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Ber­nard Dietz, viele Teen­ager werden es nicht mehr wissen: Der Kapitän der Euro­pa­meis­ter­mann­schaft 1980 kam vom MSV Duis­burg.
Kapitän wurde ich, als Helmut Schön nach der WM 1978 auf­hörte. Jupp Der­wall hat Sepp Maier zum Kapitän bestimmt und gesagt: Als zweiten nehmen wir den Ber­nard Dietz. Da hatte ich schon weiche Knie. Im Dezember gab es ein Freund­schafts­spiel in Düs­sel­dorf gegen Hol­land. Bur­denski sollte mal im Tor spielen, sagte Der­wall. Erst abends auf dem Zimmer habe ich dar­über nach­ge­dacht: was? Dann bist du ja Kapitän!

Haben Sie ein Glas Sekt darauf getrunken?
Ich habe sofort meine Frau ange­rufen: Pack die Mutter morgen ein, die muss mit ins Sta­dion. Ich trage die Natio­nal­mann­schaft auf’n Platz.“ Ich weiß heute gar nicht mehr, wem ich die Hand geschüt­telt habe. Johan Cruyff war nicht mehr dabei, viel­leicht Nees­kens oder einem von den Kerkhof-Brü­dern. 1979 hatte Sepp Maier einen Auto­un­fall und kam nicht mehr zurück. Von Ende 1978 bis Anfang 1981 haben wir über 20 Spiele nicht ver­loren. 19 Mal war ich Kapitän. Aber wir hatten auch eine tolle Truppe, da hätte es gar keinen Kapitän gebraucht.

Als Außen­ver­tei­diger wurde man damals deut­lich weniger wert­ge­schätzt als heute. Aus­ge­rechnet auf dieser Posi­tion wurden Sie Kapitän. Und Sie galten noch dazu als Lei­se­treter.
Vorher war auch der Berti Vogts Kapitän. Du brauchst Cha­rakter, Vor­bild­funk­tion – darauf kommt es an, nicht so sehr auf die Posi­tion.

Als Kapitän haben Sie in Ita­lien 1980 den EM-Titel geholt. Und Sie haben uns Lothar Mat­thäus ein­ge­brockt!
Naja, ein­ge­brockt. Er war mit 19 bei der EM 1980 zum ersten Mal dabei. Es stand 3:0 gegen Hol­land, Lothar sollte nach 70 Minuten seinen ersten Ein­satz bekommen. Da habe ich gesagt, okay, ich gehe raus. Nach einer Minute tritt der einen Hol­länder um. Elf­meter. 3:1, dann 3:2. Und was hatten die noch für Chancen. Jupp Der­wall ist der Angst­schweiß in Strömen run­ter­ge­flossen. Vor dem Tur­nier hat mich Lothar ange­spro­chen und gejam­mert: Mensch, was soll ich machen? Jupp Der­wall will mich mit­nehmen nach Ita­lien, aber ich habe meiner Freundin ver­spro­chen, mit ihr in Urlaub zu fahren. Eine spe­zi­elle Type.

Und Jupp Der­wall als Trainer?
Ein Kum­peltyp. Er hätte etwas auto­ri­tärer sein sollen. Auch mein Abgang war nicht so toll. Nach meinem 50. Spiel Anfang 1981 wollte ich zurück­treten. Der­wall sagte: Nein, wir brau­chen dich noch.“ Dann kam Paul Breitner zurück, es gab Unruhe im Team. Paul war ja immer sehr eigen: Wenn zehn Leute rot gesagt haben, hat er grün gesagt. Und dann war es grün. Vor dem nächsten Spiel kam Der­wall zu mir, zu seinem Kapitän: Du setzt mal aus.“ Ich blieb auf der Bank, dann noch mal. Schließ­lich in Stutt­gart gegen Bra­si­lien habe ich wieder gespielt. Es gab Elf­meter. Paul Breitner schnappt sich den Ball, obwohl Manni Kaltz immer unser Schütze war. Ich sage zum Manni: Was macht der? Das gibt’s doch gar nicht. Und? Ver­schossen. Wie­der­ho­lung. Wieder ver­schossen. Und das Spiel 1:0 ver­loren. Den­noch war abends Party bei Hansi Müller in der Kel­lerbar, tolle Stim­mung. Co-Trainer Erich Rib­beck hat die Klampfe raus­ge­holt und gesungen …

Bitte, Erich Rib­beck als Sänger?
Er sang Hei­mat­lieder. War alles toll. Nur Bernd Schuster fehlte, der Eigen­brötler war im Hotel geblieben. Der­wall hat ihn nachts noch aus dem Bett geholt, zur Rede gestellt und aus der Natio­nal­mann­schaft geworfen. Und für mich war das auch das letzte Mal, ohne dass ich es wusste. Denn vor dem nächsten Län­der­spiel habe ich abends Sport­studio geguckt, da wurden immer die Namen bekannt­ge­geben. Und Ber­nard Dietz war nicht mehr dabei.

