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Seite 2: „Das lassen wir uns nicht mehr nehmen“

Wann hat die Mann­schaft daran geglaubt, den Titel zu holen?
Dieses Gefühl hat sich von Runde zu Runde gestei­gert. Ich erin­nere mich noch, wie Valencia uns in den ersten Minuten im Vier­tel­fi­nale richtig her­ge­spielt hat. Deren Stürmer Leandro kann nach zwei Minuten das 1:0 machen – und köpft in diesem großen Tor unseren Abwehr­spieler Thomas Linke an! Das geht eigent­lich gar nicht. Valencia hatte eine richtig gute Truppe, Zubi­zar­reta, Karpin, Fer­nando, sie hatten in der ersten Runde die Bayern raus­ge­hauen. Doch wir sind nach dem 2:0 im Hin­spiel nach Valencia geflogen und dachten: Da kann kommen, was will – das lassen wir uns nicht mehr nehmen!

Glauben Sie, dass die Gegner Schalke unter­schätzten?
Wir haben uns doch selbst die Blinden“, die Nacker­männer“ genannt. Diese Außen­sei­ter­rolle war unser Vor­teil, wir hatten nichts zu ver­lieren. Schauen Sie sich allein das Finale gegen Inter Mai­land an: Ein Bergomi hatte über 100 Euro­pa­po­kal­spiele, wenn man Thöni bei uns abzieht, kamen wir mit dem ganzen Kader nicht auf diese Zahl. Ich stand nach dem Final­hin­spiel zusammen mit Inters Stürmer Ivan Zamo­rano bei der Doping­kon­trolle, er konnte durch seine Zeit in St. Gallen etwas Deutsch. Zamo­rano war so unglaub­lich tie­fen­ent­spannt, obwohl wir 1:0 gewonnen hatten. Er und die anderen Mai­land-Spieler strahlten eine Über­heb­lich­keit aus nach dem Motto: Ja, kommt ihr mal in zwei Wochen ins San Siro, dann zeigen wir euch, wo der Hammer hängt!

Zamo­rano traf im Rück­spiel zwar kurz vor dem Ende zum 1:0 für Inter, doch Schalke gewann im Elf­me­ter­schießen. Wel­cher Moment ist Ihnen beson­ders in Erin­ne­rung geblieben?
Da gab es einen Mann im Schalker Fan­block, den werde ich mein ganzes Leben nicht ver­gessen. Er weinte. Der Mann weinte drauflos. Die Tränen kamen ein­fach so vor Glück aus ihm heraus. Da hast du gesehen, was dieser Titel den Men­schen bedeutet, die so viel Zeit, Liebe und Geld geop­fert hatten. Ich habe dieses Bild von dem Mann immer noch vor Augen, das packt mich jedes Mal. Das ist Fuß­ball, fernab von den irren Ablö­se­summen, von China-Deals, von Katar – das ist das Ursprüng­liche, was diesen Sport zusammen hält.

Als die Sonne auf­ging, haben noch einige in Ses­seln auf dem Flur gepennt“

Wie hat die Mann­schaft den Erfolg gefeiert?
Leider stand in Mai­land direkt der Rück­flug in der Nacht auf dem Pro­gramm. Nor­ma­ler­weise hätte man da sagen müssen: Lass den Flieger doch stehen, wir feiern hier weiter. Immerhin haben wir die Party in unserem Team­hotel in Bil­ler­beck nach­ge­holt. Das war quasi damals unser zweites Zuhause, die Besitzer haben auch aus­wärts für uns gekocht. An diesem Abend war auch die kom­plette Geschäfts­stelle dabei – und ich muss sagen: Diese Feier war nicht soooo schlecht. Als die Sonne auf­ging, haben noch einige in Ses­seln auf dem Flur gepennt. Und ich habe her­aus­ge­funden, wie viele Men­schen auf einem Tisch tanzen können, bevor er bricht.

Schalke gewann den Uefa-Pokal, der BVB die Cham­pions League. In den Sta­dien riefen die Fans: Ruhr­pott, Ruhr­pott“. Wie haben Sie die dama­lige Soli­da­rität erlebt?
Bei aller Riva­lität sind wir damals als Region auf­ge­treten. Der Ruhr­pott litt damals und leidet auch heute noch unter dem Struk­tur­wandel. Von daher war es schon ein ver­nünf­tiges Zei­chen, dass wir als Schalker Team zum Bei­spiel zum Cham­pions League-End­spiel des großen Rivalen nach Mün­chen gefahren sind. Zu dieser Zeit war der Ruhr­pott so etwas wie das Head­quarter des euro­päi­schen Fuß­balls.

Haben die Spieler die Pro­teste der Berg­ar­beiter zu jener Zeit wahr­ge­nommen?
Ich lebe seit 1992 in Gel­sen­kir­chen, es gibt Freunde, die haben unter Tage gear­beitet und tun das immer noch. Sie fahren im Jahr 2018 ihre letzte Schicht. Klar nimmst du wahr, was mit denen pas­siert. Es gab Momente – auch wenn das in Bayern keiner hören will – da waren wir im Ruhr­ge­biet die Trieb­feder des Auf­schwungs, jetzt hängen wir am Hosen­rock. Wir können immer wieder groß vom Struk­tur­wandel reden, von Plänen wie Solar­stadt Gel­sen­kir­chen“ – doch was ist am Ende davon geblieben?! Wir haben in der Stadt immer noch die höchste Arbeits­lo­sen­quote. In sol­chen Momenten spielt der Fuß­ball eine wich­tige Rolle, um den Leuten ihren Stolz zurück zu geben.

Sie haben Schalke damals nach dem Tri­umph nicht ver­lassen – trotz lukra­tiver Ange­bote. Warum nicht?
Vor den End­spielen gegen Mai­land bin ich mit meinem Berater und meiner jet­zigen Frau nach Stutt­gart gefahren. Dort spra­chen wir mit dem dama­ligen VfB-Prä­si­denten Ger­hard Mayer-Vor­felder und Trainer Joa­chim Löw. Das Angebot war sehr ver­lo­ckend, ein gutes Stück besser als jenes auf Schalke. Doch mein dama­liger Berater Wolf­gang Fah­rian sagte mir: Mike, bei aller Wirt­schaft­lich­keit musst du auch ent­scheiden, wo du dich wohl­fühlst. Du musst dir die Frage stellen: Wo gehörst du hin?“ Das ist nun einmal für mich Gel­sen­kir­chen, bis heute. Nach dem Uefa-Pokal-Sieg gab es auch noch Ange­bote vom AC Turin, Mal­lorca und Sara­gossa. Spä­tes­tens da habe ich den Unter­schied zwi­schen brutto und netto ver­standen, weil die ein­fach aus brutto netto gemacht haben. Aber am Ende stand eben für mich fest: Wenn dich einmal der blau-weiße Virus gepackt hast, dann wirst du ihn auch nicht los. Dann bleibst du hier.