Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Das Inter­view erschien erst­mals im Mai 2017.

Uwe Bein, wir wollen mit Ihnen über die Saison 1991/91 spre­chen? 
Ach ja? Da habe ich doch gar nicht gespielt. (lacht) 

Doch, doch, Sie waren der Regis­seur des Fuß­ball 2000“, der Lenker eines gran­diosen Teams. Doch am letzten Spieltag ver­loren Sie beim Absteiger in Ros­tock die sicher geglaubte Meis­ter­schaft. 
Es gab in der End­phase der Spiel­zeit meh­rere strit­tige Schieds­rich­ter­ent­schei­dungen. Auch an diesem Tag in Ros­tock. Aber wir hätten den Sack schon vorher zuma­chen müssen.

Näm­lich wann? 
Wir spielten am 33. Spieltag zuhause unent­schieden gegen Wat­ten­scheid, wenn alles normal gelaufen wäre, hätten wir die aus dem Sta­dion geschossen. Und am vor­letzten Spieltag gelang es uns nicht, Werder zu deklas­sieren, obwohl die nach ihrem Sieg im Euro­pa­pokal der Pokal­sieger noch fast ange­trunken nach Frank­furt kamen. Die haben vor dem Spiel gesagt: Wir haben nichts dagegen, wenn ihr Deut­scher Meister werdet.“ Übri­gens: In diesem Spiel wurde uns nach einem Foul an mir der klarste Elf­meter der Geschichte ver­wei­gert. Noch klarer als der in Ros­tock. Da hat sich aber keiner drüber auf­ge­regt, weil es nicht das letzte Spiel war.

Den­noch wurde das Team des Fuß­ball 2000“ zum Mythos. Was machte diese Elf auch aus Ihrer Sicht beson­ders? 
Die Mann­schafts­teile passten sehr gut zusammen. Die offen­siven und defen­sive Mit­tel­feld­spieler haben sich gut ergänzt, genauso wie das Mit­tel­feld und die Stürmer.

Sie waren berühmt für Ihren töd­li­chen Pass“. Woher stammte das scheinbar blinde Ver­ständnis zwi­schen Ihnen, Andreas Möller, Tony Yeboah und den anderen? 
Sowas kann man nicht trai­nieren. Ent­weder man kann mit­ein­ander oder eben nicht. Gerade Andi und mir wurde nach­ge­sagt, wir hätten Stress mit­ein­ander. Aber das traf nicht zu. Wir haben uns nicht nur auf dem Platz ver­standen, son­dern auch außer­halb.

Wie eng standen Sie sich denn mit Möller? 
Wäh­rend der WM in Ita­lien 1990 waren wir zusammen unter­wegs, auch unsere Frauen waren oft dabei. Auch mit Stefan Studer habe ich privat viel gemacht und wir haben uns blind ver­standen. Toni Yeboah, Andi Möller und Studer wussten, dass sie die ersten Optionen waren, wenn ich am Ball war.

Ihr Trainer Dra­go­slav Ste­pa­novic sagt, die Kom­bi­na­ti­ons­si­cher­heit habe daraus resul­tiert, dass sie im Trai­ning ständig gespielt hätten? 
Ich kann mich an keine Trai­nings­ein­heit erin­nern, in der wir nicht gespielt haben. Das hat viel Menge Spaß gemacht und durch das Klein-Klein-Spiel wurden alle ball­si­cherer.

Brauchten Sie diese Ball­si­cher­heit noch? 
Naja, ich weniger, eher die anderen.

Ste­pa­no­vics Vor­gänger war Jörg Berger. Wel­chen Anteil hatte er am attrak­tiven Spiel der Mann­schaft? 
Einen sehr großen, denn Stepi“ hat eine voll­ständig intakte Mann­schaft über­nommen.

Aber auch Sie wurden von Uli Stein im Trai­ning mit­unter hart ange­gangen. 
Ich weiß, worauf Sie anspielen. Wir machten ein Klein­feld-Match, fünf gegen fünf, Uli stand bei den anderen im Kasten. Wir haben das andere Team mit kurzen Ball­sta­fetten vor­ge­führt, nach fünf Minuten führten wir mit 4:0. Da sagte Uli: Den nächsten, der mir zu nahe kommt, trete ich um!“ Das war dann ich. Zu meinem Glück bin ich noch hoch­ge­sprungen, sonst hätte ich wahr­schein­lich im Kran­ken­haus gelegen.

