Chefchen wurde er genannt und Unvollendeter. Aber Bastian Schweinsteiger ließ sich mit den großen Titeln nur etwas Zeit. Mit uns blickt er zurück auf eine der erfolgreichsten Karrieren im deutschen Fußball.
Dieses Interview erschien erstmals in Ausgabe #224. Erhältlich bei uns im Shop.
Bastian Schweinsteiger, seit acht Monaten sind Sie Fußballrentner. Haben Sie schon Sehnsucht nach dem Fußball?
Nein, er ist ja immer noch Teil meines Lebens. Ich stehe mit ehemaligen Spielern in Kontakt, mein Bruder ist Trainer, und ich arbeite für die ARD.
Oliver Kahn sagte mal, er habe Angst vor der Leere danach gehabt.
Die hatte ich nicht. Vielleicht weil ich immer wusste: Das Leben ist mehr als Fußball oder der Beruf. Ich habe mich sogar gefreut, dass ich nun mehr Zeit für die Familie habe. Aber klar, beim letzten Spiel war es trotzdem sehr emotional.
Am 6. Oktober 2019 spielten Sie mit Chicago Fire ein letztes Mal in Orlando. Ist noch mal Ihr bewegtes Fußballleben am inneren Auge vorbeigezogen?
Genau so war es. In der MLS läuft vor jedem Spiel die amerikanische Nationalhymne, das Stadion kommt zur Ruhe – und da kam ganz viel hoch, Erinnerungen, Bilder, große Spiele, kleine Momente, wie es war, jedes Wochenende vor 72 000 Zuschauern zu spielen. Aber auch, wie alles anfing.
„Und dann stand plötzlich David Luiz neben mir im Strafraum und sagte: ‚Now goal‘“
Im Juni erscheint die Dokumentation „Memories: Von Anfang bis Legende“ über Ihr Leben mit dem Fußball. Darin erzählen Sie vom Idol Ihrer Kindheit. Das war kein Fußballer, sondern der Skifahrer Marc Girardelli.
Ich komme aus einer sportbegeisterten Familie, und Skifahren war immer unsere andere große Leidenschaft. Mein Vater hat früher Profirennen veranstaltet; um meine Heimatstadt Oberaudorf herum liegen einige Skigebiete. So war ich auf dem Fußballplatz Mehmet Scholl und auf der Piste Marc Girardelli. Bis ich 14, 15 Jahre alt war, lief beides parallel.
Sie waren sogar besser als Felix Neureuther.
Unser letztes Rennen habe ich zumindest gewonnen. Bedeutet: Ich bin auf dem Höhepunkt abgetreten. Man muss halt wissen, wann man aufhört. (Lacht.) Im Ernst: Wir waren Konkurrenten, aber auch Freunde. Mal gewann er, mal ich.
Was fanden Sie am Skifahren gut?
Ich mochte das Essen zwischen den Rennen. Germknödel mit Vanillesoße oder Kaiserschmarrn mit Apfelmus. Das hätte es in der Halbzeit eines Fußballspiels nie gegeben. Außerdem mag ich dieses Freiheitsgefühl, die Natur, die Aussicht. Morgens um 7 Uhr auf einem fast menschenleeren Gipfel zu stehen, ist eine wahnsinnig tolle Erfahrung.
Auf der Piste ist man auf sich gestellt. Was faszinierte Sie dann am Mannschaftssport Fußball?
Der Teamgeist, das Solidarische, dieser Wir-schaffen-das-gemeinsam-Gedanke. Wenn du einen Fehler gemacht hast, bügelt der andere ihn für dich aus. Und ich mag es, wenn Dinge funktionieren. Bei den Bayern hatten wir so viele gute Spieler, dass wir Spielzüge eintrainieren konnten, die in der Partie exakt so geklappt haben. Aber ich liebe Fußball auch, weil er so überraschend ist, so instinktiv und unvorhersehbar. Du musst in jeder Situation neue Lösungen finden, dich auf unterschiedliche Gegen- und Mitspieler einstellen, auf eigenwillige Charaktere. Vor allem die großen Endspiele verlaufen nie so, wie du denkst.