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Dieses Inter­view erschien erst­mals im Mai 2017.

Herr Büs­kens, bis heute singen die Schalker Fans den Hit Wir schlugen Roda…“. Stimmt es, dass dieser Gesang auf Ihrem Anruf­be­ant­worter seinen Anfang nahm?
Ich kann mich nicht mehr genau daran erin­nern, aber der Ver­fasser ver­si­chert mir immer wieder, dass er ihn auf der Rück­fahrt vom Ach­tel­fi­nal­spiel in Brügge erfunden hat. Dann rief er bei mir an und ein ganzer Bus sang los: Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon, wir schlagen Brügge sowieso, Tene­riffa, Inter Mai­land und Monaco – das wäre ne Show.“ Also noch im Kon­junktiv.

Dann wurde es tat­säch­lich eine Show…
… und was für eine. Eine Show, von der du als junger Fuß­baller nur träumen kannst. Wissen Sie, als Kröte war ich Fan von Borussia Mön­chen­glad­bach, Heyn­ckes, Lienen, Uli Sude, Wil­fried Hannes. Ich ver­folgte die Euro­pa­po­kal­spiele im Radio auf WDR2, obwohl ich eigent­lich schon lange ins Bett musste. Am anderen Tag habe ich dann auf dem Schulhof die Spiele gegen Liver­pool auf der Straße nach­ge­spielt. Selbst mal im Euro­pa­pokal zu spielen, das war für mich schon das abso­lute High­light. Eigent­lich für uns alle, wir waren ja nicht einmal der Favorit für die dritte Runde. Vom Uefa-Pokal-Sieg ganz zu schweigen.

Wie war die Stim­mung inner­halb der Mann­schaft wäh­rend der Saison 1996/97?
Der Zusam­men­halt war ganz beson­ders. Ich glaube, dass Trainer Jörg Berger 1993 bereits den Grund­stein für unseren Team­spirit gelegt hat. Vor seiner Zeit waren wir noch nicht so ein ver­schwo­rener Haufen, Berger aber führte so genannte Kabi­nen­feste“ ein. Dabei saßen wir nach dem Trai­ning in der Umkleide zusammen, mal hat einer Kuchen mit­ge­bracht, ein anderer mal Getränke. So haben wir uns außer­halb des Fuß­balls mit­ein­ander beschäf­tigt, den anderen kennen gelernt. Ber­gers Nach­folger Huub Ste­vens hat diese Treffen weiter gepflegt.

Uns ging es auf dem Platz­richtig dre­ckig“

Hat die Ent­las­sung von Berger im Oktober 1996 auch zu dieser Geschlos­sen­heit bei­getragen? Die Mann­schaft stand in jenen Tagen immens in der Kritik.
Wir galten in der Öffent­lich­keit als die Schul­digen für die Ent­las­sung, das wurde uns nicht gerecht. Diese Mann­schaft wollte sich ent­wi­ckeln, sie war gierig nach Erfolg. Bis auf Thöni hatten die meisten noch keine Titel gewonnen, wir wollten mehr, mehr, mehr. Wir hatten aber das Gefühl, dass die Dinge etwas schleifen gelassen werden. Rudi Assauer hat uns in dieser Situa­tion befragt und wir haben uns geäu­ßert. Doch wir haben Berger nicht ans Messer gelie­fert. Wir waren keine Horde Schwei­ne­priester, die mit der Ket­ten­säge an den Stuhl des Trai­ners gehen.

Das fol­gende Heim­spiel wurde den­noch zum Spieß­ru­ten­lauf.
Die Fans riefen bei der Auf­stel­lung hinter jedem Vor­namen der Spieler nur: Berger!“ Thöni, Martin und ich hatten am Abend vorher einen all­er­gi­schen Schock erlitten, uns ging es auf dem Platz richtig dre­ckig. Und dann wurden wir offen ange­feindet. Wir mussten mit der grünen Minna vom Sta­dion zur Geschäfts­stelle gebracht werden. Sat.1 hat zwei, drei Spieler zum Inter­view am Sonntag ins Studio ein­ge­laden. Doch wir ent­schlossen uns, mit der kom­pletten Mann­schaft hin­zu­fahren, um uns zu stellen. Zu Ihrer Frage: Ja, wir haben dadurch eine Wagen­burg­men­ta­lität auf­ge­baut.

