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11FREUNDE WIRD 20!

Kommt mit uns auf eine wilde Fahrt durch 20 Jahre Fuß­ball­kultur: Am 23. März erschien​„DAS GROSSE 11FREUNDE BUCH“ mit den besten Geschichten, den ein­drucks­vollsten Bil­dern und skur­rilsten Anek­doten aus zwei Jahr­zehnten 11FREUNDE. In unserem Jubi­lä­ums­band erwarten euch eine opu­lente Werk­schau mit unzäh­ligen unver­öf­fent­lichten Fotos, humor­vollen Essays, Inter­views und Back­s­tages-Sto­ries aus der Redak­tion. Beson­deres Leckerli für unsere Dau­er­kar­ten­in­haber: Wenn ihr das Buch bei uns im 11FREUNDE SHOP bestellt, gibt’s ein 11FREUNDE Notiz­buch oben­drauf. Hier könnt ihr das Buch be­stellen.

Außerdem prä­sen­tieren wir euch an dieser Stelle in den kom­menden Wochen wei­tere spek­ta­ku­läre Repor­tagen, Inter­views und Bil­der­se­rien. Heute: Als Andreas Möller von Dort­mund zu Schalke wech­selte.

11 Freunde Das große 11 Freunde Buch Kopie

Franz Josef Strauß zur SPD. Wes­tern­hagen spielt in der Band von Grö­ne­meyer. Willi Lemke und Uli Hoeneß schließen Bluts­brü­der­schaft.

Der­ar­tige Mel­dungen waren nur eines: schlichtweg unvor­stellbar. Ähn­lich wie fol­gende: Andreas Möller wech­selt zum FC Schalke. Mit dem kleinen Unter­schied, dass sie tat­säch­lich stimmte. Und damit an einem son­nigen Freitag im Mai 2000 den Ruhr­pott in Auf­ruhr ver­setzte.

Heul­suse, Weichei oder: Heintje

Die Riva­lität zwi­schen Schal­kern und Dort­mun­dern gehört zur Folk­lore des Koh­len­potts. Ende der neun­ziger Jahre mani­fes­tierte sich in Gel­sen­kir­chen die Abnei­gung gegen­über dem unge­liebten Nach­barn vor allem an Andreas Möller. Die Fans sahen in ihm die Per­so­ni­fi­ka­tion des Söld­ners, der ewige Treue ver­spricht und gleich­zeitig bei anderen Ver­einen unter­schreibt. Der Elf­meter durch Schwalben erschwin­delt und Gegner beim Schieds­richter anschwärzt. Sie nannten ihn Heul­suse, Weichei oder ganz erbar­mungslos: Heintje.

In Dort­mund wurde Möller zu dieser Zeit ver­ehrt. Er war einer der ent­schei­denden Spieler in der Blü­te­zeit des BVB Mitte der Neun­ziger, gewann zwei Meis­ter­schaften und die Cham­pions League. Nach einem Traumtor im Derby rannte Möller über den halben Platz, um sich vor der Schalker Kurve auf­zu­bauen, die ihn 90 Minuten lang ver­un­glimpft hatte. Noch im Sommer 2000 schlug das Dort­munder Ver­eins­ma­gazin Möller als Borussen der Saison“ vor. Begrün­dung: Die Spiel­kultur bei Borussia Dort­mund trägt seinen Namen.“

Doch Möller war zu diesem Zeit­punkt schon 32 Jahre alt, sein Ver­trag lief aus. Die Ver­ant­wort­li­chen beim BVB zögerten mit einer Ver­län­ge­rung, scheuten die hohen Kosten für den mit­unter lau­ni­schen Spiel­ma­cher. Knapp 40 Kilo­meter ent­fernt saß ein Manager in seinem Büro, der nach zwei kri­sen­haften Jahren erst­mals in der Kritik stand: Rudi Assauer, damals Schalkes Allein­herr­scher. Sein Image als Macho aus dem Koh­len­pott“ pflegte er ähn­lich gewis­sen­haft wie sein Äußeres.