Wie haben Sie reagiert? 
Ich habe gesagt: Du bist doch nicht ganz dicht!“ und danach die Kom­mu­ni­ka­tion für eine Woche ein­ge­stellt. Irgend­wann kam er dann und hat sich ent­schul­digt. 

Und Sie haben ange­nommen? 
Na klar, aber ich habe auch gesagt: Schön und gut, aber das hätte mal einer bei Dir machen müssen.“ Bei mir hat er das nur einmal gemacht, aber es gab sicher Abwehr­spieler, die öfter mit Muf­fen­sausen auf den Platz gegangen sind, wenn sie vor ihm spielen mussten.

Hat man bei so einem Klima Lust zur Arbeit zu gehen? 
Manchmal nicht. Das Schlimme war ja, dass Uli gar nichts zu sagen brauchte. Wenn er ein Tor bekam, reichte sein Blick und man wusste, gleich kommt wieder was. Über Uli gibt es viele lus­tige Geschichten.

Was fällt Ihnen noch ein? 
Beim Tor­schuss­trai­ning habe ich manchmal den Ball geschlenzt. Aber er hat nur gehalten, wenn einer Voll­spann drauf­schoss. Wenn ich den Ball aus 16 Metern flach ins Eck schob, reagierte er gar nicht.

Auch seine Anspra­chen sind legendär. 
Im Pokal führten wir gegen einen Ama­teur­li­gisten zur Halb­zeit 3:0, aber natür­lich hätten wir 6:0 führen müssen. Uli kommt in die Kabine und brüllt rum. Da bin ich auf­ge­standen und habe gesagt: Stein, halt end­lich mal deine Klappe!“ Da hat er mich ange­guckt und war ruhig. Sonst hat nie jemand was gesagt, aber da ist mir der Kragen geplatzt.

Wie ging das weiter? 
Abends nach dem Spiel, trafen wir uns in einer Dis­ko­thek. Uli saß an der Theke und kam rüber zu mir: Uwe, fand ich gut, dass du heute mal was gesagt hast.“

Und darauf Sie? 
Ich sagte: Das wurde doch auch mal Zeit.“

In dieser Zeit wurde aber auch viel unnö­tige Energie ver­pul­vert, oder? 
Ich glaube, Uli hat seine Kar­riere durch solche Eska­paden abseits des Platzes auch ein biss­chen ver­schlu­dert. Er war mit Sicher­heit nicht schlechter als Toni Schu­ma­cher, aber einer, der so auf­tritt, hat ein­fach keine Lobby. 

Aber die Mann­schaft ist unter Ste­pa­novic noch gewachsen? 
Mit Sicher­heit. Er hat uns spielen lassen und nicht in irgendein Kon­zept gepresst. Zu mir sagte er: Wenn zehn Pässe nicht ankommen, spiel auch den elften und zwölften!“ Ich hatte unter ihm alle Frei­heiten. Dazu gehörte natür­lich, dass mich die anderen unter­stützten. Unglaub­lich, wie viele Bälle Ralf Fal­ken­mayer erkämpft und abge­laufen hat. Der Falke“ war der ent­schei­dende Mann für unsere Spiel­eröff­nung, er war sich nie zu schade, den kurzen Pass zu mir, anstatt selbst den langen Ball zu spielen.

Es heißt, Ste­pa­novic habe sich im Laufe der Saison zum Nega­tiven ver­än­dert. 
Natür­lich ver­än­dert sich ein Trainer mit dem Erfolg. Stepi“ glaubte bald, dass es sein Ver­dienst sei, dass die Mann­schaft so gut spielte. Dabei war es vor allem das Ver­dienst von Bernd Höl­zen­bein, der die Mann­schaft zusam­men­ge­baut hatte.

