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Pro­fessor Sin­geln­stein, ihr Pro­jekt will Poli­zei­ge­walt aus der Per­spek­tive von Opfern erfor­schen. Warum?
Die Polizei ist befugt, in bestimmten Situa­tionen Gewalt anzu­wenden, um poli­zei­liche Maß­nahmen durch­zu­setzen, wenn es gar nicht anders geht. Das tut sie tau­send­fach jeden Tag. Natür­lich pas­sieren dabei Fehler und kommt es auch zu Miss­brauch. Das wollen wir unter­su­chen, weil das ein Bereich ist über den es bisher nur sehr wenige Erkennt­nisse gibt.

Wie kommen Sie zu der Erkenntnis, dass Poli­zisten ihr Gewalt­mo­nopol miss­brau­chen würden?
Es gibt Sta­tis­tiken der Staats­an­walt­schaften, die Ver­fahren gegen Poli­zei­be­amte wegen rechts­wid­riger Gewalt­aus­übung geson­dert zählen. Darin sehen wir, dass es mehr als 2100 sol­cher Ver­fahren pro Jahr in Deutsch­land gibt. Und das ist nur das Hell­feld, also die Fälle die zur Anzeige gebracht werden. Sehr viele von diesen Ver­fahren werden ein­ge­stellt und nur ein ganz geringer Teil – weniger als drei Pro­zent – wird ange­klagt und kommt des­halb vor Gericht. Wir wollen das sys­te­ma­tisch unter­su­chen und auch einmal die andere, die Seite der Betrof­fenen hören. Was sind das eigent­lich für Situa­tionen? Wie ent­wi­ckeln sie sich? Wie gehen die Betrof­fenen nachher damit um? Wie sieht das Dun­kel­feld aus?

Welche Methode haben Sie für Ihre Studie gewählt?
Die Studie glie­dert sich in zwei Teil­pro­jekte. Zum einen die quan­ti­ta­tive Opfer­be­fra­gung, die gerade durch­ge­führt wird. Wir haben uns dabei für einen Online­fra­ge­bogen ent­schieden, den Betrof­fene aus­füllen können. Die Befra­gung ist anonym, was gängig ist bei sol­chen Befra­gungen. Im zweiten Pro­jekt­teil werden wir Inter­views mit Experten führen, wie etwa Rich­tern, Straf­ver­tei­di­gern und Opfer­be­ra­tungs­stellen, um die Ergeb­nisse des ersten Teils mit Exper­ten­mei­nungen abzu­glei­chen.

Warum spre­chen Sie für Ihre Studie explizit Fuß­ball­fans an?
Weil wir annehmen, dass das ein Bereich ist, der in einem beson­deren Maß betroffen ist. Es gibt zwi­schen Fans und Polizei viel Kon­takt und ein schon länger eta­bliertes Kon­flikt­ver­hältnis. Des­halb gehen wir davon aus, dass es in diesem Kon­flikt­ver­hältnis auch häu­figer zu sol­chen Vor­fällen kommt, als in anderen gesell­schaft­li­chen Berei­chen.

Spielen da nicht auch noch andere Gründe eine Rolle, als dieses Kon­flikt­ver­hältnis?
Natür­lich, da spielen eine ganze Reihe von Gründen eine Rolle, die diese Kon­takte prägen. Welche das genau sind, wollen wir mit unserer Studie gerade unter­su­chen. Zugleich ist die Polizei in der jün­geren Ver­gan­gen­heit bemüht, den Bereich Fuß­ball deut­lich stärker zu regu­lieren, was natür­lich nicht ohne Folgen bleibt.

