Ein Aufstieg von Preußen Münster am letzten Spieltag ist ziemlich unwahrscheinlich. Warum es trotzdem klappt? Weil am Ende die Guten siegen, schreibt SCP-Fan Thomas Knüwer.
Seit 37 Jahren bin ich nun Preußen-Fan, aber noch nie habe ich eine Saison erlebt wie diese. Klar, eng und spannend war es oft. Doch die aktuelle Spielzeit der Regionalliga West ist ein emotionaler Hurricane, ein nicht enden wollender Strudel aus Geschichten mit Legenden-Potential, neun Monate aufs Prallste gefüllt mit Rückschlägen, Skurrilitäten und Sensationen. Diese Saison, sie ist wie eine Marvel-Serie auf Speed.
Und das vom ersten Moment an. DFB-Pokal: Preußen auf Augenhöhe mit Champions-League-Teilnehmer Wolfsburg, der macht in der 90. den Ausgleich, gewinnt dann – aber dank Mark van Bommels ausbaufähiger Regelkunde in Sachen Auswechslungen geht das Spiel vor Gericht an den SCP.
Das erste Liga-Heimspiel: drückend überlegen, der Linienrichter gibt sich in Sachen Abseits fachlich sattelfest wie van Bommel im Kompentenzgebiet „Wechsel“, Aachen gleicht aus. Preußens Siegtreffer fällt in der 93. Minute – die Hammer Straße explodiert. In diesem Takt geht es weiter: Das Pokalspiel gegen Hertha verliert Preußen, weil ein junger Spieler einmal zu hart reingeht und Rot sieht; gegen Gladbachs Zweite gibt der SCP zwei Punkte ab, weil ein einzuwechselnder Spieler seine Stutzen nicht regelkonform trägt und nicht au’s Feld darf, woraufhin an seiner Position das Tor fällt.
Es sind zu viele Geschichten, um sie hier alle zu erzählen. Und über allem schweben Corona, eine SCP-Chancenverwertung aus der Kategorie Slapstick und eine Verletzungsserie für die Geschichtsbücher: Top-Neuzugang Manni Kwadwo war schon vor dem ersten Spieltag raus, Mittelfeld-Regisseur Dennis Daube begrub die Saison am 8. Spieltag per Kreuzbrandriss, Winter-Rückkehrer Lukas Frenkert brachte es auf sechs Partien, bevor er dauerhaft ausfiel – und das sind nur die großen Beispiele.
So eine Marvel-Serie braucht aber auch einen Bösen und der trägt Rot und Weiß. In Münster spielt der SCP Essen eine Halbzeit an die Wand, führt 2:0 – um dann 2:3 zu verlieren. Nach dem Spiel stürmen Essener die Münsteraner Gegengerade, auf der Normalo-Zuschauer stehen – es gibt 30 Verletzte. Das Rückspiel wird beim Stand von 1:1 abgebrochen, weil ein Böller gezielt auf SCP-Ersatzspieler geworfen wird – drei Verletzte, der nächste Sieg vor Gericht. Seit Jahren geht das so bei RWE. Entweder gibt es in Essen keine Fanarbeit oder sie ist in bizarrem Ausmaß erfolglos.
In einer Marvel-Show muss der Gute auch mal Böses tun. Und so umwarb Münster in der Winterpause Essens Kapitän Dennis Grote. Der spielte mit offenen Karten gegenüber Rot-Weiss, offenbarte das Angebot und wurde für diese Transparenz mit der Suspendierung belohnt. Daniel Davari, Grotes Nachfolger als Kapitän, flog raus, nachdem er nicht auf der Bank sitzen wollte. Anderswo würde man einen solchen Spieler abkühlen lassen und wieder integrieren – der Thanos der Regionalliga West aber kennt keine Gnade. Folgerichtig feuerte RWE zwei Spieltage vor Schluss Christian Neidhart, einen Trainer um den viele in Fußball-Deutschland den Verein beneideten. Niemand, wirklich niemand, würde Rot-Weiss Essen vorwerfen, professionell und zeitgemäß geführt zu werden.
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