Im Sommer 2012 geht der Student Philipp Züfle für ein Auslandssemester nach Schottland. Wenig später läuft er gegen die Rangers auf. Im Ibrox. Vor 45 000 Zuschauern.
Der Text erschien erstmals im 11FREUNDE Spezial „Die wunderbare Welt der Amateure“. Das Heft findet ihr bei uns im Shop.
Ich sitze in der Kabine und mein Trainer schreit mich an: „You’re a cunt! You’re a good cunt!“ Ich habe keine Ahnung, warum er so schreit und was er mir damit sagen will. Ich denke nur: „Egal. Jetzt kick ich halt!“ Ich bin im Tunnel. Draußen warten die Spieler der Rangers, Nationalspieler aus Wales oder Nordirland, auf der Bank Trainer Ally McCoist, über 500 Spiele für die Rangers, 61 Länderspiele für Schottland. Wahnsinn! Aber die Nervosität verfliegt schnell, denn wir spielen nicht schlecht. Jedenfalls bis zur 30. Minute, als vor mir eine Zwei-Meter-Kante den Ball mit der Brust annimmt. Es sieht so aus, als springe ihm der Ball zu weit weg. Mit allem, was ich habe, drehe ich mich in ihn rein. Da macht er plötzlich einen Satz nach vorne – und ich erwische ihn mit dem Fuß am Knie. Grobes Foulspiel, Platzverweis. Nach einer halben Stunde. Im Spiel meines Lebens.
Ich kicke, seit ich denken kann. Mit fünf Jahren legte ich bei meinem Heimatverein los, von da ging es in die D‑Jugend des SC Freiburg. Es drehte sich alles nur um Fußball: Nach der Schule direkt zum Training hetzen, später mit dem Bus nach Hause tingeln und bestenfalls am Abend noch Fußball in der Glotze gucken. Und am nächsten Tag? Genau das gleiche. Ab der B‑Jugend saß ich allerdings nur noch auf der Bank, und bald wurde mir klar, dass ich es nicht zum Profi schaffen würde. Also fing ich ein Studium in Freiburg an: Sport und Englisch auf Lehramt. Nebenbei kickte ich für den Bahlinger SC in der Oberliga.
Ich musste gegen die Rangers spielen
Im Rahmen meines Studiums musste ich ein Praxissemester machen, das man auch im Ausland absolvieren kann. Ich wollte unbedingt an eine englischsprachige Schule, wo ich auch Fußball spielen kann. Der Studienberater empfahl mir eine in Schottland, an der sie einen Lehrer suchten, der gleichzeitig die Schulmannschaft trainieren könnte. Und Vereine gebe es dort sicherlich auch. Ich überlegte nicht lange – und zog im Sommer 2012 nach Dollar, ein 2700-Einwohner-Nest in Clackmannanshire, östliches Schottland. In den Wochen vor meiner Reise suchte ich Vereine aus der Gegend raus und verschaffte mir einen Überblick über die dortigen Ligen. Da fiel mir auf, dass die Glasgow Rangers in die Vierte Liga abgestiegen waren, League Two, offiziell die unterste Profiliga, sportlich aber vergleichbar mit unserer Oberliga. In dem Moment war klar: Ich musste einen Verein in dieser Liga finden, um gegen die Rangers zu spielen.
Ich bin mit dem Auto nach Schottland gefahren, in einem alten, grünen Nissan Primera, 20 Stunden Fahrtzeit. Ohne Navi, nur mit einem ausgedrucktem Google-Maps-Plan auf dem Beifahrersitz, zehn Seiten DIN A4. Und dann, nach der Fähre, Linksverkehr. Eine abenteuerliche Tour. Aber ich wollte unbedingt ein Auto dabei haben. Ich wusste ja nicht, wie weit entfernt mein zukünftiger Verein spielen würde.
„Kann ich mittrainieren?“ Die Antwort: „Keine Chance.“
Nach meiner Ankunft eröffnete ich in Dollar ein Konto und kam mit der Beraterin ins Plaudern. Ob sie jemanden kennen würde, der Fußball spielte. „Klar“, sagte sie. „Mein Cousin.“ Ich rief ihn an, und er sagte mir, ich könne vorbeischauen. Er erwähnte aber nicht, dass es sich um eine Sunday League handelte. Wenige Tage später fand ich mich in einem Park wieder, Tore ohne Netze, ein Acker als Spielfeld, wilder als bei uns in der Kreisliga. Und dann setzten mich die Jungs noch auf die Bank. Aber ich wollte kein Ergänzungsspieler in der Sunday League sein, ich wollte gegen die Rangers ran. Also schrieb ich zwei größere Vereine in der Umgebung an: Stirling Albion FC und East Stirlingshire FC. Aber: keine Reaktion. Irgendwann hatte ich die Faxen dicke und fuhr mit meiner Sporttasche direkt zum Stadion von Stirling Albion und fragte an der Rezeption: „Kann ich mittrainieren?“ Die Antwort: „Keine Chance.“