Nach einem rassistischen Vorfall haben die Mannschaften von Paris Saint-Germain und Istanbul Başakşehir ihr Champions-League-Gruppenspiel am Dienstagabend abgebrochen. Ein starkes Zeichen, aber hoffentlich nur ein Anfang, sagt der Historiker und Aktivist Demba Sanoh.
Die UEFA hat bislang nur mit einer kurzen Stellungnahme reagiert, in der sie ankündigt, den Vorfall zu untersuchen.
Sie äußert sich überhaupt nicht zum konkreten Fall. Am meisten stört mich jedoch der Satz „Rassismus und Diskriminierung in all ihren Formen haben im Fußball keinen Platz.“ Das ist eine Wunschvorstellung. Wir sehen doch, dass Platz dafür ist. Fußball ist ein gesellschaftlicher Raum, natürlich gibt es dort die gleichen Probleme wie in der restlichen Gesellschaft. Das gilt auch für Rassismus. Dieses Problem anzuerkennen, wäre viel ehrlicher. Und sich dann zu überlegen: Was können wir dagegen tun?
Was können sie denn tun?
Auf jeden Fall mehr, als den Spielern Banner in die Hand zu drücken und vor jedem Spiel den gleichen Promofilm mit „Say no to Racism“ in zehn verschiedenen Sprachen laufen zu lassen. Es braucht den Willen auf Funktionärsebene, etwas zu ändern. Ich kann diese dicken weißen Funktionäre, die sich auf der Tribüne ihre Bratwurst reinschaufeln und ihre Spieler alleine lassen, nicht mehr sehen. Es braucht ein Umfeld, in dem Spieler sich sicher genug fühlen, den Mund aufzumachen und wenn es nötig ist auch für weitere Spielabbrüche zu sorgen.
Laut Regelwerk der UEFA sind eigentlich die Schiedsrichter dafür zuständig, Spiele bei rassistischen Vorfällen abzubrechen.
Das war in diesem Fall natürlich schwierig. (Lacht.) Aber grundsätzlich würde ich mir hier viel mehr Sensibilität wünschen. Es kann nicht sein, dass ein Spieler eine Rote Karte kassiert, weil er nach rassistischen Beleidigungen den Ball in die Hand nimmt oder auch mal den Mittelfinger zeigt. Da muss das Spiel einfach sofort abgebrochen werden.
Sie haben ein sicheres Umfeld für die Spieler angesprochen. Wie kann so etwas aussehen?
Wie es gehen kann, zeigt die NBA. Während des Finalturniers in Florida hat sie den Spielern zahlreiche Möglichkeiten gegeben, sich an den „Black Lives Matter“-Protesten zu beteiligen. Mehr noch: Sie hat sich ganz klar solidarisiert. Nicht nur mit Botschaften auf den Trikots und dem Spielfeld, mit Videos und Slogans, sondern indem sie die Spieler aktiv ermutigt hat, sich zu engagieren. Auch, indem sie den Teams zum Beispiel erlaubt hat, ihre Hallen als Wahllokale zu nutzen.
„Es muss Raum für Protest geben – auch auf dem Spielfeld“
Was braucht es aus Ihrer Sicht noch?
Konsequenzen! Als Clemens Tönnies sich rassistisch geäußert hat, gab es bis auf eine dreimonatige Auszeit keinerlei Konsequenzen. Da hat ein komplett weißes Gremium entschieden, dass seine Äußerung nicht rassistisch gewesen sei. Als sich der Besitzer der LA Clippers 2014 in einem Telefonat rassistisch geäußert hat, hat die NBA ihn gezwungen, das Team zu verkaufen. Das sind Konsequenzen, wie ich sie mir wünschen würde.
Wünschen Sie sich auch vonseiten der Spieler mehr Engagement?
Definitiv. Es gibt zu wenig Solidarität. Wie sich zum Beispiel Toni Kroos und Thomas Müller zum Fall Mesut Özil geäußert haben, fand ich beschämend. Sie haben ihn in keinster Weise vor den Anfeindungen geschützt. Oft fehlt es schon am Verständnis dafür, dass Solidarität gegenüber nicht-weißen Spielern überhaupt notwendig wäre. Mir fehlen Spieler, die sich zu gesellschaftlichen Themen positionieren und zwar über das hinaus, was offizielle Linie der Verbände ist. Es braucht klare Positionierungen in Interviews. Nach Hanau, dem schlimmsten rechten Terroranschlag seit der Wiedervereinigung, war es mir viel zu still. Vor allem von Seiten der Spieler, deren Familien von dem Anschlag wahrscheinlich nicht betroffen gewesen wären.
Können Aktionen wie der Spielabbruch am Dienstagabend dazu beitragen, dass sich etwas ändert?
Ich hoffe, dass es ein Weckruf ist, ein Beispiel, an dem sich andere Spieler orientieren können. Denn da kam in den letzten Jahren relativ wenig. Wenn in der Vergangenheit Spieler mit Affenlauten beleidigt wurden, haben sich Mitspieler häufig eben nicht solidarisiert, sondern versucht, die Betroffenen zum Weiterspielen zu überreden. Das kann nicht sein. Ich glaube, durch Aktionen wie diesen Spielabbruch spüren die Spieler, welche Macht sie haben. Sie ermächtigen sich gegenseitig, Botschaften auch auf das Spielfeld zu tragen.
An den „Black Lives Matter“-Protesten haben sich auch Spieler in der Bundesliga beteiligt. Allerdings nahm hier der DFB-Kontrollausschuss die Ermittlungen wegen unerlaubter politischer Botschaften auf. Von einer Strafe sah der Verband aber ab.
Aber allein die Tatsache, dass überhaupt ermittelt wird, ist unfassbar. Da muss sich etwas ändern. Es ist ja nicht so, dass Jadon Sancho Werbung für die CDU macht. Er macht darauf aufmerksam, dass in der westlichen Welt Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe sterben. Dafür muss es Raum geben – auch auf dem Spielfeld.