Heute, am 11.06.2020, wird Christian Streich 55 Jahre alt. In den Fußball verliebt hat er sich am 16.05.1979, als Fortuna Düsseldorf im Europapokalfinale auf den FC Barcelona traf. Der Freiburg-Trainer über den Tag, an dem er dem Spiel verfiel.
Wenn mein Vater frei hatte, und das war bei uns in der Metzgerei immer am Mittwochnachmittag, bin ich mit ihm zum Fußball gefahren. Vorher hat er den Rauch bestückt, also die Würste und den Speck hineingehängt, und dann ging es los. Wir sind die paar Kilometer von zu Hause in Eimeldingen mit dem Auto bis nach Kleinhüningen gefahren, kurz hinter die schweizerische Grenze, haben den Wagen abgestellt und sind in die Straßenbahnlinie 14 zum Stadion umgestiegen. In St. Jakob haben damals immer die großen Spiele stattgefunden, die schweizerischen Länderspiele oder die internationalen Spiele des FC Basel. Aber den größten Eindruck hat bei mir das Europapokalfinale von 1979 hinterlassen. Ich war 13 Jahre alt und Fortuna Düsseldorf spielte mit Wolfgang Seel, den Allofs-Brüdern und Rudi Bommer gegen den FC Barcelona mit Johan Cruyff, Johan Neeskens und Hans Krankl.
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Was mich als junger Mensch total faszinierte, war, dass das Stadion an jenem Tag komplett in Blau und Rot erstrahlt ist. Also eigentlich wie bei den großen Spielen des FC Basel, nur kamen die Zuschauer aus Spanien angefahren. In meiner Erinnerung sind es bestimmt 30 000 Menschen gewesen, die den FC Barcelona begleitet haben. Fortuna hatte, obwohl Düsseldorf näher war, viel weniger Anhänger mitgebracht. Wir haben im Stadion gehört, dass es so viele Katalanen waren, weil die Mitglieder des FC Barcelona die Eintrittskarten besonders günstig bekommen hatten. Der Klub war damals noch nicht so selbstverständlich in europäischen Endspielen wie in der jüngeren Vergangenheit. Er hatte erst einen europäischen Titel gewonnen, den Messepokal, und das war 13 Jahre her. Also wollte Barcelona so viel Unterstützung wie möglich, und darüber hinaus spielte der Austragungsort noch eine besondere Rolle, weil der Vereinsgründer Hans Gamper ein Schweizer war.
„Wahrscheinlich hatte sie nur ein paar Pfennige gekostet, aber trotzdem war sie natürlich äußerst wertvoll“
Es gibt zu den Fans noch ein Detail, das ich bis heute nicht vergessen habe, weil es mich damals so beeindruckte. Die meisten Zuschauer aus Barcelona waren in langen Buskolonnen nach Basel gekommen, und auf jeden zehnten Bus fuhr ein elfter leer mit. Falls einer der Busse eine Panne gehabt hätte, sollte niemand Gefahr laufen, das Spiel zu verpassen. Im Stadion war eine unglaubliche Stimmung und es entwickelte sich auch ein unglaubliches Spiel. Ich sehe die Spieler heute noch einlaufen und habe sogar einzelne Spielsituationen genau vor Augen, obwohl ich das Spiel seither nie mehr angesehen habe. Spannend war es auch, denn Barcelona ist zweimal in Führung gegangen, Düsseldorf hat zweimal ausgeglichen. Erst in der Verlängerung hat Barcelona mit 4:3 gewonnen.
Ich war hinterher ganz weg von diesem Spiel, das übrigens bis heute das einzige Europapokalendspiel geblieben ist, das ich im Stadion miterlebt habe. Danach haben mein Vater und ich dann die Tram Nummer 14 zurück zu unserem Auto genommen, und mir gegenüber saß ein Mann mit einem südländischen Aussehen. Er trug eine Mütze des FC Barcelona, einen Schal und einen Anstecker mit dem Vereinsemblem. Er hat mich angeschaut und hat sofort verstanden, was los war: Dieser Bub war total überwältigt von dem, was er gerade erlebt hat. Dann hat er seine Mütze abgenommen und mir aufgesetzt. Ich habe sie neulich noch in der Hand gehalten, weil mein Vater sie kürzlich wieder hervorgeholt hat, nachdem er sie über 40 Jahre lang aufbewahrt hat. Es war so eine ganz dünne Mütze mit einem kurzen Schirm, wie man sie damals hatte. Wahrscheinlich hatte sie nur ein paar Pfennige gekostet, aber trotzdem war sie natürlich äußerst wertvoll.
Der Mann in der Straßenbahn hat mir aber nicht nur diese Mütze aufgesetzt, er hat auch seinen Schal ausgezogen und mir um den Hals gelegt. Und schließlich hat er noch den Anstecker abgemacht und an meinen Pullover geheftet. Alles, was er vom FC Barcelona hatte, hat er mir gegeben und mich so umhüllt mit seinem Lieblingsverein. Das war nicht nur liebenswürdig, sondern hatte zugleich etwas Feierliches. Das wurde noch dadurch unterstrichen, dass er dabei nichts gesagt hat. Ich habe mich natürlich wahnsinnig zu bedanken versucht, obwohl er kein Deutsch und wir kein Spanisch konnten. Dann sind aus der Straßenbahn ins Auto und heimgefahren. Und als wir nach Hause kamen, habe ich Schal und Mütze gleich in meinem Zimmer an die Wand gehängt, wo sie jahrelang der Wandschmuck waren. Das war so ein Erlebnis: Wie soll man da noch loskommen vom Fußball?