Die Fanszene von Galatasaray ist eine der größten und lautesten weltweit. Wir haben die Anhänger begleitet. Eine Erkundungstour von Berlin nach Istanbul.
Am Mittwochabend strömen tatsächlich 400 Galatasaray-Fans in die kleine Schwimmhalle nahe des S‑Bahnhofs Schöneberg. Sie stehen auf der steilen Tribüne und stimmen Wechselgesänge an, singen von Stolz und vom Siegen, während sich die Spieler im Wasser gegenseitig Ellenbogen ins Gesicht rammen. Nach dem Spiel ist Ozan Eser heiser und schimpft ein wenig über Galatasaray-Modefans aus Berlin, die nur kämen, wenn ihr Team in der Nähe spielt. Letzte Woche war er in Prag beim Basketball. Davor mit dem Fußballteam in Cluj, Gruppenphase der Champions League. „Wo waren da die 400 Leute?“, fragt er. „An solchen Tagen haben sie immer Prüfung oder ein Opa ist gestorben!“ Von Wasserball hat Eser keine Ahnung. Doch das ist egal, er hat mit dem Rücken zum Becken gestanden, hat geschrien, für seine Farben, seinen Verein, und Galatasaray hat gewonnen, 11:8. Nichts anderes zählt.
„Das ist Ilker Sezgin“, sagt Eser und zeigt auf einen jungen Mann, Ende 20, modische Kurzhaarfrisur, beigefarbener Parka. Er ist einer der „UltrAslan“-Koordinatoren für Europa und lebt auch in Berlin. Weil es ihn gibt, sind bei Galatasaray-Auswärtsspielen die Gästeblöcke immer voll, egal ob in den Niederlanden, Deutschland oder England. „Die Istanbuler haben es schwer, nach Europa zu reisen, sie brauchen Visa und Geld“, sagt er. Also hat jedes Chapter die Kartenhoheit über sein Land. Wer zum Beispiel beim den Champions-League-Auswärtsspielen dabei sein will, muss Sezgin fragen, und der prüft dann den Bewerber.
Er hat eine Liste, in der alle Galatasaray-Fans aus Europa erfasst sind. Wie viele es sind, weiß er nicht so genau, vielleicht ist es eine sechs‑, vermutlich sogar siebenstellige Zahl. Anhand dieser Liste kann er sehen, wer zuletzt harte Auswärtstouren nach Rumänien oder Kroatien auf sich genommen hat. Oder wer vor zwei Jahren mit nach Wetzlar gefahren ist, um Galatasaray beim Rollstuhl-Basketball anzufeuern. „Diese Jungs werden bei der Kartenvergabe bevorzugt behandelt“, sagt er.
„Wer ist denn Manchester United? Wir sind Galatasaray!“
Ilker Sezgin war acht Jahre alt, als Galatasaray das erste Mal in Europa für Furore sorgte. Damals, im Herbst 1993, hockte er mit seinem Vater vor dem Fernseher und verfolgte per Videotext die Auslosung für die zweite Champions-League-Runde. Als schließlich Manchester United aufblinkte, stöhnte der Vater, doch der Sohn guckte ihn an und sagte: „Baba, wer ist denn Manchester United? Wir sind Galatasaray!“
Im Old Trafford trotzten die Türken dem Starensemble um Eric Cantona und Roy Keane ein 3:3 ab, die Partie in Istanbul endete 0:0, und Galatasaray war eine Runde weiter. Noch heute denken die Engländer mit Schrecken an das Rückspiel am 3. November 1993 zurück. Damals waren die Spieler am Flughafen von fanatischen Galatasaray-Anhängern empfangen worden, die sich zur Begrüßung den Finger über die Kehle zogen, „Welcome to Hell“ schrien und mit den Fäusten gegen ihren Bus hämmerten.
Der Deutsche Reiner Hollmann war damals Trainer bei Galatasaray. Er erinnert sich vor allem an die Ausdauer der Fans: „Das Spiel begann um 21.45 Uhr, das Stadion war aber bereits um 10 Uhr morgens voll. Die Fans haben vierzehn Stunden durchgesungen.“
Ilker Sezgin mag solche Erzählungen, die den Mythos von Galatasaray als unbändigem Löwen begründen. Er mag auch Sätze wie das berühmte Zitat von Gheorghe Hagi: „Unsere Fans erwecken Tote wieder auf.“ Die Anhänger von „UltrAslan“ behaupten, den Lautstärkeweltrekord zu halten. Das glauben allerdings auch die Besiktas-Fans. Sowohl im Inönü-Stadion als auch im alten Ali Sami Yen hat man bei Spielen mehr als 131 Dezibel gemessen. Wie laut ist das? „Das“, sagt Sezgin, „kann man nicht in Worte fassen, das muss man erlebt haben. Man muss ein Spiel live im Stadion sehen, direkt neben den UltrAslan.“ Nur wie kommt man da rein? „Wir regeln das“, sagt er. Was so viel heißt wie: Oguz Altay regelt das. Vielleicht.
„Wir wollen zeigen, dass Fans keine Bestien sind“
Am Wochenende des Derbys peitscht Schneeregen über den Bosporus, Menschen flüchten in Hauseingänge, und auf den Straßen geht nichts mehr. In einem Hochhaus im Stadtteil Maslak hat der Fernsehsender NTVSpor seine Studios. Dort haben die Moderatoren Bagis Erten und Banu Yelkovan Anhänger von Besiktas und Galatasaray zu einer Talkshow eingeladen. Das machen sie seit fünf Jahren vor jedem großen Derby. „Wir wollen zeigen, dass Fans keine Bestien sind“, sagt Erten.
Die Zuschauer waren früher dennoch skeptisch, sie warfen ihm vor, dass die Fans nicht repräsentativ seien. Deswegen wurden sie dieses Mal per Zufall via Twitter ausgewählt. In der Runde sitzt nun die Galatasaray-Anhängerin Dilana Hekimi, eine Studentin, die gerade ihre Abschlussarbeit über Nationalismus im türkischen Fußball schreibt. Neben ihr geht es dem Besiktas-Fan Baran Güven weniger ums Gewinnen als um die Philosophie seines Klubs: „Wir setzen auf die Jugend, Galatasaray aufs Geld!“ So sitzen sie da, lächeln ein bisschen und sticheln gegeneinander.