Haben Sie sich beim Bun­des­trainer beschwert?
Ich bekam einen Brief von Jupp Der­wall, mit Schreib­ma­schine geschrieben. Er sei ent­täuscht über meine Äuße­rungen in einem Inter­view, das gehöre sich nicht. Ich hatte vor Block­bil­dung und Ego­ismus gewarnt. Und von da gehörte ich nicht mehr dazu. Bei der WM 82 war ich trotzdem bei einem Spiel dabei: als Betreuer einer The­ken­mann­schaft, die ein Brauerei-Tur­nier gewonnen hatte.

Wel­ches Match war es?
Das Öster­reich-Spiel in Gijon. Wo die Zuschauer mit den Geld­scheinen gewe­delt haben und die armen Alge­rier nachher geweint. Da hab’ ich mich auch geschämt.

Rück­blende: die WM 1978 in Argen­ti­nien. Mili­tär­junta, 30 000 Tote und Ver­misste. Ein Unrechts­staat. Wie wurde das in der Mann­schaft auf­ge­nommen?
Im Vor­feld hatte man sowas gehört. Es gab ja auch Boy­kott­ge­danken. Aber wenn du nicht fährst, fährt ein anderer. Wir haben in einem Mili­tär­ge­lände gewohnt, viel Polizei, zehn Mann vom Bun­des­grenz­schutz, das war schon beklem­mend. Aber Näheres wussten wir nicht, auch nicht vom Fol­tern.

Und dann kam der Wehr­macht-Oberst Hans-Ulrich Rudel zu Besuch.
Den haben wir kaum wahr­ge­nommen. Der hat ein paar Worte gesagt und ist wieder abge­zogen. Ich kannte den auch gar nicht.
Beim EM-Finale 1976 gegen die CSSR standen Sie mit auf dem Platz.

Warum haben Sie Uli Hoeneß nicht den Ball beim Elf­me­ter­schießen weg­ge­nommen? Sie waren doch ein sicherer Schütze.
Ich behaup­tete, ich hätte Waden­krämpfe. Auf gut Deutsch: Ich habe gekniffen. Nachher habe ich mir in den Hin­tern gebissen. Höher als Hoeneß hätte ich auch nicht drü­ber­schießen können. Aber ich habe mich nie vor­ge­drängt. Beim MSV habe ich jah­re­lang Elf­meter geschossen, bis auf zwei waren alle drin. Einmal gegen Köln, ent­schei­dendes Spiel, kurz vor Schluss null­null, der Schieds­richter pfeift Elfer. Alle haben weg­ge­guckt. Ich hatte Füße wie Blei! Im Tor Toni Schu­ma­cher, der Wahn­sin­nige. Ich wusste, der will einen immer angu­cken. Ich also die Augen nur auf den Boden. Ich weiß nicht mehr, ob ich ange­laufen oder ange­gangen bin. Blick nur auf den Boden, und ich treffe den Ball gar nicht richtig. Aber der Toni steht auf dem fal­schen Fuß und der Ball kul­lert an ihm vorbei. 1:0 gewonnen.

Wie kamen Sie eigent­lich aus Bockum-Hövel in West­falen zum MSV?
Ich war Lan­des­li­ga­spieler, habe aber nie in der Aus­wahl gespielt, nicht mal Kreis­aus­wahl. Immer zu klein und zu langsam, so einen wie mich konnte keiner brau­chen. Plötz­lich schoss ich 1969 in zehn Spielen 19 Tore. Dann Pro­be­trai­ning beim 1. FC Köln. Ich komme in die Kabine, und da sitzen Ove­rath, Weber, Simmet. Experten, die ich nur aus dem Fern­sehen kannte. Die Kölner wollten mich nehmen – und gleich nach Lünen in die Regio­nal­liga aus­leihen. Das war mir zu komisch. Dann kam der Anruf vom MSV. Wieder Pro­be­trai­ning, wieder Urlaub nehmen, zwei Schichten fahren und vor­ar­beiten, jemanden finden, der mich hin­fährt. Ich war 22 und hatte weder Auto noch Füh­rer­schein.

