Heute wird Otto Rehhagel 80 Jahre alt. Einer seiner engsten Wegbegleiter: Bremens Ex-Manager Willi Lemke. Den baten wir vor fünf Jahren, zum 75. von König Otto, ein Erinnerungsstück an seinen Wegbegleiter zu schreiben. Hier ist der herzerwärmende Brief.
Lieber Trainer,
nach meinem privaten Glückwunsch nehme ich hier gerne die Gelegenheit wahr, um Ihnen noch einmal öffentlich zu ihrem 75. Geburtstag ganz herzlich zu gratulieren.
Ich hatte das große Glück, 14 Jahre mit einem der außergewöhnlichsten und erfolgreichsten Trainer Deutschlands zusammenarbeiten zu dürfen. Einige Ihrer größten Erfolge konnten wir gemeinsam erleben. Zwei Deutsche Meisterschaften und zwei deutsche Pokalsiege haben Sie mit Werder Bremen errungen und dazu noch 1992 den Europapokal. Es war die Zeit, in der zur Verzückung der Fans immer mal wieder „grün-weiße Wunder“ geschahen, das heißt, längst verloren geglaubte Spiele gewonnen wurden. Ihre besonderen Qualitäten bewiesen Sie aber auch, als sie den FC Kaiserslautern von der zweiten Liga direkt zur Deutschen Meisterschaft führten oder als Sie 2004 mit der Nationalmannschaft Griechenlands zum Erstaunen aller Experten Europameister wurden.
Ich kenne niemanden in Fußball-Deutschland, der Ihnen den Respekt für diese großartige Lebensleistung verweigert. Ihre Erfolge sind – und das durfte ich mehr als ein Jahrzehnt miterleben – auch Ausdruck einer ganz besonderen Arbeit sowohl mit den jungen wie mit den etablierten Fußballern, mit den Nachwuchskräften wie mit den Stars. Es mag vielleicht nicht jeder von denen verstanden haben, warum sie auch mal den deutschen Dichter Rilke in der Kabine zitiert haben. Aber sie haben immer die Botschaft des Trainers verstanden: Gemeinsam sind wir stark und gemeinsam wollen wir den Erfolg.
Aber klar war allen immer auch: der Trainer ist der Boss. Das galt auch für den Manager und für den Vorstand. Wir alle wussten: Wir konnten uns hundertprozentig auf Sie verlassen. Sie waren nicht nur der erfolgshungrige Trainer, Sie waren auch der Fußballlehrer mit der richtigen Antenne für jeden einzelnen Spieler. Sie haben zu ihnen gestanden, auch wenn es nicht so gut lief. Wo andere Psychologen brauchen, haben Sie das Fußballerherz, das mit jedem einzelnen Spieler mitfühlt. Das soll nicht heißen, dass Sie ein softiger Wohlfühl-Trainer waren. Im Gegenteil: Sie haben den Spielern alles abverlangt, was sie bieten konnten. Aber eben auch nicht mehr. Und sie gaben den Weg und das Tempo vor. Uns allen war klar: Wenn wir den Trainer stützen und stärken, führt der Weg zum Erfolg.
Ich weiß noch, wie wir uns in den Jahren 1981 bis 1988 immer wieder gegenseitig angefeuert haben: „Wir wollen auf den Balkon!“,auf den Balkon des Bremer Rathauses, um dort mit den Fans einen Titel zu feiern. Bis wir ihn 1988 erreichten, war es ein langer, auch mit bitteren Enttäuschungen gepflasterter Weg. So zum Beispiel 1986, als nur ein verschossener Elfmeter uns den fast sicher geglaubten Titel verwehrte. Sie haben entscheidend daran mitgewirkt, dass die Mannschaft nicht vor Enttäuschung übereinander hergefallen ist, sondern gestärkt aus dieser Niederlage hervorging und 1988 ihr Ziel erreichte und Deutscher Meister wurde.
Diese menschliche Verlässlichkeit, dieses Zusammenstehen in schwierigen Situationen habe ich auch ganz persönlich erfahren können: Als ich einmal einen Fernsehauftritt total verpatzt hatte, luden Sie mich am nächsten Tag zu meiner eigenen Verblüffung zu einer Mannschaftsbesprechung ein, an der ich sonst nie teilnahm. Sie machten der Mannschaft klar, dass Fehler passieren können, dass aber niemand das Recht habe, diesen Fehler gegen mich auszunutzen. Damit war das Thema abgehakt, die Mannschaft hatte verstanden, und ich rechne Ihnen diese Geste bis heute hoch an. Das ist Ihre Art zu Menschen zu stehen, denen Sie vertrauen und die Ihnen vertrauen. Das ist Ihr Verständnis von Solidarität.