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Der Anruf, der sein Leben zum zweiten Mal binnen weniger Tage auf den Kopf stellen sollte, erreichte Nico Willig an jenem Sams­tag­abend, an dem der VfB Stutt­gart mit 0:6 in Augs­burg unter­ging – im Auto. Auf dem Bei­fah­rer­sitz seines schwarzen Klein­wa­gens: Wil­ligs lang­jäh­riger Team­kol­lege bei der TSG Balingen und Trau­zeuge Martin Taube. Am anderen Ende der Lei­tung: Thomas Hitzl­sperger, Sport­vor­stand des VfB Stutt­gart. Dein Chef ruft an“, hatte Taube noch gescherzt. Der will wohl übers Augs­burg-Spiel spre­chen.“

Hitzl­sperger hatte Wil­ligs Nummer jedoch nicht etwa gewählt, um dem frisch ver­mählten Ehe­mann zu seiner stan­des­amt­li­chen Trauung zu gra­tu­lieren, derent­wegen Taube schließ­lich aus Frank­reich auf die Schwä­bi­sche Alb gereist war. Der Stutt­garter Sport­vor­stand bot seinem bis­he­rigen U19-Trainer statt­dessen die Wein­zierl-Nach­folge an – inte­rims­weise, bis zum Sai­son­ende. Nico schluckte erst einmal“, erin­nert sich Taube. Doch nach einem kurzen Gespräch sagte Willig zu. Er müsse nur noch kurz nach Hause, seine Tasche packen, habe sich der desi­gnierte VfB-Inte­rims­coach emp­fohlen. Der Män­ner­abend war ver­schoben.

Kann ein unbe­kannter Jugend­trainer dem VfB neues Leben ein­hau­chen?

Schon auf der Heim­fahrt sin­nierte Willig über Per­so­na­lien und die ersten Ein­heiten. Auch war Willig schnell klar, dass seine aller­erste Ansprache vor den zuletzt übel unter die Räder gekom­menen Stutt­garter Spie­lern ent­schei­dend sein würde. Er, ein unbe­kannter Jugend­trainer, der als Aktiver nie über die fünfte Liga hin­auskam, sollte diesen gestan­denen Bun­des­liga-Profis nun neues Leben ein­hau­chen? Er sprühte vor Ent­schlos­sen­heit und Moti­va­tion. Er war sofort in seiner neuen Auf­gabe und wusste, dass er diesen Opti­mismus auf die Mann­schaft über­tragen muss“, sagt Taube.

Am nächsten Morgen brach Willig aus der 80 Kilo­meter ent­fernten Klein­stadt Balingen, wo der Fami­li­en­vater wohnt, zur Mis­sion Klas­sen­er­halt auf. Zwar blieb der Park­platz des Chef­trai­ners, den Markus Wein­zierl am Vor­abend räumen musste, neben den Stern-Karossen der VfB-Profis zunächst weiter ver­waist. Denn Willig zog es vor, seinen Wagen auf den umlie­genden Park­räumen abzu­stellen – zu sur­real muss ihm seine Ernen­nung zum Chef­coach des Brust­rings“ da noch vor­ge­kommen sein. Um punkt 10:30 Uhr am Oster­sonntag stand ein Coach auf dem Trai­nings­ge­lände in Cannstatt, ein im Bun­des­liga-Geschäft gänz­lich unbe­kannter: Nico Willig, 38 Jahre alt, seit 2016 VfB-Jugend­trainer, und im Profi- und Akti­ven­be­reich unge­fähr so pra­xis­er­fahren wie die Spieler von Han­nover 96 beim Tor­jubel.

Er war auf dem Feld teil­weise ein Ver­rückter“
 
Eine Woche später führte der Trainer-Nobody den ange­schla­genen Tra­di­ti­ons­verein, der primär um die Rele­ga­tion kämpft, gegen Glad­bach zum ersten Dreier (1:0) nach zuvor sechs sieg­losen Spielen – und gab einer ganzen Fuß­ball­stadt einen Funken Hoff­nung zurück. Willig for­derte Mut zum Offen­siv­fuß­ball und Lei­den­schaft – und bekam beides. Er ver­half dem Stutt­garter Koma­pa­ti­enten von der Intensiv- auf die Kran­ken­sta­tion, wie er später sagen sollte. Zumin­dest vor­erst. Vor allem aber rannte und sprang der U19-Coach an der Sei­ten­linie auf und ab wie einst Willi Land­graf als Rechts­ver­tei­diger von Ale­mannia Aachen.

Willi, das Kampf­schwein“ hatte man Land­graf ob dessen lei­den­schaft­li­cher Spiel­weise einst am Tivoli genannt. Von seinen Team­kol­legen bei der TSG Balingen bekam Willig schnell den Spitz­namen Willi“ statt Willig ver­passt, in Anleh­nung an Land­graf. Er war auf dem Feld teil­weise ein Ver­rückter – im posi­tiven Sinne“, erin­nert sich Taube an den frü­heren Balinger Rechts­außen, der seinen Hei­mat­verein 2008 als Kapitän in die Ober­liga führte; ein bis­siger Zwei­kämpfer, ein pas­sa­bler Flü­gel­läufer und Flan­ken­geber. Vor allem aber war er laut­stark, auch gegen­über den eigenen Leuten. Einer, der auf dem Platz ein Zei­chen setzte, aber das Spiel schon damals tak­tisch anders las als wir alle“, sagt Taube.