Und wir dachten, wir hätten es hinter uns! Ab heute Abend nennt SAT.1 sein Fußballformat wieder „ran“. Müssen wir uns jetzt wieder durch Spielerfrauen und Statistiken vom Wesentlichen abhalten lassen? Ein Blick zurück im Zorn.
Wer erinnert sich nicht an die heillose Verwirrung an einem Montag Mitte der 90er Jahre, als „Raider“ plötzlich „Twix“ hieß? Fast hätte man am Süßigkeiten-Regal daneben gegriffen. Doch die kühlen Marketing-Strategen nahmen die vorübergehende Irritation so vieler adipöser Kinder billigend in Kauf. „Twix“, der in den USA bereits etablierte Name, war einsilbig, prägnant, hatte etwas disneyhaft Pfiffiges und nicht das muffige Trucker-Lebensgühl von „Raider“. Da biss man rein, ohne an Gunter Gabriel zu denken.
Nun plant der Privatsender SAT.1 in Person von Geschäftsführer Guido Bolten einen ähnlichen Coup. Das bislang sehr schwammig titulierte Format „SAT.1 Fußball“ wird ab heute ebenso knackig umbenannt – in etwas, das jedoch dubiose Erinnerungen weckt: „ran“.
Blicken wir zurück. Es war der 14. August 1992, als Moderator Reinhold Beckmann die Zuschauer der neu geschaffenen Fußballsendung „ran“ in einer roten Jeansjacke begrüßte. Beckmann, damals Mitte 30, war noch weit entfernt vom weinkennerischen Salon-Talker, der er heute ist. Er und seine Jacke sagten: „Wir bringen hier jetzt mal frischen Wind rein“.
Puschel-Mikrofone ins Gesicht gerammt
Wind entstand, doch dass er frisch war, fanden nicht alle. Während die „Sportschau“, die von „ran“ abgelöst worden war, sich noch ausschließlich auf den Hergang einer Bundesliga-Partie konzentrierte, aus ihr nicht mehr machte, als sie war, und sich so den Vorwurf zuzog, spröde zu sein, setzten Beckmann und seine Redaktion auf Show. Der so genannte Field-Reporter wurde geboren, Männer wie Ecki Heuser, die verschwitzten Spielern Puschel-Mikrofone ins Gesicht rammten: „Wie fühlen Sie sich?“ Wenn der Gefragte das nicht beantworten konnte – kein Problem: Myriaden sinnlos eingeblendeter Statistiken vermittelten auch so ein Bild seines körperlichen Zustands. Und wie es ihm mental erging, zeigte „ran“ per Kameraschwenk auf die Tribüne. Dort saß seine Frau, die „Spielerfrau“.
Angela Häßler, Claudia Strunz, Bianca Illgner – ihnen allen verhalf „ran“ zu einer gesellschaftlichen Funktion: Sie bedienten den Voyeurismus des Zuschauers. Neue Frisur? Schicke Tasche! Formkrise wegen Ehekrach? Oder hat sie gar was mit dem Mitspieler? Mit der Darstellung dieses Jahrmarktes der Eitelkeiten machte sich „ran“ zum TV-Pendant der „Bild“-Zeitung – und wickelte sich schließlich selbst ab. Zerstückelt durch Werbeunterbrechungen, die oft spannender waren als die redaktionelle Leistung, moderiert von den verzweifelt über das Elend hinweg ironisierenden Oliver Welke und Lou Richter und mit kaum noch wahrnehmbaren Verfallsprodukten von Fußball durchsetzt, fiel 2003 bei „ran“ der letzte Vorhang.
Und nun, sechs Jahre später, die Wiederbelebung. Dass alles, was mal peinlich war, mit etwas Abstand plötzlich toll gewesen sein kann, hat uns das Revival der 80er gelehrt. Greift dieser Verklärungseffekt nun auch bei „ran“? Oder sind die Erinnerungen an die brachiale Boulevardisierung der Fußballberichtersttung im Fernsehen und ihre Urheber noch zu frisch?
SAT.1 will es wissen. Guido Boltens Satz „Wir wollen zurück zu alter Stärke“ lässt Schlimmstes befürchten. Der Geschäftsführer und die Seinen beschwören die Tradition. Es ist leider die einzige, die sie haben.