Ich dachte: Ver­dammte Hacke, Möller!

Er wird bis in alle Zeiten der ein­zige Bun­des­li­ga­funk­tionär bleiben, der sich mit Zigarre und der Bild“ vor dem Schritt in der Sauna ablichten ließ. Wer solche Bilder machen lässt, hat auch sonst ein ent­spanntes Ver­hältnis zu Tabu­brü­chen. Seine Idee, aus­ge­rechnet die Hass­figur vom Erz­feind zu holen, erklärte Rudi Assauer in typi­schen Rudi-Assauer-Worten: Ich dachte: Ver­dammte Hacke, Möller! Ver­trag läuft aus, ablö­se­frei, wupp. Das ging ratz­fatz.“

Womit er nicht einmal über­trieben hatte, denn auch in der Erin­ne­rung von Andreas Möller ver­lief der Wechsel in schnellstem Tempo und unter strengster Geheim­hal­tung. Er rief zuerst bei meinem Berater an. Ich habe das Ganze für einen Scherz gehalten. Doch Assauer war unglaub­lich hart­nä­ckig, er meinte es ernst.“ Sie ver­ein­barten umge­hend ein Treffen in der Woh­nung von Schalkes Vor­stands­mit­glied Peter Peters. Möller befasste sich erst­mals mit dem für viele undenk­baren Transfer. Zwar lagen ihm lukra­tive Ange­bote aus der Türkei vor, doch Schalke, das war schließ­lich auch die Mög­lich­keit, end­lich mein Weichei-Image abzu­streifen“.

Rudi Assauer sah von seinem Büro aus sein Baby“, die Schalker Arena. Sie sollte im fol­genden Sommer ein­ge­weiht werden, und er wollte unbe­dingt inter­na­tio­nalen Fuß­ball im neuen Zuhause. Möller war sport­lich gesehen der ideale Mann im Mit­tel­feld hinter den beiden kon­ge­nialen Stür­mern Emile Mpenza und Ebbe Sand. Assauer war von dieser Idee so angetan, dass er sie resolut umsetzen wollte, gegen alle Wider­stände. Er ris­kierte damit die Spal­tung inner­halb des Ver­eins und nicht zuletzt sein eigenes Stan­ding.

Die Jour­na­listen glaubten, ich wäre eine Fata Mor­gana“

Am fol­genden Tag klin­gelte Assauer wieder bei Möller durch und über­zeugte ihn end­gültig. Ich sagte zu, aber fast nie­mand durfte etwas mit­be­kommen. Nicht einmal meinen Eltern habe ich etwas erzählt.“ Immerhin erfuhren die Dort­munder Offi­zi­ellen von den Gesprä­chen mit Schalke. Prä­si­dent Gerd Nie­baum redete lange auf Möller ein, unter­brei­tete ihm einen neuen Zwei­jah­res­ver­trag. Doch in Gel­sen­kir­chen sah Assauer nach dem Tele­fonat mit Möller nun­mehr keinen Anlass für Geheim­hal­tung.

In seinen Augen galten schon immer der Hand­schlag oder die münd­liche Zusage mehr als jedes Schrift­stück. Also berief er flugs eine Pres­se­kon­fe­renz ein und bestellte Möller nach Schalke. Der erin­nert sich: Ich saß da, ohne einen Ver­trag unter­schrieben zu haben. Die Jour­na­listen glaubten, ich wäre eine Fata Mor­gana.“

Möller nach Schalke – selbst in Zeiten ohne W‑LAN und Smart­phones ver­brei­tete sich die Nach­richt rasend schnell. Die Fans lasen den pixeligen Satz im Video­text, sie hörten die Sätze in den Radio­nach­richten, doch glauben konnten sie das alles nicht. Der Pro­test brach sich noch nicht in den sozialen Medien Bahn, son­dern übers Fax­gerät.