Es hat sich gelohnt: Der MSV Duis­burg nahm Sie unter Ver­trag.
Mein erstes Spiel machte ich am 3. Spieltag als Links­außen in Bremen. Mein Gegen­spieler: Horst-Dieter Höttges. Das weiß ja heute keiner mehr, was das bedeutet! Nach 20 Minuten hat der mich so umge­hauen, dass ich geblutet habe. Später kommt eine Flanke von rechts, und der Ber­nard Dietz haut das Ding in den Giebel. 1:0. Erstes Spiel, erstes Tor. Gewonnen haben wir 2:0. Zum nächsten Heim­spiel kamen aus Bockum-Hövel ein paar hun­dert Leute nach Duis­burg, Ennatz, Ennatz“, brüllte der halbe Steh­platz­block. Und so kam ich auf 30 Spiele als Links­außen.

Wie wurden Sie Ver­tei­diger?
Vor meiner dritten Saison haben wir ein paar Test­spiele in Eng­land gemacht. Rudi Fass­nacht kam als Trainer und stellte mich als linker Ver­tei­diger auf. Der wusste, der Ber­nard fliegt in alles rein, der hat vor nichts Angst. Die Eng­länder mit ihrem Kick and Rush preschten mir ent­gegen, aber ich habe alles weg­ge­hauen. Von da an war ich Abwehr­spieler.

Kein Spieler in der Bun­des­liga hat so oft ver­loren wie Sie: 495 Spiele, davon 221 Nie­der­lagen!
Ich kenne die Zahl. Erst habe ich gedacht: Das kann nicht sein. Aber in zwölf Jahren MSV haben wir viel­leicht neun Mal gegen den Abstieg gespielt. Ich war jede Saison über 30 Spiele dabei. Da ver­lierst du eben oft. Und in den drei Bun­des­li­ga­jahren auf Schalke kamen auch noch Nie­der­lagen dazu. Ich sag immer: Wer im Leben nicht ver­liert, der weiß nicht, wie schön Gewinnen ist.

Und es gab schließ­lich auch Erfolge.
Klar, vor allem die Heim­spiele gegen die großen Bayern in den Sieb­zi­gern. Ich habe mal gesagt, wenn wir nur zu Hause gegen die Bayern spielen würden, wäre der MSV Deut­scher Meister. Es gab Sieg auf Sieg: 1971 am letzten Spieltag 2:0, tau­sende Zuschauer auf der Lauf­bahn. Nach dem zweiten Tor hat sich Sepp Maier ver­letzt raus­tragen lassen, weil ihn angeb­lich Zuschauer ange­rem­pelt hätten. Es half nichts. Glad­bach wurde durch unser 2:0 Meister. Gegen Mün­chen habe ich die meisten Tore gemacht, auch später auf Schalke noch. Mein abso­luter Lieb­lings­gegner. In Duis­burg habe ich 1977 einmal vier Stück beim 6:3 gemacht. Als Ver­tei­diger! Das hat es nie mehr gegeben.

Als Trainer haben Sie später, wie soll man sagen, ver­sagt?!
In Bochum war ich sieben Jahre Jugend- und Ama­teur­trainer, das war sen­sa­tio­nell. 14 meiner Spieler wurden später Profis, einige sogar Natio­nal­spieler: Leute wie Yil­diray Bas­türk, Paul Freier, Frank Fah­ren­horst, Delron Buckley. Die hatte ich, seit sie 16 waren. Denen habe ich gesagt: Andere sagen dir, wie toll du bist und was du kannst. Ich sage dir, was du alles noch nicht kannst. Dann sollte ich nicht mehr Talente aus­bilden, son­dern 1999 die Profis in der 2. Liga betreuen. Ich bin drauf ein­ge­gangen und wollte den Job nur sieben Spiele bis zur Win­ter­pause machen. Wir haben fast alles gewonnen, die VfL-Fans haben gesungen Wir wollen keinen andern …“. Aber nee, ich bin wieder zu meinen Ama­teuren, die brauchten mich. Andert­halb Jahre später wieder das Gleiche. Ich habe es also noch mal bei den Profis ver­sucht. Erst wurde der Sohn von Klaus Topp­möller ver­pflichtet. Da wusste ich nix von. Dann kam Dariusz Wosz zurück aus Berlin. Ich fragte nur, warum? Da sagte der Prä­si­dent Werner Alte­goer: Musste sein. Der Alte­goer war immer da. Als ich in die Kabine kam, saß er schon da. Ständig hielt er Reden. Da wirste madig. Einmal nach dem Abschluss­trai­ning kam er zu mir: Der Wosz muss Kapitän werden, der Schröder aus der Mann­schaft …“ Da habe ich gesagt, kein Pro­blem, und bin auf­ge­standen. Sagt der: Was machen Sie jetzt?“ Sage ich: Ich gehe nach Hause. Wenn Sie das alleine machen können, brau­chen Sie mich ja nicht und können das Gehalt sparen. Abfin­dung können Sie auch behalten. Wenn ich nicht arbeite, will ich kein Geld.“ Ich habe immer gesagt, wenn ein Spieler sich irgendwo oben aus­weint und Gehör kriegt, ist es vorbei. Dann bist du als Trainer angreifbar. Und wenn du mit Herz dabei bist, gehste kaputt.

