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Seite 2: Der Macho und die Kampfsuse

Möller nach Schalke – selbst in Zeiten ohne W‑LAN und Smart­phones ver­brei­tete sich die Nach­richt rasend schnell. Die Fans lasen den pixeligen Satz im Video­text, sie hörten die Sätze in den Radio­nach­richten, doch glauben konnten sie das alles nicht. Der Pro­test brach sich noch nicht in den sozialen Medien Bahn, son­dern übers Fax­gerät.

Minüt­lich tru­delten Ver­eins­aus­tritte auf der Schalker Geschäfts­stelle ein, Dut­zende ver­sam­melten sich zur spon­tanen Pro­test­kund­ge­bung am Trai­nings­ge­lände. Ein Schalker sagte in die Kameras der TV-Sender: Es fühlt sich an, als wenn dir jemand die Seele raus­reißt.“ Dort­munds Fans über­klebten die Schilder der Möl­ler­brücke in der Stadt und tauften sie in Oli­seh­brücke“ um, benannt nach dem Neu­zu­gang Sunday Oliseh.

Auch die Schalker Spieler reagierten erzürnt, nament­lich die Platz­hir­sche Olaf Thon und Marc Wil­mots. Assauer hatte den Transfer ohne Rück­sprache mit den beiden Euro­figh­tern“ rea­li­siert. Möller oder ich“, soll Wil­mots gedroht haben. Öffent­lich sagte er zwar, er hätte sich ein Zusam­men­spiel mit Möller vor­stellen können, wech­selte aber umge­hend nach Bor­deaux. Nach zwei Kri­sen­jahren verlor Schalke nicht nur einen echten Publi­kums­lieb­ling, son­dern auch die Vor­be­rei­tungs­spiele kra­chend, so etwa mit 0:3 gegen Nürn­berg.

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Möller indes wurde sowohl in Dort­mund als auch am Schalker Trai­nings­platz offen ange­feindet. Zer­bricht Schalke?“, titelte der Kicker“. Auf Schalke brennt die Lunte“, schrieb die Bild“. Doch für eine der kon­tro­ver­sesten Schlag­zeilen sorgte das Fan­zine Schalke Unser“: Brot statt Möller?“ In der Aus­gabe druckte das für seine Satire bekannte Magazin eine Todes­an­zeige. Das Schalke Unser betrauert den plötz­li­chen und uner­war­teten Ver­lust eines lieb gewonnen Feind­bildes“, daneben ein Foto von Möller im BVB-Trikot.

Selbst Stamm­leser haben uns ange­pö­belt“

Assauer konnte dar­über nicht lachen. Als er in der Sen­dung Dop­pel­pass“ auf das Cover ange­spro­chen wurde, pol­terte er gegen die eigenen Fans. Er hat das als per­sön­li­chen Angriff ver­standen und uns als Chaoten beschimpft, die den Verein schä­digen“, erzählt Roman Kolbe vom Schalke Unser“. Der Ver­kauf des Maga­zins vor dem Sta­dion mutierte beim Sai­son­auf­takt gar zum Spieß­ru­ten­lauf. Selbst Stamm­leser haben uns ange­pö­belt. Da hat man gesehen, welche Macht Assauer tat­säch­lich noch unter den Fans hatte.“

Die Stim­mung im Sta­dion selbst war gespalten. Einige der Fans dich­teten einen alten Rudi-Car­rell-Klas­siker um: Wann spielen wir wieder ohne Möller? Ohne Möller, wie es früher einmal war.“ Die Nord­kurve lüf­tete große Trans­pa­rente wie Zecke Möller, will­kommen in der blau-weißen Hölle“ oder Feind bleibt Feind – Möller raus“. Doch ver­ein­zelt zeigte sich bereits, dass viele Anhänger den ehe­mals ver­hassten Spieler zumin­dest akzep­tiert hatten. Auch sie zeigten Humor und Banner mit der Auf­schrift: Kampf­suse Möller“. Manche wit­zelten: Bei uns lernt er dat Kämpfen.“

Tat­säch­lich ent­standen nicht für mög­lich gehal­tene Auf­nahmen eines grät­schenden Andy Möller. Bei seiner ersten Rück­kehr ins Dort­munder West­fa­len­sta­dion agierte der fein­glied­rige Stra­tege, als hätte er einen zu großen Schluck aus der Pulle seines rau­bei­nigen Mit­spie­lers Tomasz Hajto genommen. Die Süd­tri­büne wedelte ihrem ehe­ma­ligen Lieb­ling Taschen­tü­cher ent­gegen, bei jeder Ball­be­rüh­rung pfiff das gesamte Sta­dion.

