Nach einem rassistischen Vorfall haben die Mannschaften von Paris Saint-Germain und Istanbul Başakşehir ihr Champions-League-Gruppenspiel am Dienstagabend abgebrochen. Ein starkes Zeichen, aber hoffentlich nur ein Anfang, sagt der Historiker und Aktivist Demba Sanoh.
Demba Sanoh, wie haben Sie von dem Vorfall beim Champions-League-Spiel zwischen Paris Saint-Germain und Istanbul Başakşehir erfahren?
Ich habe über Social Media davon mitbekommen, ich glaube, es war in einer Instagram-Story. Daraufhin habe ich mir bei Twitter Videos des Vorfalls angesehen.
Was waren Ihre ersten Gedanken?
Zunächst habe ich die Tragweite gar nicht begriffen. Später dämmerte mir dann, dass es ein besonders krasser Vorfall ist, weil er von den Schiedsrichtern und damit vonseiten der Offiziellen ausging. Das ist eine neue Qualität. Rassismus von den Rängen oder von Spielern untereinander kannte man ja schon, aber von den Schiedsrichtern?
Die Spieler beider Mannschaften haben sich daraufhin geweigert, die Partie fortzusetzen.
Wenn es in der Vergangenheit zu einem Spielabbruch kam, dann in der Regel, weil sich eine Mannschaft geweigert hat, weiterzuspielen. Ich erinnere mich zum Beispiel an Kevin-Prince Boateng, der zu seiner Zeit beim AC Mailand nach rassistischen Beleidigungen wütend den Platz verließ. Dass sich nun beide Mannschaften auf einen Spielabbruch geeinigt haben, ist ein Novum.
Ein starkes Zeichen?
Auf jeden Fall. Ich finde, es ist ein großartiges Zeichen, wenn Weltstars wie Neymar und Kilian Mbappé sagen: Da machen wir nicht mit! Zumal sich so eben nicht nicht nur die Mitspieler von Başakşehir mit ihrem Co-Trainer Pierre Webó solidarisiert haben, sondern auch die gegnerische Mannschaft. Auch dadurch bekam das ganze eine enorme Tragweite. Sogar meine Freundin, die sich gar nicht für Fußball interessiert, hatte die Schlagzeile am nächsten Morgen in ihrem Newsfeed.
ist Historiker und Aktivist. Als freier Autor publiziert er in verschiedenen deutschen Medien und hält außerdem Vorträge zu seinen Themenschwerpunkten Rassismus und Kolonialismus. Lange war er Fan des FC Schalke 04, doch nach den rassistischen Äußerungen von Clemens Tönnies hat er sich vom Profifußball abgewandt. Privat kickt er aber immer noch: In der Freizeitmannschaft SpVgg Birgit-Prinz Boateng. Instagram: @djmeltofficial
Lassen Sie uns über den konkreten Vorfall sprechen. Nach einem Foulspiel beschwert sich Başakşehirs Co-Trainer Pierre Webó lautstark über den Schiedsrichter. Darauf macht der Schiedsrichterassistent den Hauptschiedsrichter aufmerksam und benutzt dabei mehrfach das rumänische Wort „negru“ (schwarz). Das fasst Webó rassistisch auf. Möglicherweise auch, weil er an „négro“ denkt, eine rassistische Beleidigung aus dem Französischen.
Ich würde es anders formulieren: Er fasst es nicht rassistisch auf. Die Aussage an sich ist rassistisch! Da brauchen wir auch keine Wortklauberei betreiben, ob „negru“ jetzt ein rassistisches Wort ist oder nicht. Es geht nicht darum, ob jemand etwas rassistisch auffasst. Das ist die falsche Herangehensweise, weil sie Interpretationsspielraum impliziert, den es aber hier nicht gibt. Demba Ba hat es perfekt erklärt: Niemand sagt „Dieser weiße Typ da“, sondern einfach „dieser Typ“. Warum wird bei einer Schwarzen Person sofort die Hautfarbe herausgestellt? Der Schiedsrichterassistent weist auf die Hautfarbe des Co-Trainers hin, obwohl er das nicht tun müsste.
Wie hätte er sich stattdessen verhalten sollen?
