Heute vor 25 Jahren gewann Mike Büskens als Eurofighter mit dem FC Schalke sensationell den Uefa-Pokal. Im Interview lüftet er die Geheimnisse hinter dem Erfolg: Pommes-Currywurst und Kabinenfeste.
Dieses Interview erschien erstmals im Mai 2017.
Herr Büskens, bis heute singen die Schalker Fans den Hit „Wir schlugen Roda…“. Stimmt es, dass dieser Gesang auf Ihrem Anrufbeantworter seinen Anfang nahm?
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, aber der Verfasser versichert mir immer wieder, dass er ihn auf der Rückfahrt vom Achtelfinalspiel in Brügge erfunden hat. Dann rief er bei mir an und ein ganzer Bus sang los: „Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon, wir schlagen Brügge sowieso, Teneriffa, Inter Mailand und Monaco – das wäre ne Show.“ Also noch im Konjunktiv.
Dann wurde es tatsächlich eine Show…
… und was für eine. Eine Show, von der du als junger Fußballer nur träumen kannst. Wissen Sie, als Kröte war ich Fan von Borussia Mönchengladbach, Heynckes, Lienen, Uli Sude, Wilfried Hannes. Ich verfolgte die Europapokalspiele im Radio auf WDR2, obwohl ich eigentlich schon lange ins Bett musste. Am anderen Tag habe ich dann auf dem Schulhof die Spiele gegen Liverpool auf der Straße nachgespielt. Selbst mal im Europapokal zu spielen, das war für mich schon das absolute Highlight. Eigentlich für uns alle, wir waren ja nicht einmal der Favorit für die dritte Runde. Vom Uefa-Pokal-Sieg ganz zu schweigen.
Wie war die Stimmung innerhalb der Mannschaft während der Saison 1996/97?
Der Zusammenhalt war ganz besonders. Ich glaube, dass Trainer Jörg Berger 1993 bereits den Grundstein für unseren Teamspirit gelegt hat. Vor seiner Zeit waren wir noch nicht so ein verschworener Haufen, Berger aber führte so genannte „Kabinenfeste“ ein. Dabei saßen wir nach dem Training in der Umkleide zusammen, mal hat einer Kuchen mitgebracht, ein anderer mal Getränke. So haben wir uns außerhalb des Fußballs miteinander beschäftigt, den anderen kennen gelernt. Bergers Nachfolger Huub Stevens hat diese Treffen weiter gepflegt.
„Uns ging es auf dem Platzrichtig dreckig“
Hat die Entlassung von Berger im Oktober 1996 auch zu dieser Geschlossenheit beigetragen? Die Mannschaft stand in jenen Tagen immens in der Kritik.
Wir galten in der Öffentlichkeit als die Schuldigen für die Entlassung, das wurde uns nicht gerecht. Diese Mannschaft wollte sich entwickeln, sie war gierig nach Erfolg. Bis auf Thöni hatten die meisten noch keine Titel gewonnen, wir wollten mehr, mehr, mehr. Wir hatten aber das Gefühl, dass die Dinge etwas schleifen gelassen werden. Rudi Assauer hat uns in dieser Situation befragt und wir haben uns geäußert. Doch wir haben Berger nicht ans Messer geliefert. Wir waren keine Horde Schweinepriester, die mit der Kettensäge an den Stuhl des Trainers gehen.
Das folgende Heimspiel wurde dennoch zum Spießrutenlauf.
Die Fans riefen bei der Aufstellung hinter jedem Vornamen der Spieler nur: „Berger!“ Thöni, Martin und ich hatten am Abend vorher einen allergischen Schock erlitten, uns ging es auf dem Platz richtig dreckig. Und dann wurden wir offen angefeindet. Wir mussten mit der grünen Minna vom Stadion zur Geschäftsstelle gebracht werden. Sat.1 hat zwei, drei Spieler zum Interview am Sonntag ins Studio eingeladen. Doch wir entschlossen uns, mit der kompletten Mannschaft hinzufahren, um uns zu stellen. Zu Ihrer Frage: Ja, wir haben dadurch eine Wagenburgmentalität aufgebaut.
In jener Saison gab es weitere Rückschläge: Die beiden Stürmer verletzten sich schwer, auf Teneriffa vergab Johan de Kock einen entscheidenden Elfmeter. Wie ist die Mannschaft damit umgegangen?
Das alles konnte uns nicht aufhalten. Für uns war diese Saison etwas Einmaliges. So eine Chance, mit Schalke den Europapokal zu gewinnen, hast du als Spieler nur einmal im Leben. Da gibt es nur eine Losung: Greif zu! Wir haben in allen sechs Uefa-Cup-Heimspielen kein Gegentor bekommen, das hat unser Selbstbewusstsein geschärft. Außerdem herrschte im Jahr 1997 eine ganz besondere Atmosphäre, diese Energie in der Stadt und drum herum hat uns einfach getragen. Zum Endspiel nach Mailand reisten 25 000 Schalker und in jeder Ecke der Stadt wurdest du aufgebaut. Ich habe das mitbekommen, weil ich vor jeder Runde aus Aberglaube Currywurst-Pommes essen gegangen bin. (Lacht.) Das war der eigentlich entscheidende Grund für den Titel – ich habe mich geopfert.
Wann hat die Mannschaft daran geglaubt, den Titel zu holen?
Dieses Gefühl hat sich von Runde zu Runde gesteigert. Ich erinnere mich noch, wie Valencia uns in den ersten Minuten im Viertelfinale richtig hergespielt hat. Deren Stürmer Leandro kann nach zwei Minuten das 1:0 machen – und köpft in diesem großen Tor unseren Abwehrspieler Thomas Linke an! Das geht eigentlich gar nicht. Valencia hatte eine richtig gute Truppe, Zubizarreta, Karpin, Fernando, sie hatten in der ersten Runde die Bayern rausgehauen. Doch wir sind nach dem 2:0 im Hinspiel nach Valencia geflogen und dachten: Da kann kommen, was will – das lassen wir uns nicht mehr nehmen!
