In Kiew setzte Andreas Bock in einem Wettbüro Geld auf das Spiel Portugal gegen Tschechien – und gewann das Vierfache seines Einsatzes zurück. Er strebt nun eine Karriere als Oligarch an. Sein Klub muss allerdings noch gegründet werden.
Das Lokal heißt „ Sport Extrem“ und die komplette Fensterfront ist verklebt. Sticker von Fußbällen, Tennisbällen, Golfbällen – und Geldscheinen. Hier bin ich richtig, dachte ich, öffnete die Tür und legte einen Batzen Griwna auf den Tresen. Die Dame zählte nach, dann sagte sie eine Zahl auf russisch, sie bedeutete 100. Das sind 10 Euro. „Da“, sagte ich, und kreuzte eine Begegnung an, Tschechien gegen Portugal. Dann sagte sie „Da“ und forderte mich auf 1, 0 oder 2 anzukreuzen. Ich tippte jeweils eine 1.
Auf dem TV-Bildschirm hinter dem Tresen liefen die letzten Sekunden der Partie Schalke 04 gegen Borussia Dortmund. Eine Wiederholung aus der abgelaufenen Bundesligasaison. Ein älterer Mann, Typ Danny de Vito, kauerte dennoch davor, als hätte er gerade eben sein komplettes Vermögen auf einen Schalker Sieg verwettet. Als das Spiel abgepfiffen wurde, verließ der Mann fluchtartig das Lokal. Kiewer Wettlokaltragödien.
Ich erhielt den Ausdruck meines Tippscheins und hob den Daumen, doch die Dame interessierte sich mehr für das Interview mit Jürgen Klopp, der nun auf dem Bildschirm zu sehen war. Also verließ auch ich „Sport Extrem“, wieder vorbei an den Fußbällen und den Geldscheinen. Ein guter Ort.
Ich bin kein sonderlich guter Tipper. Momentan liege ich im redaktionsinternen Tippspiel auf Platz 10. Einmal gewann ich beim Bundesliga-Toto 40 Mark, danach war ich etwa für drei Wochen spielsüchtig. Bei Lotto oder Roulette verhält es sich ähnlich. Einmal bekam ich meinen Einsatz zurück, nachdem ich ein Glückslos freigerubbelt hatte, 50 Cent. Ich versuche es dennoch immer wieder.
Am Nachmittag waren mein Mitbewohner Eugen und ich im Norden von Kiew unterwegs, dort trafen wir uns mit der alten Lehrerin von Andrei Schewtschenko und tranken einen Kaffee in einer Einkaufspassage mit dem Namen „Dream Town“.
Am Abend schauten wir das Viertelfinale Tschechien gegen Portugal in einem Hinterhofkeller im Rajon Shevchenko. Wir tranken Cervena Zelka. Eugen wie immer Kwas, ein Getränk, dessen Rezept mir bislang ein Rätsel. Eugen sagt: „Brot zum Trinken.“
Schließlich fiel mir der Tippschein wieder ein. Ich zeigte Eugen den Schein. Er schaute drauf und sagte, ich hätte auf Portugal gesetzt. Ich sagte, dass dies gut sein könnte, schließlich sind sämtliche Informationen auf dem Tippschein in kyrillischer Schreibweise. Und mir war bis dato weder Португалія (Portugal) noch von Чеськареспубліка (Tschechische Republik) geläufig. Also ging ich erneut zur „Sport Extrem“. Wieder die Fußballe, die Geldscheine, doch ich erwartete nicht viel, Portgual dürfte der Favorit der Partie gewesen sein. Als ich den Laden betrat, lief eine Partie aus England. Hull City gegen Watford. Der Mann von gestern saß wieder vor dem Schirm. Arbeitete er hier? War er Testgucker? Brauchte er englische Zweitligaspiele, um die fußballlose Zeit bis zum nächsten Viertelfinale am Abend zu überbrücken? Vielleicht war das auch sein Protest gegen die EM? Ich traute mich nicht, ihn in seiner Konzentration zu stören und ging direkt zum Tresen. Sie sah den Tippschein und zählte Geldscheine ab. 100, 200, 300, 400, 400, 400!
Das Vierfache des Einsatzes für eine läppische 1 beim Spiel Portugal gegen Tschechien. Ich ärgerte mich maßlos. Hätte ich nur 1000 gesetzt. Ich könnte mir fast einen ukrainischen Fußballklub kaufen oder gründen oder ausdenken. Dazu in Haus am Dnepr, eine Terrasse, einen Garten, eine Dienstboten, zwei Dienstboten, ein 100-Liter-Fass mit Kwas, einen Keller voll Cervena Zelka und einen Koch, der mir zu jeder Zeit Wareniki, diese kleinen leckeren Teigtaschen, zubereitet. Hätte ich doch nur 1000 gesetzt! Ach, hätte ich doch nur 10.000 gesetzt. Ich wäre Millionär.
Heute Abend spiele ich erneut. Und ich werde wieder die 1 nehmen. Egal, wer Німеччина und wer Греція ist. Danny de Vito wird mein Zeuge sein.