Die Geschichte der tragischen Karriere von Adriano wurde hundertfach erzählt. In einem bewegenden Brief gibt der ehemalige Wunderstürmer nun selbst Einblicke in die Höhen und Tiefen seiner Laufbahn.
Die europäische Fußballbühne betritt Adriano Leite Ribeiro mit einem Knall. Am 14. August 2001 gibt der brasilianische Stürmer in einem Freundschaftsspiel gegen Real Madrid sein Debüt für Inter Mailand. Nur drei Tage zuvor ist er von Flamengo aus seiner Heimatstadt Rio de Janeiro nach Mailand gewechselt.
Und nun, nur wenige Minuten nach seiner Einwechslung, steht er dort im Estadio Santiago Bernabeu, bereit zum Freistoß. In einem Brief auf der Website von Inter Mailand erinnert er sich. An die Szene in Madrid, aber auch an die schwersten Stunde seiner Karriere. All das erzählt er sehr persönlich.
„Ich trug das Trikot von Inter und hatte Real Madrid vor Augen. Es war der Stoff, aus dem Träume sind. Mehr brauchte ich nicht. Ich betrat das Spielfeld und dachte an nichts mehr. Ich spielte so wie ich auf dem staubigen Bolzplatz in Vila Cruzeiro (Favela in Rio, d. Red.) spielte. Ich dribbelte, tunnelte meine Gegner, ich konnte einfach alles. Als ich gefoult wurde, forderten die Auswechselspieler von der Bank, dass ich den fälligen Freistoß schießen solle. Erinnert ihr euch an den linken Fuß, den ich auf der Straße und zuhause trainiert habe und mit dem ich meine Mutter in den Wahnsinn getrieben habe? Mit diesem Freistoß stellte ich der Welt meinen Fuß vor. Man erzählt sich, der Schuss habe es auf 170 Stundenkilometer gebracht!“
Ein Knall. Ein Schuss. Und schon war Adriano das nächste große Ding im Fußball. Der legitime Nachfolger von Ronaldo, damals ebenfalls noch bei Inter unter Vertrag. Doch der Verein schien noch nicht vollends überzeugt. Im Winter verliehen sie ihn nach Florenz, später verkauften sie ihn nach Parma, nur um ihn anderthalb Jahre später auf Drängen der Fans doch zurückzuholen. Denn spätestens dort hatte der Stürmer sein Können dauerhaft unter Beweis gestellt. Dank seiner bulligen 1,91 Meter ist er körperlich robust, dennoch schnell und technisch versiert. Und dann immer wieder diese Gewaltschüsse, mit denen er die Bälle aus der Distanz in die Maschen drischt.
„Wir sind starke Spieler. Wir sind explosiv!“, sagte Adriano kürzlich in einem Livetalk bei Instagram mit dem heutigen Inter-Stürmer Romelu Lukaku, der ein ganz ähnlicher Spielertyp ist. „Adriano hat die Kraft von Gigi Riva, die Beweglichkeit von Marco van Basten und den Egoismus von Romario“, sagte der damalige Inter-Trainer Roberto Mancini einmal über seinen Schützling.
Ein Knall. Ein Schuss.
„Ich war zehn Jahre alt. Eines Nachmittags hörte ich plötzlich das Zischen von Kugeln in unserer Straße. Eine davon bohrte sich in den Kopf meines Vaters Almir. Getroffen durch Zufall, ein Unfall.“
Im März 1992 hatte Adriano mit ansehen müssen, wie sein Vater von einer Kugel bei einer Schießerei zwischen Polizisten und Gangmitgliedern getroffen wird. Dass Almir überlebt, gleicht einem Wunder. Doch weil der Familie das nötige Geld für eine Operation fehlt, verbleibt die Kugel im Schädel des Vaters.
„Ich erinnere mich an so viele lange schwere Tage mit meiner Mutter Rosilda im Krankenhaus und mit meiner Großmutter Wanda zuhause. Um mich nützlich zu machen, putzte ich zuweilen Schuhe bei uns an der Straßenecke, um etwas Geld hereinzubringen. Meine Tage bestanden aus Schule, Training und Nachmittagen des Wartens. Der Tag, an dem mein Vater Almir aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war einer der schönsten in meinem Leben.“