Ohne Möller habt ihr keine Chance“

Doch Schalke erwischte einen der besten Tage seiner Der­by­ge­schichte und siegte mit 4:0. Möller selbst traf zwar nicht, aber der Sieg mar­kierte seine end­gül­tige Ankunft auf Schalke. Mit geballten Fäusten und freiem Ober­körper fei­erte er vor dem Gäs­te­block, der wie­derum die Dort­munder mit dem Gesang aufzog: Ohne Möller habt ihr keine Chance.“

Möller und Schalke spielten die bis dato beste Bun­des­li­ga­saison des Ver­eins und waren nah an der ersten Meis­ter­schaft seit 1958. Er lief wie in jungen Jahren, wie beim BVB, mit den bekannten Trip­pel­schritten, den unnach­ahm­li­chen Sprints, den Ball eng am Fuß, mit höchstem Tempo am Gegner vorbei, mit zen­ti­me­ter­ge­nauen Pässen in den rich­tigen Momenten. So unbe­holfen er bei­zeiten an den Mikros wirkte und die Fuß­ball­welt mit geo­gra­fi­scher Krea­ti­vität in Bezug auf Ita­lien erhei­terte, so spiel­in­tel­li­gent und so sen­sibel für die Räume agierte er auf dem Rasen. Möller gehörte ohne Frage eine Dekade lang zu den besten Bun­des­li­ga­spie­lern. Der Erfolg löschte auf Schalke den Furor über seine Person.

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Doch auch Assauer und die Mann­schafts­kol­legen spielten eine nicht unwich­tige Rolle. In den Zeiten des größten Wider­standes stellten sie sich buch­stäb­lich vor ihren Regis­seur. Bei einem Test­spiel in Kopen­hagen beschimpften Schalker Fans Möller auf dem Park­platz, die Füh­rungs­spieler um Oliver Reck stiegen aus dem Bus und stellten die Anhänger per­sön­lich zur Rede. Es habe damals bei den unzäh­ligen Mann­schafts­abenden eine aus­ge­las­sene Atmo­sphäre wie in der D‑Jugend geherrscht, so Möller. Es fehlte nur noch, dass ein Stiefel mit Spezi rum­ging, aus dem alle trinken.“

Es hätte in die Hose gehen können“

Es gehört zur Ironie des Fuß­balls, dass das erste Jahr der ehe­ma­ligen Heul­suse mit einem Trauma endete, bei dem Tau­sende gestan­dene Männer in Tränen aus­bra­chen. Schalke ent­glitt bei der legen­dären Vier-Minuten-Meis­ter­schaft“ der Titel in letzter Sekunde. Assauer verlor den Glauben an den Fuß­ball­gott, Möller erlebte die bit­tersten Stunden seiner Kar­riere.

Doch die Saison war für beide ein Befrei­ungs­schlag, Assauer war für die fol­genden Jahre wieder unan­tastbar. Möller wurde zwar nicht geliebt, aber geachtet – und das war mehr, als die Fuß­ball­welt erwartet hatte. Es hätte in die Hose gehen können“, sagt Möller, aber es wurde eine wun­der­bare Saison.“ Eine Woche nach der ver­passten Meis­ter­schaft gewann er mit seinem Team den DFB-Pokal. Assauer und er, der Macho und die Kampf­suse, fei­erten an diesem 26. Mai 2001 bis tief in die Nacht. Auf den Tag genau ein Jahr nach Möl­lers Ver­pflich­tung und dem Ein­tritt in die Hölle.

Die Repor­tage stammt aus unserem 11FREUNDE Spe­zial Erz­ri­valen“. Ihr könnt das Heft bei uns im Shop kaufen.