Bernd Höl­zen­bein war der Archi­tekt dieser Mann­schaft, Manager war aller­dings Klaus Gerster, der Berater von Andreas Möller und Man­fred Binz. Wel­chen Ein­fluss hatte er auf das Team? 
Genau kann ich das nicht sagen. Meines Erach­tens war Holz der­je­nige, der die Trans­fers bestimmte.

Haben Sie nie mit Gerster ver­han­deln müssen? 
Das ist zwar vor­ge­kommen, aber keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Ich dachte: Der lacht sich doch kaputt, wenn er weiß, was ich ver­diene, im Gegen­satz zu dem, was der Andi ver­dient. Es war kein Geheimnis, dass Andi Möller in Frank­furt die meiste Kohle ver­diente. Aber letzt­lich war es mir auch egal, was die anderen kriegten, ich war zufrieden mit dem, was ich bekam.

All­ge­mein heißt es über das Team, dass es drei Lager gab: Die große Gruppe von Neu­tralen… 
…dazu zählte wohl auch ich…

…die Ver­trauten von Manager Gerster, zu denen Man­fred Binz und Andreas Mölller gehörten. Und die soge­nannten Rebellen“ bestehend aus Uli Stein, Axel Kruse, Heinz Gründel und Lothar Sippel. 
Ja, es gab die drei Gruppen, aber der inten­sivste Stress ging von den Kon­flikten zwi­schen Uli Stein und Andi Möller aus. Der Andi war ein rotes Tuch für den Uli.

Wie kam es, dass Uli Stein ständig so aus­rasten konnte? 
Er hat sich das her­aus­ge­nommen. Da haben weder Jörg Berger, noch Stepi“ oder später Klaus Topp­möller was gesagt – zumin­dest nicht vor der Mann­schaft. Eigent­lich muss ein Trainer ein­schreiten, wenn ein Spieler in der Kabine so ein Brim­bo­rium macht. Ist aber nie pas­siert.

Warum hat die Ver­eins­füh­rung nicht mehr Ver­ant­wor­tung über­nommen? 
Bernd Höl­zen­bein hat ein fan­tas­ti­sches Team zusammen gestellt, er hat bloß einen Fehler gemacht: Er hat nie auf den Tisch gehauen. Dabei war er die ein­zige Person, die das hätte machen können. Einmal sagen: Das geht nicht.“

Warum nicht? 
Weil er es jedem recht machen wollte. Als Uli mich umge­treten hat, hätte es eigent­lich ver­eins­in­tern eine Strafe geben müssen. Aber das wurde so abgetan. Wenn es Pro­bleme gab, hat Bernd immer ver­sucht, es mit Reden zu lösen.

Hätten Sie als Füh­rungs­spieler bei einem wie Stein nicht gegen­halten können? 
Mir lag es nicht, eine dicke Lippe zu ris­kieren. Das wurde mir auch vor­ge­worfen. Aber ich bin letzt­lich mit meiner Art gut gefahren. Wenn mir etwas auf­fiel, habe ich mit dem Betref­fenden oder dem Trainer dar­über geredet. Es gab immer nur Stress, wenn die Gruppen gegen­ein­ander Stel­lung bezogen.

Und trotzdem spielten Sie Traum­fuß­ball. 
Schon komisch, dass sich das kaum auf dem Platz aus­ge­wirkt hat. Bei unserem stän­digen Theater war es eigent­lich undenkbar, dass wir am Wochen­ende Fuß­ball spielen und auch noch gewinnen. 

Die Ein­tracht führte in der Saison 1991/92 ins­ge­samt 19 Spiel­tage lang die Tabelle an. Ab dem 30. Spieltag kam die gut geölte Maschine ins Stot­tern, sie spielten viermal in Folge unent­schieden. 
In der Zeit war ich ver­letzt.