In jener Saison gab es wei­tere Rück­schläge: Die beiden Stürmer ver­letzten sich schwer, auf Tene­riffa vergab Johan de Kock einen ent­schei­denden Elf­meter. Wie ist die Mann­schaft damit umge­gangen?
Das alles konnte uns nicht auf­halten. Für uns war diese Saison etwas Ein­ma­liges. So eine Chance, mit Schalke den Euro­pa­pokal zu gewinnen, hast du als Spieler nur einmal im Leben. Da gibt es nur eine Losung: Greif zu! Wir haben in allen sechs Uefa-Cup-Heim­spielen kein Gegentor bekommen, das hat unser Selbst­be­wusst­sein geschärft. Außerdem herrschte im Jahr 1997 eine ganz beson­dere Atmo­sphäre, diese Energie in der Stadt und drum herum hat uns ein­fach getragen. Zum End­spiel nach Mai­land reisten 25 000 Schalker und in jeder Ecke der Stadt wur­dest du auf­ge­baut. Ich habe das mit­be­kommen, weil ich vor jeder Runde aus Aber­glaube Cur­ry­wurst-Pommes essen gegangen bin. (Lacht.) Das war der eigent­lich ent­schei­dende Grund für den Titel – ich habe mich geop­fert.

Wann hat die Mann­schaft daran geglaubt, den Titel zu holen?
Dieses Gefühl hat sich von Runde zu Runde gestei­gert. Ich erin­nere mich noch, wie Valencia uns in den ersten Minuten im Vier­tel­fi­nale richtig her­ge­spielt hat. Deren Stürmer Leandro kann nach zwei Minuten das 1:0 machen – und köpft in diesem großen Tor unseren Abwehr­spieler Thomas Linke an! Das geht eigent­lich gar nicht. Valencia hatte eine richtig gute Truppe, Zubi­zar­reta, Karpin, Fer­nando, sie hatten in der ersten Runde die Bayern raus­ge­hauen. Doch wir sind nach dem 2:0 im Hin­spiel nach Valencia geflogen und dachten: Da kann kommen, was will – das lassen wir uns nicht mehr nehmen!

Glauben Sie, dass die Gegner Schalke unter­schätzten?
Wir haben uns doch selbst die Blinden“, die Nacker­männer“ genannt. Diese Außen­sei­ter­rolle war unser Vor­teil, wir hatten nichts zu ver­lieren. Schauen Sie sich allein das Finale gegen Inter Mai­land an: Ein Bergomi hatte über 100 Euro­pa­po­kal­spiele, wenn man Thöni bei uns abzieht, kamen wir mit dem ganzen Kader nicht auf diese Zahl. Ich stand nach dem Final­hin­spiel zusammen mit Inters Stürmer Ivan Zamo­rano bei der Doping­kon­trolle, er konnte durch seine Zeit in St. Gallen etwas Deutsch. Zamo­rano war so unglaub­lich tie­fen­ent­spannt, obwohl wir 1:0 gewonnen hatten. Er und die anderen Mai­land-Spieler strahlten eine Über­heb­lich­keit aus nach dem Motto: Ja, kommt ihr mal in zwei Wochen ins San Siro, dann zeigen wir euch, wo der Hammer hängt!

Zamo­rano traf im Rück­spiel zwar kurz vor dem Ende zum 1:0 für Inter, doch Schalke gewann im Elf­me­ter­schießen. Wel­cher Moment ist Ihnen beson­ders in Erin­ne­rung geblieben?
Da gab es einen Mann im Schalker Fan­block, den werde ich mein ganzes Leben nicht ver­gessen. Er weinte. Der Mann weinte drauflos. Die Tränen kamen ein­fach so vor Glück aus ihm heraus. Da hast du gesehen, was dieser Titel den Men­schen bedeutet, die so viel Zeit, Liebe und Geld geop­fert hatten. Ich habe dieses Bild von dem Mann immer noch vor Augen, das packt mich jedes Mal. Das ist Fuß­ball, fernab von den irren Ablö­se­summen, von China-Deals, von Katar – das ist das Ursprüng­liche, was diesen Sport zusammen hält.