Minüt­lich tru­delten Ver­eins­aus­tritte auf der Schalker Geschäfts­stelle ein, Dut­zende ver­sam­melten sich zur spon­tanen Pro­test­kund­ge­bung am Trai­nings­ge­lände. Ein Schalker sagte in die Kameras der TV-Sender: Es fühlt sich an, als wenn dir jemand die Seele raus­reißt.“ Dort­munds Fans über­klebten die Schilder der Möl­ler­brücke in der Stadt und tauften sie in Oli­seh­brücke“ um, benannt nach dem Neu­zu­gang Sunday Oliseh.

Auch die Schalker Spieler reagierten erzürnt, nament­lich die Platz­hir­sche Olaf Thon und Marc Wil­mots. Assauer hatte den Transfer ohne Rück­sprache mit den beiden Euro­figh­tern“ rea­li­siert. Möller oder ich“, soll Wil­mots gedroht haben. Öffent­lich sagte er zwar, er hätte sich ein Zusam­men­spiel mit Möller vor­stellen können, wech­selte aber umge­hend nach Bor­deaux. Nach zwei Kri­sen­jahren verlor Schalke nicht nur einen echten Publi­kums­lieb­ling, son­dern auch die Vor­be­rei­tungs­spiele kra­chend, so etwa mit 0:3 gegen Nürn­berg.

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Möller indes wurde sowohl in Dort­mund als auch am Schalker Trai­nings­platz offen ange­feindet. Zer­bricht Schalke?“, titelte der Kicker“. Auf Schalke brennt die Lunte“, schrieb die Bild“. Doch für eine der kon­tro­ver­sesten Schlag­zeilen sorgte das Fan­zine Schalke Unser“: Brot statt Möller?“ In der Aus­gabe druckte das für seine Satire bekannte Magazin eine Todes­an­zeige. Das Schalke Unser betrauert den plötz­li­chen und uner­war­teten Ver­lust eines lieb gewonnen Feind­bildes“, daneben ein Foto von Möller im BVB-Trikot.

Selbst Stamm­leser haben uns ange­pö­belt“

Assauer konnte dar­über nicht lachen. Als er in der Sen­dung Dop­pel­pass“ auf das Cover ange­spro­chen wurde, pol­terte er gegen die eigenen Fans. Er hat das als per­sön­li­chen Angriff ver­standen und uns als Chaoten beschimpft, die den Verein schä­digen“, erzählt Roman Kolbe vom Schalke Unser“. Der Ver­kauf des Maga­zins vor dem Sta­dion mutierte beim Sai­son­auf­takt gar zum Spieß­ru­ten­lauf. Selbst Stamm­leser haben uns ange­pö­belt. Da hat man gesehen, welche Macht Assauer tat­säch­lich noch unter den Fans hatte.“

Die Stim­mung im Sta­dion selbst war gespalten. Einige der Fans dich­teten einen alten Rudi-Car­rell-Klas­siker um: Wann spielen wir wieder ohne Möller? Ohne Möller, wie es früher einmal war.“ Die Nord­kurve lüf­tete große Trans­pa­rente wie Zecke Möller, will­kommen in der blau-weißen Hölle“ oder Feind bleibt Feind – Möller raus“. Doch ver­ein­zelt zeigte sich bereits, dass viele Anhänger den ehe­mals ver­hassten Spieler zumin­dest akzep­tiert hatten. Auch sie zeigten Humor und Banner mit der Auf­schrift: Kampf­suse Möller“. Manche wit­zelten: Bei uns lernt er dat Kämpfen.“

Tat­säch­lich ent­standen nicht für mög­lich gehal­tene Auf­nahmen eines grät­schenden Andy Möller. Bei seiner ersten Rück­kehr ins Dort­munder West­fa­len­sta­dion agierte der fein­glied­rige Stra­tege, als hätte er einen zu großen Schluck aus der Pulle seines rau­bei­nigen Mit­spie­lers Tomasz Hajto genommen. Die Süd­tri­büne wedelte ihrem ehe­ma­ligen Lieb­ling Taschen­tü­cher ent­gegen, bei jeder Ball­be­rüh­rung pfiff das gesamte Sta­dion.

