Sheriff Tiraspol schlägt sensationell Real Madrid in der Champions League! Ein modernes Fußballmärchen? Nun ja. Der Underdog aus Moldawien hat sich politisch längst vom Land losgesagt – und wird von einem dubiosen Konzern gesponsert.
Spieler brechen zusammen, manch einer lässt ein Stoßgebet gen Himmel ab, andere formen Sprungkreise. Und den Rest der Szenerie stellen weinende Männer dar, die sich in den Armen liegen: Jubelszenen nach wichtigen Fußballspielen folgen in der Regel einem Muster. So auch Ende August in Zagreb, wo dem FC Sheriff Tiraspol soeben die Champions-League-Qualifikation gelungen war – als erstem Verein überhaupt, der aus Moldawien stammt. Die Gegner in der Gruppenphase? Real Madrid, Inter Mailand und Shakhtar Donezk.
Wenige Wochen später steht Sheriff nach zwei Spieltagen in der Gruppe mit sechs Punkten auf dem ersten Platz, selbst Real wird sensationell besiegt, in Madrid sogar, gestern Abend. Klingt nach triefender Fußballromantik? Ist es aber nicht. Denn neben seinem Underdog-Dasein und einem lustigen Namen, kann der FC Sheriff Tiraspol vor allem eines vorweisen: einen richtig düsteren Background.
Der moldawische Serienmeister stammt aus der abtrünnigen Region Transnistrien, deren Loslösung (ähnlich wie im ost-ukrainischen Donbas) aus dem Hintergrund von Wladimir Putin orchestriert wird. Transnistrien ist ein vorwiegend von ethnischen Russen besiedelter schmaler Landstreifen im östlichen Moldawien, der sich Anfang der 1990er Jahre für eigenständig erklärt hat. Um diesen Status zu sichern, patrouillieren bis heute russische „Friedenstruppen“ an der Grenze zum rumänischsprachigen Rest-Moldawien. Doch weil niemand (außer vielleicht Russland) den russischen Satellitenstaat anerkennt – auch nicht die FIFA oder die UEFA – muss der FC Sheriff aus Transnistriens Hauptstadt Tiraspol weiter in Moldawiens Liga antreten, als eine Art fremde Macht. Besser gesagt: als feindliche Übermacht.
Ein sicherer Hafen für Schmuggler
Den Namen „Sheriff“ verdankt der Klub dem gleichnamigen Russland-nahen Konzern, der neben Supermarktketten, Tankstellen, einem Mobilfunkanbieter, diversen Medien und Banken auch von Geschäftsfeldern wie Schmuggel und Geldwäsche profitiert – mindestens indirekt. Transnistrien gilt als von mafiösen Strukturen durchzogen und als hochgradig korrupt. Staatsoberhaupt Wadim Krasnoselski machte einst Karriere als Chef des konzerneigenen Sicherheitsdienstes von „Sheriff“ – was nicht unbedingt heißt, dass er für Recht und Ordnung sorgt. Der US-amerikanische Thinktank „Endowment for International Peace“ bezeichnete die abtrünnige Region unlängst als „sicheren Hafen für Schmuggler“.
Die Rolle des Unternehmens „Sheriff“ in diesem 500.000-Einwohner-Staat ist, nun ja, ziemlich dubios. Nirgends in Transnistrien, so sagt man, wird ein Rubel verdient, ohne dass der krakenhafte Konzern davon profitiert. Auch die transnistrische Politik wird in Wahrheit aus der „Sheriff“-Zentrale gelenkt. Im Gegenzug lässt sich das Unternehmen gern als großzügiger Gönner feiern – und stopft jährlich einen deutlich zweistelligen Millionenbetrag in den Fußball. Da ist es kaum überraschend, dass der FC Sheriff Tiraspol 17 der letzten 19 moldawischen Meisterschaften gewann. Ein Wunder ist viel mehr, dass mit Dacia Chisinau (2011) und Milsami Orhei (2015) zwei Klubs aus Rest-Moldawien diese Phalanx zwischenzeitlich durchbrechen konnten.
Während die übrigen Vertreter der moldawischen „National-Division“ bitterarm sind und ihre Spiele großteils in jämmerlichen Bruchbuden aus der Zeit des Kommunismus austragen, steht in Tiraspol eine mit Geld aus Russland errichtete hochmoderne 200-Millionen-Dollar-Arena für 15.000 Zuschauer. In der Mannschaft des FC Sheriff tummelt sich ein halbes Dutzend Südamerikaner und Afrikaner, außerdem zahlreiche gut besoldete Legionäre aus dem osteuropäischen Raum. Früher zählte auch der Weiterverkauf ausländischer Profis nach Russland oder in die Ukraine zum Geschäftsmodell des Vereins. Doch mangels sportlicher Konkurrenz in der nationalen Liga können sich junge Spieler in Tiraspol kaum entwickeln.
Den Moldawiern westlich der Grenze ist die drückende Überlegenheit der von Moskau alimentierten „Abtrünnigen“ ein Dorn im Auge. Andererseits dient ihnen die Tatsache, dass der Konzernklub weiter in ihrer Liga antreten muss, als willkommene Erinnerung daran, dass Transnistrien offiziell noch immer moldawisches Territorium ist. Für die stalinistisch geprägte Betonburg Tiraspol, für die selbst ernannte Republik Transnistrien und für ihre Schutzmacht Russland hingegen ist die sportliche Dominanz des FC Sheriff vor allem eines: ein triumphaler Beleg für die eigene Überlegenheit gegenüber Moldawien.
Kalter Krieg in Europa
So klar wie die sportlichen Verhältnisse, so verworren sind noch immer die politischen Umstände in Moldawien und Transnistrien. 1992 starben Hunderte Menschen bei Kampfhandlungen zwischen moldawischer Armee und russisch-transnistrischen Freischärlern. An der Hochsicherheits-Grenze entlang des Flusses Dnister wird seither jeder Reisende misstrauisch beäugt und gründlich gefilzt. Wer die Demarkationslinie mit einem moldawischen Handy in Richtung Osten überquert, hat plötzlich kein Netz mehr. Ein kalter Krieg. In Europa. Doch Moldawien und Transnistrien sind so klein, dass die Welt kaum Notiz davon nimmt.
Und so ist jeder Auftritt des FC Sheriff auf internationalem Parkett für beide Seiten eine Chance, Aufmerksamkeit für die eigene politische Sache zu erlangen. Gestern in Madrid gar auf der ganz, ganz großen europäische Bühne.