Ach wirk­lich? 
Die letzten zehn Spiele habe ich prak­tisch nicht mehr trai­niert. Ich hatte eine Kno­chen­haut­ent­zün­dung am linken Spann, aber Stepi“ sagte, ich könne die ganze Woche machen, was ich will: Fahrrad fahren oder mas­sieren. Ich tauchte nur zum Abschluss­trai­ning am Freitag auf, bekam eine schmerz­stil­lende Spritze und war bis Sams­tag­abend so betäubt, dass ich spielen konnte. Heinz Gründel prägte damals den Spruch: Woran erkennt man in Frank­furt, dass Freitag ist? Uwe Bein kommt zum Trai­ning!“

Auf der Ziel­ge­raden der Meis­ter­schaft kam heraus, dass Andreas Möller eine vier Mal höhere Titel­prämie kas­sieren sollte als der Rest der Mannn­schaft. 
Es gab ständig Zoff wegen der Kohle. Aber dass solche Sachen in der Zei­tung standen, spricht auch nicht gerade für das Umfeld der Ein­tracht. Da war schon Einiges mit Absicht.

Wer war das Leck? 
Eigent­lich kannten nur zwei Leute die Ver­träge: Bernd Höl­zen­bein und der Manager. Nur soviel: Ich frage mich bis heute, welche Funk­tion Klaus Gerster genau hatte.

Aber als Manager saß er doch mit in der Kabine. 
Gesagt hat er da fast nichts. Und, wie gesagt, als ich einmal mit ihm ver­han­deln sollte, war das für mich eigent­lich ein No-Go.

Würden Sie sagen, dass auf die Länge der 38-Spiel­tage-Saison die Gra­ben­kämpfe im Team dafür gesorgt haben, dass der Ein­tracht am Ende die Luft aus­ging? 
Das stän­dige Theater hat schon viel dazu bei­getragen, dass wir es nicht geschafft haben.

Wissen Sie noch, wer damals im Mann­schaftsrat war? 
Uli, Manni, Andi, ich? Genau weiß ich es auch nicht mehr. Das war eh kein rich­tiger Mann­schaftsrat, denn bei uns lief es so: Uli hat irgend­etwas gesagt und dann gingen die Dis­kus­sionen los. Denn einer war immer dabei, der nicht ein­ver­standen war.

Als Sie nach dem letzten Sai­son­spiel in Ros­tock zum Flug­hafen fuhren, soll Uli Stein eine ver­söhn­liche Ansprache an die Mann­schaft gehalten und The Show must go on“ von Queen ein­ge­legt haben. 
Daran kann ich mich nicht erin­nern. Im Bus war bei mir nur Leere. Der ein oder andere hat geheult.

Was haben Sie gemacht? 
Ein­fach nur dage­sessen. Da war nichts mehr.

Waren Sie noch beim Ban­kett an der Frank­furter Messe? 
Da mussten wir ja hin. Ich habe drei, vier Bier getrunken und bin dann ins Bett.

War Ihnen damals bewusst, wie groß­artig Sie trotz der Fehden im Team spielten? 
Natür­lich war uns klar, dass wir geilen Fuß­ball spielten, das haben sogar die Bayern gesagt. Wir waren fuß­bal­le­risch eine Top-Mann­schaft, die unfähig war, das Drum­herum in den Griff zu kriegen.

Wel­cher Mit­spieler hat in der Spiel­zeit 1991/92 am kon­stan­testen gespielt? 
Ralf Fal­ken­mayer, der hat immer seine Leis­tung abge­rufen. Er hat in dieser Mann­schaft die Arbeit gemacht, obwohl er gar nicht unbe­dingt der Kämp­fertyp, son­dern auch tech­nisch sehr gut war.

Wie sehr beschäf­tigt Sie die ver­ge­bene Meis­ter­schaft von 1992 heute noch? Sie haben nie mehr einen Titel geholt. 
Wenig. Aber wenn wir uns jetzt drüber unter­halten, kommt Einiges wieder hoch. Und manchmal denke ich: Wie blöd warst Du damals eigent­lich?

Was würden Sie heute Sicht anders machen? 
Die Strei­te­reien in der Truppe nicht so laufen lassen. Wenn Uli hinten anfing hat, uns unbe­gründet anzu­schnauzen, hätte ich öfter ein­schreiten müssen. Ich hätte ihn öfter mal zur Seite nehmen sollen und sagen: Ey Stein, hör auf! Kon­zen­trier‘ dich auf deine Leis­tung, du bist der beste Tor­wart, den man haben kann, aber ver­such doch auf posi­tivem Weg Stim­mung zu machen.“