­zahl seiner besten Spieler an die Kon­kur­renz. Selbst die eher nüch­terne BBC kon­sta­tierte: Der Klub wurde geplün­dert.“ Die Fluk­tua­tion der Spieler bei Sout­hampton war außer­ge­wöhn­lich – zumin­dest für einen Verein, in dem nicht Felix Magath im Amt ist.

Der Weg­gang von Top­stürmer Rickie Lam­bert zu seinem Her­zens­verein Liver­pool stand relativ zeitnah fest, Lam­bert ver­ab­schie­dete sich mit einem Abschieds­brief in der lokalen Zei­tung. Die Fans der Saints“ zeigten durchaus Ver­ständnis für Lam­berts Schritt, doch der Trans­fer­sommer sollte sie noch auf eine harte Probe stellen. In Sout­hampton gingen fast mehr Gebote ein als bei Sothe­by’s“, die Pre­mier-League-Ober­schicht wurde nach­ein­ander in Eng­lands Süden vor­stellig.

Luke Shaw ging für ver­laut­barte 37 Mil­lionen Euro zu Man­chester United, Adam Lal­lana trotz aller Treue­schwüre für 31 Mil­lionen Euro zu Liver­pool, Neu-Natio­nal­spieler Calum Cham­bers für 20 Mil­lionen Euro zu Arsenal. So ging es weiter. Fünf Stamm­kräfte gingen, der Erlös für Sout­hampton belief sich auf fast 120 Mil­lionen Euro.

Koeman und der leere Trai­nings­platz

Es war eine ver­rückte Zeit. Nie­mand wusste, was als Nächstes pas­sierte“, stellte Mit­tel­feld­spieler Steven Davis fest. Davis immerhin blieb im Team, wäh­rend um ihn herum in der Kabine Spinde geleert wurden. Neu-Trainer Ronald Koeman pos­tete auf Twitter ein Foto von einem leeren Trai­nings­platz mit dem Text: Ready for trai­ning“. Die Öffent­lich­keit rät­selte, ob der Nie­der­länder sein humo­ris­ti­sches Talent aus­lebe oder schlicht die Ironie seines Ein­trags ver­kannt habe. 

Doch die Neu­rei­chen erlagen nicht der Ver­su­chung, das fri­sche Geld für hoch­ka­rä­tige Star­ein­käufe aus­zu­geben. Mit Ronald Koeman kam ein inter­na­tional erfah­rener Trainer, der für die Trans­fers seine Exper­tise rund um den nie­der­län­di­schen Fuß­ball ein­brachte. Er holte Stürmer Gra­ziano Pellè aus Rot­terdam und Links­außen Dusan Tadic von Twente. Letz­terer legte in den ersten acht Sai­son­spielen sieben Tore vor, Pellè steht bei sechs Toren und zwei Assists. Der Ita­liener wurde nicht nur zum Natio­nal­spieler, son­dern auch zum Spieler des Monats“ in der Pre­mier League. Den Award für den besten Coach heimste Koeman ein.

42 Pässe bis zum Tor

Wäh­rend sein Vor­gänger vor allem auf die phy­si­sche Vor­be­rei­tung setzte, steht in Koemans Übungs­ein­heiten die Ball­si­cher­heit im Vor­der­grund. Dem Tor von Schnei­derlin zum 4:0 gegen New­castle ging eine Sta­fette von unglaub­li­chen 42 Pässen voraus, ohne dass der Gegner dazwi­schen kam. In den ver­gan­genen fünf Spielen ließ Koeman in einer 4 – 3‑3-For­ma­tion spielen, gerade der kom­plett neu zusammen gestellte Angriff mit drei Spitzen har­mo­niert und ist nur schwer aus­zu­rechnen. Die Mann­schaft steht jetzt kom­pakter in der Defen­sive und dosiert ihr Pres­sing“, sagt Adam Black­more, der seit zehn Jahren für die BBC über Sout­hampton berichtet.

