Vor 50 Jahren eskalierte nach einem WM-Qualifikationsspiel der schwelende Konflikt zwischen El Salvador und Honduras. Der sogenannte Fußballkrieg kostete Tausende das Leben, der Fußball wurde schamlos für politische Zwecke missbraucht.
Und dann erlaubt sich Mauricio Rodríguez zum ersten Mal einen Anflug von Stolz. Nach rund einer Stunde Gespräch erhebt er sich, den alle seit seiner Kindheit nur „Pipo“ nennen, von der schwarzen Ledercouch im Wohnzimmer seines Hauses in San Salvador und geht die wenigen Schritte in sein Arbeitszimmer. Zwischen Dutzenden von Pokalen, Zeitungsausschnitten und Urkunden kramt Rodríguez eine kleine silberfarbene Schachtel hervor.
Vorsichtig öffnet er sie und nimmt eine auf Watte gebettete vergoldete Medaille heraus.
Mit dem Daumen fährt er darüber, gerade so, als wolle er Staub abwischen. „Heroe Nacional Pipo Rodríguez“ – Nationalheld Pipo Rodríguez – steht auf der Gedenkmünze, die an einem blau-weißen Band in El Salvadors Nationalfarben befestigt ist. „Die habe ich nach dem Spiel in Mexiko-Stadt bekommen“, sagt er. Dabei legt sich erstmals an diesem Vormittag ein Lächeln auf das Gesicht von Pipo Rodríguez, und man ahnt, wie seine Gedanken zum 27. Juni 1969 reisen.
An diesem regnerischen Abend vor 50 Jahren schoss er als Stürmer der Nationalmannschaft von El Salvador im Aztekenstadion ein Tor gegen Honduras, mit dem er sein Land der Teilnahme an der WM 1970 ganz nahe brachte. Ein Tor, von dem man später behaupten sollte, es habe einen Krieg ausgelöst. Vermutlich spricht der drahtige, freundliche Mann mit der Vorliebe für Polohemden an diesem Vormittag deshalb lange so distanziert und emotionslos – fast spröde wie ein Historiker – über sein Tor zum 3:2‑Sieg El Salvadors, weil er um die geschichtliche Klemme weiß, in der er und seine Mitspieler damals steckten und aus der sie sich nicht befreien konnten. „Wir wurden für politische Zwecke benutzt“, weiß Rodríguez.
Von den Medien geschürter Druck
Denn während die Spieler von El Salvador und Honduras darum kämpften, mit ihren Teams als erstes zentralamerikanisches Land zu einer WM zu reisen, nutzten die Militärmachthaber in den benachbarten Staaten das sportliche Aufeinandertreffen, um die Bevölkerung auf einen Krieg um Territorialfragen und salvadorianische Einwanderer in Honduras einzuschwören, der längst beschlossene Sache war.
Das Entscheidungsspiel in Mexiko und die beiden vorangegangenen Partien in Honduras am 8. Juni und in El Salvador am 15. Juni kamen wie gerufen, um auch in der Bevölkerung den Hass zu schüren.
An den Spielern ging das nicht spurlos vorüber: „Wir spürten spätestens beim zweiten Spiel, dass wir auch eine moralische Verpflichtung hatten, für unser Land zu siegen“, erinnert sich Rodríguez an den Druck, der in diesen drei Wochen im Juni 1969 stetig größer wurde, vor allem geschürt durch nationalistische Medien: „Wir hatten das Gefühl, dass der Stolz und die Ehre El Salvadors an unseren Fußballstiefeln klebten.“
Als sei er bereit, ein Gewehr in die Hand zu nehmen
Rodríguez dreht die Ehrenmedaille zwischen den Fingern und sagt: „Nach unserer Rückkehr aus Mexiko wurden wir wie Helden empfangen.“ Die Bevölkerung von El Salvador feierte ihre Spieler einen Tag nach dem 3:2‑Sieg mit Blumen, Fahnen – und mit Tränen in den Augen. „Der Bus mit unserer Mannschaft brauchte fünf Stunden für die 15 Kilometer vom Flughafen bis ins Stadion Flor Blanca“, erzählt Pipo Rodríguez. „Und mir war durchaus bewusst, dass ich diesen Moment genießen muss. Denn es war klar, so etwas kommt nicht wieder.“ Eine halbe Flugstunde von San Salvador entfernt, in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa, sitzt Francisco Bulnes an einem klaren heißen Morgen in den Räumen des honduranischen Fußballverbandes Fenafuth und erzählt von einer völlig anderen Rückkehr.
Keine Medaillen, keine Blumen, keine Freudentränen. „Als wir aus Mexiko nach Tegucigalpa zurückkamen, war der Fußball längst Nebensache “, erinnert er sich, der in den drei Spielen Pipo Rodríguez‘ Gegenspieler war. Ganz Honduras war in Aufruhr, aber nicht wegen der Niederlage gegen den Nachbarn, sondern aus Angst vor einem Krieg gegen ihn. Am Morgen vor dem Spiel hatte Honduras Präsident Oswaldo López Arellano die diplomatischen Beziehungen zu El Salvador abgebrochen und damit die Entscheidung der Salvadorianer einen Tag zuvor erwidert.
„Wir fürchteten, dass es Krieg geben würde, auch wenn wir uns nicht vorstellen konnten, dass Salvador uns wirklich angreift“, sagt Bulnes verständnislos. Kaum aus Mexiko zurück, schrieb Bulnes, Spitzname „Azulejo“, sich wie zehntausende andere Honduraner als Freiwilliger ein: „Ich wollte nur noch eine Waffe haben und an der Grenze mein Land verteidigen“, sagt er und rudert dabei so heftig mit den Armen, als sei er noch immer bereit, ein Gewehr in die Hand zu nehmen.