Ohne Möller habt ihr keine Chance“

Doch Schalke erwischte einen der besten Tage seiner Der­by­ge­schichte und siegte mit 4:0. Möller selbst traf zwar nicht, aber der Sieg mar­kierte seine end­gül­tige Ankunft auf Schalke. Mit geballten Fäusten und freiem Ober­körper fei­erte er vor dem Gäs­te­block, der wie­derum die Dort­munder mit dem Gesang aufzog: Ohne Möller habt ihr keine Chance.“

Möller und Schalke spielten die bis dato beste Bun­des­li­ga­saison des Ver­eins und waren nah an der ersten Meis­ter­schaft seit 1958. Er lief wie in jungen Jahren, wie beim BVB, mit den bekannten Trip­pel­schritten, den unnach­ahm­li­chen Sprints, den Ball eng am Fuß, mit höchstem Tempo am Gegner vorbei, mit zen­ti­me­ter­ge­nauen Pässen in den rich­tigen Momenten. So unbe­holfen er bei­zeiten an den Mikros wirkte und die Fuß­ball­welt mit geo­gra­fi­scher Krea­ti­vität in Bezug auf Ita­lien erhei­terte, so spiel­in­tel­li­gent und so sen­sibel für die Räume agierte er auf dem Rasen. Möller gehörte ohne Frage eine Dekade lang zu den besten Bun­des­li­ga­spie­lern. Der Erfolg löschte auf Schalke den Furor über seine Person.

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Doch auch Assauer und die Mann­schafts­kol­legen spielten eine nicht unwich­tige Rolle. In den Zeiten des größten Wider­standes stellten sie sich buch­stäb­lich vor ihren Regis­seur. Bei einem Test­spiel in Kopen­hagen beschimpften Schalker Fans Möller auf dem Park­platz, die Füh­rungs­spieler um Oliver Reck stiegen aus dem Bus und stellten die Anhänger per­sön­lich zur Rede. Es habe damals bei den unzäh­ligen Mann­schafts­abenden eine aus­ge­las­sene Atmo­sphäre wie in der D‑Jugend geherrscht, so Möller. Es fehlte nur noch, dass ein Stiefel mit Spezi rum­ging, aus dem alle trinken.“

Es hätte in die Hose gehen können“

Es gehört zur Ironie des Fuß­balls, dass das erste Jahr der ehe­ma­ligen Heul­suse mit einem Trauma endete, bei dem Tau­sende gestan­dene Männer in Tränen aus­bra­chen. Schalke ent­glitt bei der legen­dären Vier-Minuten-Meis­ter­schaft“ der Titel in letzter Sekunde. Assauer verlor den Glauben an den Fuß­ball­gott, Möller erlebte die bit­tersten Stunden seiner Kar­riere.

Doch die Saison war für beide ein Befrei­ungs­schlag, Assauer war für die fol­genden Jahre wieder unan­tastbar. Möller wurde zwar nicht geliebt, aber geachtet – und das war mehr, als die Fuß­ball­welt erwartet hatte. Es hätte in die Hose gehen können“, sagt Möller, aber es wurde eine wun­der­bare Saison.“ Eine Woche nach der ver­passten Meis­ter­schaft gewann er mit seinem Team den DFB-Pokal. Assauer und er, der Macho und die Kampf­suse, fei­erten an diesem 26. Mai 2001 bis tief in die Nacht. Auf den Tag genau ein Jahr nach Möl­lers Ver­pflich­tung und dem Ein­tritt in die Hölle.

Die Repor­tage stammt aus unserem 11FREUNDE Spe­zial Erz­ri­valen“. Ihr könnt das Heft bei uns im Shop kaufen.