Als die Sonne auf­ging, haben noch einige in Ses­seln auf dem Flur gepennt“

Wie hat die Mann­schaft den Erfolg gefeiert?
Leider stand in Mai­land direkt der Rück­flug in der Nacht auf dem Pro­gramm. Nor­ma­ler­weise hätte man da sagen müssen: Lass den Flieger doch stehen, wir feiern hier weiter. Immerhin haben wir die Party in unserem Team­hotel in Bil­ler­beck nach­ge­holt. Das war quasi damals unser zweites Zuhause, die Besitzer haben auch aus­wärts für uns gekocht. An diesem Abend war auch die kom­plette Geschäfts­stelle dabei – und ich muss sagen: Diese Feier war nicht soooo schlecht. Als die Sonne auf­ging, haben noch einige in Ses­seln auf dem Flur gepennt. Und ich habe her­aus­ge­funden, wie viele Men­schen auf einem Tisch tanzen können, bevor er bricht.

Schalke gewann den Uefa-Pokal, der BVB die Cham­pions League. In den Sta­dien riefen die Fans: Ruhr­pott, Ruhr­pott“. Wie haben Sie die dama­lige Soli­da­rität erlebt?
Bei aller Riva­lität sind wir damals als Region auf­ge­treten. Der Ruhr­pott litt damals und leidet auch heute noch unter dem Struk­tur­wandel. Von daher war es schon ein ver­nünf­tiges Zei­chen, dass wir als Schalker Team zum Bei­spiel zum Cham­pions League-End­spiel des großen Rivalen nach Mün­chen gefahren sind. Zu dieser Zeit war der Ruhr­pott so etwas wie das Head­quarter des euro­päi­schen Fuß­balls.

Haben die Spieler die Pro­teste der Berg­ar­beiter zu jener Zeit wahr­ge­nommen?
Ich lebe seit 1992 in Gel­sen­kir­chen, es gibt Freunde, die haben unter Tage gear­beitet und tun das immer noch. Sie fahren im Jahr 2018 ihre letzte Schicht. Klar nimmst du wahr, was mit denen pas­siert. Es gab Momente – auch wenn das in Bayern keiner hören will – da waren wir im Ruhr­ge­biet die Trieb­feder des Auf­schwungs, jetzt hängen wir am Hosen­rock. Wir können immer wieder groß vom Struk­tur­wandel reden, von Plänen wie Solar­stadt Gel­sen­kir­chen“ – doch was ist am Ende davon geblieben?! Wir haben in der Stadt immer noch die höchste Arbeits­lo­sen­quote. In sol­chen Momenten spielt der Fuß­ball eine wich­tige Rolle, um den Leuten ihren Stolz zurück zu geben.

Sie haben Schalke damals nach dem Tri­umph nicht ver­lassen – trotz lukra­tiver Ange­bote. Warum nicht?
Vor den End­spielen gegen Mai­land bin ich mit meinem Berater und meiner jet­zigen Frau nach Stutt­gart gefahren. Dort spra­chen wir mit dem dama­ligen VfB-Prä­si­denten Ger­hard Mayer-Vor­felder und Trainer Joa­chim Löw. Das Angebot war sehr ver­lo­ckend, ein gutes Stück besser als jenes auf Schalke. Doch mein dama­liger Berater Wolf­gang Fah­rian sagte mir: Mike, bei aller Wirt­schaft­lich­keit musst du auch ent­scheiden, wo du dich wohl­fühlst. Du musst dir die Frage stellen: Wo gehörst du hin?“ Das ist nun einmal für mich Gel­sen­kir­chen, bis heute. Nach dem Uefa-Pokal-Sieg gab es auch noch Ange­bote vom AC Turin, Mal­lorca und Sara­gossa. Spä­tes­tens da habe ich den Unter­schied zwi­schen brutto und netto ver­standen, weil die ein­fach aus brutto netto gemacht haben. Aber am Ende stand eben für mich fest: Wenn dich einmal der blau-weiße Virus gepackt hast, dann wirst du ihn auch nicht los. Dann bleibst du hier.