Die Spieler scheinen Koeman blind zu folgen, sie bewegten ihn sogar dazu, an einem eigent­lich freien Tag zu trai­nieren. Die Spieler schätzen seine klare Ansprache und seine ruhige Art“, sagt Black­more. Der im Sommer noch wech­sel­wil­lige Mit­tel­feld­spieler Morgan Schnei­derlin blüht nun­mehr auf und spricht sogar von seinem Traum, in der Cham­pions League zu spielen – mit Sout­hampton wohl­ge­merkt. Daran glauben zwar selbst ein­ge­fleischte Fans nicht, doch die Über­ra­schung hat bei den Saints“ Methode. Und sie hängt mit einem deut­schen Groß­in­dus­tri­ellen zusammen.

Sout­hamp­tons Erfolg fußt auf meh­reren Säulen: Sie pro­fi­tierten von den Visionen eines Ita­lie­ners, der Pla­nung eines Eng­län­ders, dem Geschick von argen­ti­ni­schen und nie­der­län­di­schen Trai­nern und nicht zuletzt vom Geld einer deut­schen Unter­neh­mer­fa­milie. Medien berichten von 75 Mil­lionen Euro in den letzten fünf Jahren.

Im Jahr 2009 wollte der mil­li­ar­den­schwere Unter­nehmer Markus Lieb­herr einen Fuß­ball­verein über­nehmen. Der Mann, dessen Kon­zern unter anderem Bau­fahr­zeuge und Werk­zeug­ma­schinen her­stellt, beauf­tragte seinen Ver­trauten mit der Suche: den ita­lie­ni­schen Banker Nicola Cor­tese.

Sout­hampton stand zu dieser Zeit kurz vor der Insol­venz, Cor­tese ver­mit­telte den Deal zu einem nied­rigen Kauf­preis, kol­por­tiert wurden 15 Mil­lionen Euro. Lieb­herr nannte das ein Schnäpp­chen“, hielt sich aber ansonsten mit öffent­li­chen State­ments zurück. Er knüpfte seinen Ein­stieg jedoch an die Bedin­gung, dass eben sein Intimus Cor­tese zum Vor­sit­zenden des Klubs avan­ciere.

Die Erbin gegen den Vor­sit­zenden

Cor­tese prägte die fol­genden erfolg­rei­chen Jahre des Klubs maß­geb­lich. Er bezeichnet sich selbst als Per­fek­tio­nisten“ – gemessen an den Erklä­rungen von Ver­eins­mit­ar­bei­tern ist das sogar maßlos unter­trieben. Cor­tese soll gleich­zeitig den Scout, Manager, Vor­sit­zenden, Haus­meister und Archi­tekten in Per­so­nal­union gegeben haben.

So ver­wirrte er bei­spiels­weise Hand­werker wäh­rend der Errich­tung der Trai­nings­halle mit immer neuen Bau­vor­haben und fand im Umgang mit den Mit­ar­bei­tern nicht immer den sanf­testen Ton. Die Atmo­sphäre inner­halb des Klubs soll sehr unter­kühlt gewesen sein“, beschreibt es Oli Davis, seit über 20 Jahren Fan der Saints“. Cor­tese nahm zudem auf die Sen­ti­men­ta­li­täten des Tra­di­ti­ons­klubs keine Rück­sicht. Davis sagt: Er hat die Geschichte des Klubs total ver­nach­läs­sigt. Selbst eine Legende wie Matt Le Tis­sier wurde zu einer per­sona non grata.“

Das Pro­jekt über­lebt trotz der Abgänge

Im Januar 2014 dann, nach zwei Auf­stiegen und einem beacht­li­chen Start in die erste Liga, endete die One-Man-Show“ von Cor­tese relativ abrupt. Die Umstände hätten einer Tra­gödie von Shake­speare zu Ehre gereicht. Nach dem Tod von Patron Markus Lieb­herr 2010 hatte dessen Tochter Katha­rina den Verein geerbt und sich zunächst wie ihr Vater aus dem Geschäft zurück­ge­halten.