Gerade in diesem Fall, in einem Champions-League-Spiel, erwarte ich von einem Schiedsrichtergespann, das sich professionell auf das Spiel vorbereitet hat, dass alle Beteiligten auch die Namen der Personen auf der Bank kennen. Selbst wenn einem der Name in der Hitze des Gefechts entfallen sollte, sollten die Schiedsrichter in der Champions League es hinbekommen, eine Person anders zu beschreiben als mit ihrer Hautfarbe.
Manche sagen, es habe sich lediglich um eine Beschreibung zur schnellen Identifizierung gehandelt.
Das ist ein sehr schwaches Argument. Denn es wird immer nur bei Menschen ins Feld geführt, die nicht weiß sind. Es ist eine faule Ausrede. Weiße Menschen sind es nicht gewohnt, auf ihre Hautfarbe reduziert zu werden. Für nicht-weiße Menschen ist es hingegen Alltag. Dass der Schiedsrichter Pierre Webó anhand seiner Hautfarbe beschreibt, ist Symptom einer strukturellen Diskriminierung.
„Man kann jede Menge assistische Dinge sagen kann, ohne rassistisch sein zu wollen“
Auf weiteren Videos ist zu sehen, dass die Schiedsrichter betonen, die Aussage sei nicht rassistisch gemeint gewesen.
Das ist aber nicht entscheidend. Gerade in Deutschland wird in der Diskussion um Rassismus sehr häufig auf die Intention verwiesen. So war es auch kürzlich bei Steffen Freund, als er das Fehlverhalten von Nabil Bentaleb und Amine Harit mit deren Herkunft in Verbindung gebracht hat. Da hat er anschließend genauso argumentiert: Wer ihn kenne, wisse dass er kein Rassist sei und es sei überhaupt nicht rassistisch gemeint gewesen. Die Intention spielt aber gar keine Rolle.
Weil?
Weil man jede Menge rassistische Dinge sagen kann, ohne rassistisch sein zu wollen. Das liegt daran, dass wir in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft aufwachsen und sozialisiert werden.
Wie jetzt bekannt wurde, gab es offenbar auch antiziganistische Beleidigungen von der Basaksehir-Bank in Richtung der rumänischen Schiedsrichter.
Leider sind die Aufnahmen zur angesprochenen Szene schwer zu verstehen und es ist nich deutlich ersichtlich, wer die Äußerungen tätigt. Auf mich wirkt es eher so, dass der Beteiligte Istanbuls anhand des Beispiels des Z‑Wortes versucht zu verdeutlichen, was das Problem mit der rassistischen Bezeichnung Webós ist. Zitat: „In my country Romanians are Gypsies. But I can’t say that.“ Mal abgesehen davon, dass er in seinem Beispiel selbst rassistische Sprache benutzt, um zu verdeutlichen, dass eine geläufige Bezeichnung in einem Land trotzdem rassistisch sein kann, und das natürlich nicht der richtige Weg ist, ist es schwierig das Gespräch genau zu verstehen. Aber für mich ist es generell nicht unvorstellbar, dass es zu antiziganistischen Äußerungen gekommen sein könnte und wenn dem so gewesen sein sollte, muss das logischerweise genauso Konsequenzen haben für die Beteiligten.
Muss dieser Vorfall bei der Bewertung des Spielabbruchs berücksichtigt werden?
Die symbolische Tragweite des Spielabbruchs schmälert das in meinen Augen nur bedignt, denn auf der einen Seite zeigt dieser Vorfall, wenn er sich bewahrheiten sollte, dass Rassismus in all seinen Dimensionen noch nicht umfassend wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite belegt der Spielabbruch, dass sich langsam etwas tut und sich trotz fehlenden Wissens bezüglich aller Formen von Rassismus ein Bewusstsein entwickelt, auf dem aufgebaut werden kann. Das wäre in diesem Fall natürlich nur ein schwacher Trost und ich möchte in keiner Art und Weise antiziganistischen Rassismus verharmlosen. Der Vorfall könnte allerdings beispielhaft zeigen, warum die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit Rassismus im Fußball und in der Gesellschaft besteht. Wir wissen leider nicht, von wem diese Äußerungen ausgegangen sein sollen, aber insbesondere wenn er von weißen Spielern gekommen sein sollte, beweist es, dass wir mehr rassismuskritische Bildungsarbeit brauchen. Denn es kann nicht sein, dass sich nur mit einer „bestimmten“ Art von Rassismus solidarisiert wird.