Glauben Sie, dass die Gegner Schalke unterschätzten?
Wir haben uns doch selbst „die Blinden“, „die Nackermänner“ genannt. Diese Außenseiterrolle war unser Vorteil, wir hatten nichts zu verlieren. Schauen Sie sich allein das Finale gegen Inter Mailand an: Ein Bergomi hatte über 100 Europapokalspiele, wenn man Thöni bei uns abzieht, kamen wir mit dem ganzen Kader nicht auf diese Zahl. Ich stand nach dem Finalhinspiel zusammen mit Inters Stürmer Ivan Zamorano bei der Dopingkontrolle, er konnte durch seine Zeit in St. Gallen etwas Deutsch. Zamorano war so unglaublich tiefenentspannt, obwohl wir 1:0 gewonnen hatten. Er und die anderen Mailand-Spieler strahlten eine Überheblichkeit aus nach dem Motto: Ja, kommt ihr mal in zwei Wochen ins San Siro, dann zeigen wir euch, wo der Hammer hängt!
Zamorano traf im Rückspiel zwar kurz vor dem Ende zum 1:0 für Inter, doch Schalke gewann im Elfmeterschießen. Welcher Moment ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Da gab es einen Mann im Schalker Fanblock, den werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Er weinte. Der Mann weinte drauflos. Die Tränen kamen einfach so vor Glück aus ihm heraus. Da hast du gesehen, was dieser Titel den Menschen bedeutet, die so viel Zeit, Liebe und Geld geopfert hatten. Ich habe dieses Bild von dem Mann immer noch vor Augen, das packt mich jedes Mal. Das ist Fußball, fernab von den irren Ablösesummen, von China-Deals, von Katar – das ist das Ursprüngliche, was diesen Sport zusammen hält.
„Als die Sonne aufging, haben noch einige in Sesseln auf dem Flur gepennt“
Wie hat die Mannschaft den Erfolg gefeiert?
Leider stand in Mailand direkt der Rückflug in der Nacht auf dem Programm. Normalerweise hätte man da sagen müssen: Lass den Flieger doch stehen, wir feiern hier weiter. Immerhin haben wir die Party in unserem Teamhotel in Billerbeck nachgeholt. Das war quasi damals unser zweites Zuhause, die Besitzer haben auch auswärts für uns gekocht. An diesem Abend war auch die komplette Geschäftsstelle dabei – und ich muss sagen: Diese Feier war nicht soooo schlecht. Als die Sonne aufging, haben noch einige in Sesseln auf dem Flur gepennt. Und ich habe herausgefunden, wie viele Menschen auf einem Tisch tanzen können, bevor er bricht.
Schalke gewann den Uefa-Pokal, der BVB die Champions League. In den Stadien riefen die Fans: „Ruhrpott, Ruhrpott“. Wie haben Sie die damalige Solidarität erlebt?
Bei aller Rivalität sind wir damals als Region aufgetreten. Der Ruhrpott litt damals und leidet auch heute noch unter dem Strukturwandel. Von daher war es schon ein vernünftiges Zeichen, dass wir als Schalker Team zum Beispiel zum Champions League-Endspiel des großen Rivalen nach München gefahren sind. Zu dieser Zeit war der Ruhrpott so etwas wie das Headquarter des europäischen Fußballs.
Haben die Spieler die Proteste der Bergarbeiter zu jener Zeit wahrgenommen?
Ich lebe seit 1992 in Gelsenkirchen, es gibt Freunde, die haben unter Tage gearbeitet und tun das immer noch. Sie fahren im Jahr 2018 ihre letzte Schicht. Klar nimmst du wahr, was mit denen passiert. Es gab Momente – auch wenn das in Bayern keiner hören will – da waren wir im Ruhrgebiet die Triebfeder des Aufschwungs, jetzt hängen wir am Hosenrock. Wir können immer wieder groß vom Strukturwandel reden, von Plänen wie „Solarstadt Gelsenkirchen“ – doch was ist am Ende davon geblieben?! Wir haben in der Stadt immer noch die höchste Arbeitslosenquote. In solchen Momenten spielt der Fußball eine wichtige Rolle, um den Leuten ihren Stolz zurück zu geben.
Sie haben Schalke damals nach dem Triumph nicht verlassen – trotz lukrativer Angebote. Warum nicht?
Vor den Endspielen gegen Mailand bin ich mit meinem Berater und meiner jetzigen Frau nach Stuttgart gefahren. Dort sprachen wir mit dem damaligen VfB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder und Trainer Joachim Löw. Das Angebot war sehr verlockend, ein gutes Stück besser als jenes auf Schalke. Doch mein damaliger Berater Wolfgang Fahrian sagte mir: „Mike, bei aller Wirtschaftlichkeit musst du auch entscheiden, wo du dich wohlfühlst. Du musst dir die Frage stellen: Wo gehörst du hin?“ Das ist nun einmal für mich Gelsenkirchen, bis heute. Nach dem Uefa-Pokal-Sieg gab es auch noch Angebote vom AC Turin, Mallorca und Saragossa. Spätestens da habe ich den Unterschied zwischen brutto und netto verstanden, weil die einfach aus brutto netto gemacht haben. Aber am Ende stand eben für mich fest: Wenn dich einmal der blau-weiße Virus gepackt hast, dann wirst du ihn auch nicht los. Dann bleibst du hier.