Nach Aus­ein­an­der­set­zungen zwi­schen Fuß­ball­fans und Polizei werden häufig Szenen dis­ku­tiert, die sich für den unbe­tei­ligten Beob­achter sehr ein­deutig abge­spielt haben. Aber ab wel­chem Punkt ist die von Ihnen unter­suchte Poli­zei­ge­walt rechts­widrig?
Es ist gesetz­lich kon­kret gere­gelt, in wel­chen Situa­tionen die Polizei Gewalt ein­setzen darf, um bei­spiels­weise eine Fest­nahme oder einen Platz­ver­weis durch­zu­setzen. Der Ein­satz von Gewalt ist dabei immer die ultima ratio“ und muss stets dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit genügen. Er muss also erfor­der­lich sein, das heißt es darf kein mil­deres Mittel geben, und er muss ange­messen sein, also im Ver­hältnis zum eigent­li­chen Anlass stehen.

War die Beschaf­fung der Zaun­fahne der Ber­liner Gäs­te­fans durch die Dort­munder Polizei ein gerecht­fer­tigter Vor­gang?
Wie der kon­krete Vor­fall recht­lich zu bewerten ist, hängt von einer Reihe von Umständen ab und ist aus der Distanz schwer zu bestimmen. Jeden­falls musste der Polizei aber klar sein, welche Folgen dieses Vor­gehen haben würde.

Laut dem For­schungs- und Umfra­ge­institut Forsa zählt die Polizei zur ver­trau­ens­wür­digsten gesell­schaft­li­chen Gruppe. Auch eine Sta­tista-Umfrage kommt zu Zustim­mungs­raten von über 80 Pro­zent. Warum braucht es da noch ihre Studie?
Ich sehe da keinen Wider­spruch. Die Polizei gilt schon sehr lange als eine der ver­trau­ens­wür­digsten gesell­schaft­li­chen Insti­tu­tion. Gleich­zeitig will eine Mehr­heit der Bürger, dass sie nur im Rahmen ihrer gesetz­li­chen Befug­nisse han­delt. Sie darf unter bestimmten Vor­aus­set­zungen Gewalt ein­setzen. Diese beson­deren Befug­nisse bedürfen aber eben auch einer beson­deren Kon­trolle, um Feh­lern und Miss­brauch ent­ge­gen­zu­wirken. Anhand der Staats­an­walt­schafts­sta­tistik sehen wir aber, dass diese Kon­trolle bis­lang nicht son­der­lich gut funk­tio­niert. Des­halb brau­chen wir eine gesell­schaft­liche Debatte.

Kittet ihr For­schungs­pro­jekt gesell­schaft­liche Risse eher, oder för­dert es sie sogar?
Ich glaube, dass wir eine ehr­li­chere Aus­ein­an­der­set­zung über solche Vor­fälle brau­chen. Sowohl in der Polizei, als auch gesamt­ge­sell­schaft­lich. Kör­per­ver­let­zung im Amt kann auch zu einem Pro­blem für die Legi­ti­mität von poli­zei­li­chem Han­deln werden, wenn Fehler in Form rechts­wid­riger Gewalt­an­wen­dung nicht auf­ge­ar­beitet und auf­ge­klärt werden.

Haben Sie Hin­weise für Betrof­fene von Poli­zei­ge­walt, wenn sie meinen, unrecht­mäßig ange­gangen worden zu sein?
Als Betrof­fener sollte man sich immer anwalt­li­chen Bei­stand holen, um den Fall pro­fes­sio­nell bewerten zu lassen. Struk­tu­rell betrachtet ist die Kenn­zeich­nungs­pflicht sicher ein wich­tiger Schritt. Außerdem wäre es sinn­voll, wenn es mehr Unab­hän­gig­keit bei der Auf­klä­rung sol­cher Vor­fälle gäbe. Unab­hän­gige Ermitt­lungs­stellen oder Beob­ach­tungs­kom­mis­sionen könnten Trans­pa­renz für die öffent­liche Debatte schaffen. Am wich­tigsten ist aus meiner Sicht aber ein Kul­tur­wandel inner­halb der Polizei. Es muss sich dort die Ein­stel­lung durch­setzen, dass rechts­wid­rige Poli­zei­ge­walt ein Pro­blem ist, das nicht unter den Tep­pich gekehrt werden darf.