Ein Knurrer in Rettungsmission. Nach zwei Notfalleinsätzen in Stuttgart will Huub Stevens nun die TSG Hoffenheim vorm Abstieg bewahren. Doch am Sonntag geht es gegen die Bayern.
Schmerzt es Sie, dass Rudi Assauer seinen Traum von der Schalke-Meisterschaft – sollte es je dazu kommen – nicht mehr wahrnehmen kann?
Oh ja. Assi war es, der den Mut hatte, 1996 den bekloppten Niederländer von dem kleinen Verein Kerkrade in die Bundesliga zu holen. Durch ihn bin ich in Deutschland bekannt geworden. Es tut sehr weh, zu erleben, dass er sich wohl nicht mehr an alles erinnern kann.
Sehen Sie ihn regelmäßig?
Ich habe weiter Kontakt zu ihm. Gerade erst hat er beim Abschiedsspiel von Gerald Asamoah neben mir auf der Bank gesessen.
Erkennt er Sie?
Ich weiß es nicht. Wenn ich ihn begrüße, meine ich ein Zwinkern in seinen Augen zu erkennen. Er sagt in meiner Gegenwart auch öfter Dinge, die darauf hindeuten, dass da was ist.
Was zum Beispiel?
„Nicht zu spät kommen, sonst ist der Trainer böse“ oder so was. Ich denke oft daran, wie es früher mit ihm war.
Sie beide waren ein gutes Team.
Das stimmt, wenn wir zu Spielbeobachtungen fuhren, saß er oft auf dem Hinweg am Steuer und ich auf der Rückfahrt. Dann schmiss er den Schlagersender WDR 4 an und wir haben gequatscht und gelacht.
Wie verträgt sich Ihr Job in Hoffenheim mit Ihrer Tätigkeit im Beirat von Schalke 04?
Wir haben vereinbart, dass diese Tätigkeit ruht, wenn ich für andere Klubs arbeite. Mal sehen, wie es weitergeht, wenn ich hier wieder aufhöre.
Gefällt Ihnen die Tätigkeit als Funktionär?
Das hat Spaß gemacht, aber wenn ich oben in der Geschäftsstelle sitze und die Mannschaft betrachte, denke ich wie ein Trainer, nicht wie ein Funktionär. So gesehen war die Arbeit im Schalke-Beirat ein Grund, dass sich das erwähnte Kribbeln viel schneller wieder bei mir einstellte als gedacht.
Wie sehr verfluchen Sie eigentlich den Moment, in dem Sie sagten: „Die Null muss stehen“?
Gar nicht. Solche Sätze machen einen Trainer doch bekannt.
Aber inzwischen scheint es, als wären Sie bei fast allen Klubs im Gespräch, die ihre Probleme mit der Tordifferenz nicht in den Griff bekommen.
In bestimmten Momenten nervt es ein wenig, klar. Aber so ist nun mal das Geschäft. Soll ich damit noch Zeit verschwenden? Ist doch unwichtig.
Sie waren ein beinharter Verteidiger, sind für Medien der „Knurrer“, der Urheber von „Die Null muss stehen“ und jetzt auch „Mr. Klassenerhalt“. Klingt eher nach den Charaktereigenschaften eines Preußen als nach einem Niederländer.
Das stimmt, da ist schon viel Deutsches in mir. Aber was soll ich machen? Ich bin 500 Meter von der Grenze aufgewachsen. Ich habe Deutsch nicht in der Schule gelernt, sondern auf der Straße.
Das verlorene WM-Finale 1974 erlebten viele Niederländer als Trauma. Wie ging Ihnen das?
Natürlich war ich enttäuscht, dass wir nicht Weltmeister wurden. Ich bin sehr stolz, Niederländer zu sein. Auch wenn ich in vielen Dingen wie ein Deutscher ticke.
Gibt es eine Sache, von der Sie sagen würden: Darin bin ich richtig gut?
Ich versuche immer, ehrlich zu sein.
Worin besteht da die Kunst?
Ehrlichkeit bedeutet auch, hart zu sein. Es ist nicht leicht, einem Profi, der die ganze Woche knallhart gearbeitet hat, mitzuteilen, dass er nicht spielt. Aber einem Jugendlichen zu sagen, dass sein Talent nicht ausreicht, um Profi werden, das ist furchtbar. Denn für so einen Jungen zerplatzt in dem Moment ein Lebenstraum. Umso mehr freue ich mich, wenn Leute kommen und sich bedanken, dass ich ihnen ehrlich meine Meinung gesagt habe.
Kommt das vor?
Vor einiger Zeit sprach mich ein ehemaliger Jugendspieler vom PSV Eindhoven an: „Danke für Ihre Ehrlichkeit, wegen Ihnen bin ich kein Fußballer geworden und habe heute einen tollen Job und eine glückliche Familie.“ Das hat mich sehr gerührt.
Huub Stevens, welchen Deal haben Sie mit Ihrer Frau: Wann machen Sie als Trainer Schluss?
Die Zeit der Deals ist vorbei.
Es gab also schon eine Abmachung?
Ja, wir haben irgendwann gesagt: „Jetzt ist Schluss!“ Aber daran habe ich mich nicht gehalten.
Wann war das?
Habe ich vergessen. (Lacht.)
Schon länger her?
Nee, noch nicht so lange.
Vervollständigen Sie folgenden Satz: Wenn ich erst als Trainer aufgehört habe, werdet ihr alle merken…
…dass ich nicht mehr da bin!
Am letzten Spieltag der Saison 2015/16 spielt die TSG 1899 Hoffenheim gegen den FC Schalke 04. Der VfB Stuttgart muss in Wolfsburg antreten. Folgendes Szenario: Für Schalke geht es um die Champions-League-Teilnahme, für den VfB und Hoffenheim gegen den Abstieg. Wie soll es ausgehen?
Ich will gewinnen – immer. Die Folgen für die anderen haben mich nicht zu interessieren. Natürlich habe ich gesagt: „Einmal Schalke, immer Schalke.“ Der Klub wird auch immer etwas Besonderes für mich sein. Aber jetzt bin ich in Hoffenheim, um hier mit den Jungs etwas zu erreichen.