2006 haben Sie es noch mal als Coach bei Rot-Weiß Ahlen pro­biert.
Das war ähn­lich, da wollten auch alle mit­reden. Wenn Spieler sich woan­ders aus­weinen können, erreichst du sie nicht mehr. Dann geht es nur hinten herum. Nicht mein Ding. Danach war Schluss mit Trainer Dietz.

Können sich Spieler heute alles erlauben? Was denken Sie, wenn ein Spieler wie Demba Ba in Streik tritt?
Unglaub­lich, die kommen ein­fach nicht zum Trai­ning. Die tanzen allen auf der Nase rum. Da gehe ich kaputt dran. Aber: Die Spieler heute werden auch ent­mün­digt, die haben selbst keinen Ein­fluss mehr, man nimmt denen alles ab. Heute kommen schon 17-Jäh­rige mit Bera­tern. Ich hatte nie einen Berater. Das ist heute nicht mehr meine Welt.

Wie wäre denn der Profi Ber­nard Dietz heute? Ein Pop­star mit eigener Home­page?
Ich habe noch nicht mal Internet, keine Mail. Brauch’ ich alles nicht.

Sie haben nie gezockt und auf Gehalts­er­hö­hungen gedrängt?
Man hat über Vor­stel­lungen geredet. Dann kamen in den Ver­trag: Lauf­zeit, Gehalt, Prä­mien, fertig. Nix Auto, Woh­nung oder solche Extras. Mein erstes Gehalt waren 1200 Mark. Weil der MSV ja nie Geld hatte, bekam ich immer die Hälfte der Abstel­lungs­ge­bühr für die Natio­nal­mann­schaft vom DFB. Ich habe mein eigenes Geld ein­ge­spielt. Wenn ich es drauf ange­legt hätte, ich hätte Mil­lionen ver­dienen können. Aber ich hatte immer ein Dach überm Kopf, wir sind glück­lich. Gut, ich hätte mehr Geld auf die Kinder ver­teilen können. Aber dann hätten die viel­leicht zu viel, ohne was dafür tun zu müssen.

Wollten Sie vor dem Abstieg 1982 nie weg aus Duis­burg?
Es gab Ange­bote. 1975 war mit Ein­tracht Frank­furt fast alles klar, es stand schon in der Zei­tung. Da komm ich nach einem Spiel zu meinem Auto. Steht da ein Ehe­paar: Ennatz, Sie dürfen uns nicht ver­lassen!“ Die haben gefleht und geweint. Also bin ich geblieben, wegen dieser Begeg­nung. 1980 bekam ich einen Anruf von Hennes Weis­weiler, damals Trainer bei Cosmos New York. Da spielten Becken­bauer, Pelé – aber nee, ich bin bei meiner Mann­schaft geblieben.

Und heute?
Bin ich Vor­stands­be­rater und Reprä­sen­tant beim MSV, der Ober­förster für Tra­di­ti­ons­pflege, auch in den Fan­klubs. Und ich helfe meinem Sohn bei der Fuß­ball­schule.

Da wollen Sie den Stra­ßen­fuß­ball wieder in den Verein holen“. Was heißt das?
Wir wollen keine Leis­tung, keine Talente sichten, son­dern Kin­dern Freude machen, auch wenn sie noch nie vor den Ball getreten haben. Das ist eine Art Vor­schule für einen Verein. Stra­ßen­fuß­ball auf einem nor­malen Platz. Den meisten Kin­dern sagt der Name Ber­nard Dietz nichts, aber einmal kam so ein ganz Kleiner und sagte: Mein Schuh ist auf.“ Ich bück mich runter mit meinen kaputten Knien und sage: Kannste das noch nicht?“ Sagt der: Doch, aber du machst mir so ne schöne Bun­des­li­ga­schleife.“