Rolf Walter wird in der nordirischen Kurve stehen, wenn das deutsche Team heute Abend in Belfast spielt. Das ist kein Fall von Landesverrat, aber wohl einer von Dissidenz.
Als Rolf Walter im September 2007 in Riga war, fühlte es sich beim Fußball endlich mal wieder richtig an. Ein paar hundert nordirische Fans hatten am Spieltag den zentralen Platz der lettischen Hauptstadt mit ihren Fahnen ausstaffiert, tranken die Kneipen leer und sangen. Walter hatte sich zusammen mit seinem Kumpel Thorsten von Berlin aus nach Travemünde aufgemacht, war von dort mit der Fähre nach Riga gefahren und fand nun, das Richtige gemacht zu haben. Dazu gehörte auch, dass er eine Fahne mitgebracht hatte, halb Red Flag of Ulster, halb Berliner Wappen mit der Aufschrift „East Berlin“. Sie hing über der Markise einer Bar und wurde von den Mitgliedern der Green White Army bald als Attraktion des Tages ausgemacht. „Irgendwann standen hunderte Nordiren um uns herum und haben gebrüllt: ›East, East, East Berlin!‹“, erzählt Walter. Von da an gehörte er dazu.
Dass er überhaupt nach Riga gefahren war, hat eine seltsame Vorgeschichte, in der mindestens noch eine andere steckt. Im März vor zehn Jahren waren Walter und sein Kumpel nach Dublin gereist, um in der irischen Hauptstadt den St. Patrick’s Day mitzuerleben. Aber irgendwie war die Veranstaltung von amerikanischen Touristen überlaufen und langweilig. Also fuhren sie weiter nach Belfast, wo Walter Anfang der neunziger Jahre mehrfach gewesen war, um für deutsche Magazine Fotos von den Straßenschlachten zwischen Protestanten und Katholiken zu machen.
Der knallharte protestantische Verein
Sie schauten sich die Stadt an und stellten fest, dass der FC Linfield ein Heimspiel hatte. Also fuhren sie zum Stadion, wo zwar auf den Rängen nichts los war, doch um so mehr in einem Pub in der Ecke des Stadions. Der FC Linfield ist ein knallhart protestantischer Verein, doch beim Betreten des Pubs lernten sie gleich Jim Rainey kennen. Der ist legendär und wurde sogar von der Queen geehrt, weil er unerschrocken dafür kämpfte, dass heute alle nordirischen Fußballfans zum Nationalteam kommen und nicht allein Protestanten. Jim Rainey war es auch, der sie einlud, nach Riga zu kommen.
Dass es aber nicht bei dem Trip nach Lettland blieb, war auch deshalb bemerkenswert, weil Rolf Walter mehr als drei Jahrzehnte nicht mehr richtig beim Fußball gewesen war, obwohl er zu den Veteranen der DDR-Fankultur gehört. 1972 hatte er im Alter von 13 Jahren mit ein paar Jungs zusammen die Black Eagles gegründet, einen der ersten Fanklubs im Land. Besonders stolz waren die Anhänger des BFC Dynamo auf ihr gesticktes Emblem auf der Kutte, so was hatte sonst niemand. In den folgenden Jahren gab es viele Verbindungen zwischen der schrägen Fanszene des Stasiklubs und anderen Renitenten im Lande, mit Punks und Skinheads, die noch keine Nazis waren. Die Jungs aus der Hauptstadt der DDR gefielen sich auf Auswärtsfahrten darin „Zonis zu ärgern“. Nach Dresden brachten sie Bananen mit, schwenkten sie und sangen dazu: „Wir haben Bananen und ihr nicht.“ Dann warfen sie die Früchte über den Zaun.
Ein paar Prügeleien gab es auch, aber noch nicht die Gewaltexzesse der Wendejahre. Die erlebte Rolf Walter sowieso nicht mehr mit, nachdem er 1984 wegen „Störung des sozialistischen Zusammenlebens und Rowdytums“ für sechs Monate in Haft ging. „Das reichte mir, anschließend wollte ich meine Kritik etwas ernsthafter loswerden.“
Ab und zu beim BFC
Walter schloss sich der Ostberliner Dissidentenszene um Bärbel Bohley an. Nach der Wende gehörte er sogar mal zum Bundesvorstand des Neuen Forums, in dem sich die DDR-Bürgerbewegung sammelte. Er gründete die kurzlebige Wochenzeitung „Die Andere“ mit und eine Fotoagentur. „Ich habe ein ziemlich buntes Leben geführt.“ Nur für Fußball war darin kein Platz mehr. Ab und zu schaute er mal beim BFC vorbei, aber die innere Verbindung war weg.
Seit zehn Jahren ist das anders, inzwischen fährt Rolf Walter zu fast jedem Auswärtsspiel der Nordiren. Denn das ist eine weitere Seltsamkeit: In Belfast war er in diesem September zum ersten Mal bei einem Spiel der Nordiren. „Auswärts ist die Party besser, da feiern sie nicht nur bis zum Umfallen, sondern darüber hinaus“, findet Walter, und die Reisen dahin machen auch Spaß. Auf die Färöer war er 36 Stunden mit der Fähre unterwegs und nach Baku 72 Stunden von Moskau mit dem Zug. Wenn er dann mal wieder gefragt wird, warum er als Deutscher Nordirland-Fan ist, heißt seine Standardantwort: „Why not!“
„East Berlin“
Ja, warum eigentlich nicht? Wenn Deutschland am 5. Oktober in Belfast spielt, wird Rolf Walter dabei sein. Auf der anderen Seite, in den anderen Farben, mit der Fahne, auf der „East Berlin“ steht. Mit der DDR-Nationalmannschaft hatte er es aus gut nachvollziehbaren Gründen nicht so, und mit dem gesamtdeutschen Team hat es auch nicht richtig geklappt. Seine Weste von den Black Eagles ist übrigens im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft gelandet, das Dokumente der DDR-Opposition sammelt. Und so gesehen wäre das vielleicht auch für die Nordirland-Flagge gar nicht der falsche Ort.