Unser Kollege fuhr nach Nürnberg, um den VfL Bochum aufsteigen zu sehen. Doch es kam natürlich ganz anders. Über ein surreales Erlebnis.
Insofern war es schön, dass ich Günthers vertraute Stimme über die leeren Tribünen des Nürnberger Stadions wehen hörte, denn sonst wäre alles noch viel schlimmer gewesen. Und damit meine ich nicht die Aufregung, das Schwanken zwischen Bangen und Hoffen, sondern die Bezirkssportanlagenhaftigkeit der ganzen Situation. Hinter mir plauderten die Nürnberger Kollegen gemütlich vor sich hin, was ich ihnen nicht vorwerfen konnte, weil das Ergebnis für den Club weitgehend bedeutungslos war. Als Nürnbergs Keeper Mathenia mal wieder die donnernde Mahnung „zweiter Ball“ über den Platz schrie, bevor es überhaupt einen ersten Ball gab, sagte einer von ihnen: „Ich werde es nicht vermissen, Mathenia zu hören, wenn wieder Zuschauer im Stadion sind.“ Dann hupten vor dem Stadion einige Nürnberger Fans in der 18., 28. und 33. Minute, um ihre scheidenden Spieler Behrens, Mühl und Margreitter zu verabschieden, weil deren Rückennummer 18, 23 und 33 sind. Das war schön, aber auch surreal.
Am Tag zuvor hatten fünftausend VfL-Fans ihre Mannschaft auf dem Weg nach Nürnberg verabschiedet, eine wunderbares Geleit entlang der Castroper Straße mit Gesängen, Pyrofackeln und blau qualmenden Rauchtöpfen. Die Bochumer Ultras hatten gerufen, und mehr Menschen waren im strömenden Regen gekommen als alle erwartet hatten. Die nur wenige hundert Meter lange Fahrt zur Autobahn hatte eine halbe Stunde gedauert. Auch in Nürnberg stand ein Dutzend vor dem Stadion, man konnte sie sogar höre, aber mehr noch Bochums verletzten Keeper Riemann, der weit weg im Oberrang des Stadions saß und wahrscheinlich noch auf dem Reichsparteitagsgelände zu hören war. Als er kurz nach der Pause „Tarsis, geh!“ schrie, schaute sein Mannschaftskamerad Tarsis Bonga zutiefst irritiert auf die Tribüne. Derweil wurden von der kleinen Schar auf der Pressetribüne die eifrig wechselnden Zwischenstände laut vermeldet, wobei Günther Pohl das unter seinem Kopfhörer nicht mitbekam und immer eine Minute zu spät positive Zwischenstände für den VfL Bochum vermeldet. „Ja, Günther, wissen wir schon.“ Was er aber natürlich auch nicht hörte.
Irgendwann, als wieder ein verrückter Zwischenstand vom Spiel des Hamburger SV oder vielleicht auch aus Karlsruhe oder Braunschweig vermeldet wurde, sagte einer: „Solche Spieltage muss man sich eigentlich zuhause im Fernsehen anschauen.“ Ich dachte erst, ich höre nicht richtig. Das war natürlich Blasphemie, andererseits fand ich vor Ort überhaupt nicht ins Spiel. Nach einer ziemlich miesen ersten Halbzeit und einem 0:1‑Rückstand, machte es Bochum nach dem Wechsel besser und glich aus. Aber in dieser Stimmung aus einem schreienden Torwart im Oberrang, fernem Fan-Gemurmel und der Vermeldung von Zwischenständen ergab sich kein bisschen eine Nach-elf-Jahren-nur-noch-ein-Tor-von-der-Bundesliga-entfernt-Stimmung.
Es gab dann sogar noch Chancen für den VfL, wenn auch keine riesengroßen. Dann war Schluss, und die Bochumer standen unschlüssig auf dem Rasen herum. Fürth spielte noch in Paderborn und lag 3:2 vorn. Würden sie noch den Ausgleich kassieren, wäre Bochum in der Bundesliga. In einer Loge lief ein Fernseher, und dann rief einer runter auf den Platz: „Tor für Fürth, 4:2.“ Die Bochumer trotteten vom Platz, und bald danach fing es an zu regnen und dann kam der Zug zu spät.
Tabellenführer sind sie immer noch, und am nächsten Sonntag gegen Sandhausen reicht ein Unentschieden. In der Hölle wird schon Brennholz nachgelegt.
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