Dann aber über­warf sie sich mit Cor­tese, dem Ver­trauten ihres Vaters, über die Aus­ga­ben­po­litik des Klubs. Die Dis­so­nanzen wogen so schwer, dass Cor­tese seinen Rück­tritt erklärte. Medien spe­ku­lierten über die kalt­blü­tige Macht­er­grei­fung der Erbin, Fans befürch­teten nach Cor­teses Weg­gang den Ein­bruch des Sys­tems Sout­hampton“.

Doch das Pro­jekt, das der Ita­liener mit auf den Weg gebracht hat, über­lebt der­zeit auch unab­hängig von den Machern im Ram­pen­licht. Die Methoden des Ver­eins und das geis­tige Eigentum kon­zen­trieren sich nicht auf Ein­zelne“, fasste es der Tele­graph“ in einer langen Repor­tage über den Klub zusammen. Den Weg­gang des erfolg­rei­chen Vor­sit­zenden, des erfolg­rei­chen Trai­ners oder Stür­mers kom­pen­siert der Verein vor allem dadurch, dass er Lieb­herrs Geld weit­sichtig ein­ge­setzt hat, nicht nur auf dem Trans­fer­markt.

Der Klub for­cierte den Elite Player Per­for­mance Plan“, er inves­tierte in Jugend­teams von der F- bis A‑Jugend, ins Scou­ting, in die Trainer und in die Rah­men­be­din­gungen. Für 37 Mil­lionen Euro baute Sout­hampton ein neues Trai­nings­zen­trum mit zwölf ver­schie­denen Plätzen und Berichten zufolge sogar mit unter­schied­li­chen Ober­flä­chen, die jeweils den Rasen der Pre­mier-League-Gegner nach­emp­funden sind. 

Die Jugend­teams spielen in Mini-Sta­dien mit einer Kapa­zität von bis zu 4500 Zuschauern. In einer Art Black Box“ auf dem Trai­nings­ge­lände werden sämt­liche Spiele auf der ganzen Welt täg­lich ana­ly­siert. Sout­hampton arbeitet bei der medi­zi­ni­schen Betreuung der Youngster mit der Uni­ver­sität von Oxford zusammen. Jedes Jugend­team wird wie eine Pro­fi­mann­schaft betreut.



Vor­bild: Bar­ce­lonas La Masia

Seit 2010 ist der ehe­ma­lige Ver­bands­trainer Les Reed der Ver­ant­wort­liche für die Jugend­ar­beit. Die Spieler ziehen von 16 bis 21 jedes Jahr in einen anderen Raum um, bis sie die erste Mann­schaft auf dem anderen Ende des Gebäudes erreicht haben. So kann jeder Junge seinen Weg nach­voll­ziehen und hat ein greif­bares Ziel vor Augen“, erklärte Reed. Anre­gungen für die Aka­demie holten sich Reed und seine Kol­legen unter anderem bei Besu­chen in Bar­ce­lonas Talent­schmiede La Masia, aber auch in der Ten­nis­schule von Nick Bol­let­tieri.

Der Erfolg lässt sich nicht nur in der Tabelle ablesen. Der Verein hat sich einen Ruf zuge­legt, große Talente hevor­zu­bringen, dar­unter nicht gerade unbe­kannte Kicker wie Gareth Bale, Alex Oxlade-Cham­ber­lain, Theo Wal­cott oder zuletzt Adam Lal­lana. Alle ver­ließen den Verein. Auch der 19 Jahre alte James Ward-Prowse, nächster Hoff­nungs­träger der Jugend­aka­demie, soll bereits auf dem Zettel der großen Klubs stehen.

Sout­hampton regis­triert die neu­er­li­chen Anwer­bungs­ver­suche und reagiert mit einer Mischung aus Selbst­be­wusst­sein und Trotz. Im klub­ei­genen Video­trailer für diese Saison heißt es: Wir kaufen nicht Erfolg, wir bilden ihn aus. Und nehmen dabei keine Abkür­zungen, wir vedienen ihn uns. Wir sind die ›Saints‹, wir mar­schieren weiter.“ Ein schöner Gruß an die Kon­kur­renz.