Vor dem großen Rheinderby sorgen die Fans für Aufregung. Gladbachs Anhänger boykottieren das Spiel, auch in Köln gibt es Diskussionen. Ein Lagebericht.
Lucien Favre stutzt kurz, als er den Trainingsplatz betritt. Neben seinen 20 Spielern, die an diesem Donnerstagnachmittag auf dem Trainingsplatz herumlaufen, haben sich knapp 500 Fans rund um den Trainingsplatz am Borussia Park versammelt. Sie begrüßen den Trainer mit Applaus, und Favre guckt zunächst etwas überrascht in die Runde, dann klatscht auch er.
Im weiteren Verlauf dieses Nachmittagstrainings zeigen Teile der aktiven Fanszene eine kleine Choreografie, mit der sie ihren größten Wunsch zum Ausdruck bringen: „Auf zum Derbysieg!“ Ansonsten verfolgen die Anhänger ruhig das Training. Ab und zu jubeln sie den vorbeilaufenden Spielern zu oder stimmen „Auswärtssieg“- und „Borussia“-Schlachtrufe an.
Obwohl Trainingsbesuche der Fanszenen sonst häufig eine Art Ultimatum darstellen, wirkt diese Szenerie anders – wie eine Art demonstrativer Schulterschluss. Dabei würde die miserable sportliche Situation in Gladbach sicher auch eine andere Interpretation zulassen.
Ticketanzahl für Gladbachfans auf 3500 reduziert
Die Anhänger sind aber aus einem anderen Grund zum Training gekommen. Sie wollen der Mannschaft zeigen, dass sie vor dem Derby gegen den Erzrivalen aus Köln voll hinter ihr stehen – auch wenn das Team am Samstag im Stadion weitgehend alleine klarkommen muss. Denn ausgerechnet in diesem so wichtigen Spiel wird ein Großteil der aktiven Fanszene das Spiel boykottieren.
Die Gladbacher Fans reagieren damit auf Maßnahmen des DFB, der sowohl die Borussia als auch den 1. FC Köln zur Ausarbeitung eines strengen Sicherheitskonzeptes verdonnerte. Der Grund ist der Platzsturm einiger Kölner Anhänger beim vergangenen Duell Mitte Februar. Damals waren Mitglieder der Kölner Ultra-Szene nach dem Spiel auf den Rasen gelaufen. Der Vorfall gilt mittlerweile als aufgearbeitet. Nachdem der 1. FC Köln die maßgeblich beteiligten „Boyz Köln“ zunächst kollektiv als Gruppe verbot, sind die Ultras mittlerweile wieder im Dialog mit dem Verein.
Vom DFB wurden die Kölner für den Platzsturm ihrer Fans allerdings hart bestraft. Für das kommende Spiel in Gladbach ist nur die Hälfte der Fans zugelassen. Zudem bekamen Kölner und Gladbacher zusätzlich die Auflage, für die nächsten Begegnungen ein wasserdichtes Sicherheitskonzept vorzulegen. Das für das nun anstehende Derby ausgearbeitete Konzept sieht jetzt vor, dass die Derbytickets personalisiert und die Fans noch strikter getrennt werden. Weil diese Trennung in Köln aber nicht im von der DFL vorgesehenen Gästebereich (zehn Prozent des Kartenkontingentes) gewährleistet werden kann, entschieden der 1. FC Köln und die Polizei, die Ticketanzahl zu reduzieren. Von zehn auf sieben Prozent, von knapp 5000 auf 3500 Karten.
„Selbst dieses Spiel ist nicht größer als unsere Fankultur“
Die Gladbacher Fans wollen das nicht einfach so hinnehmen. „Hier wird eine unschuldige Fanszene für die Fehler anderer bestraft“, sagt Sebastian Nellis, einer der Sprecher der Boykott-Gruppe. Die Anhänger wollen ein Zeichen setzen und für die Fankultur auf die Straße gehen. Nellis stellt klar: „Für uns ist das Derby das wichtigste Spiel im Jahr, noch vor den Champions-League-Partien. Aber selbst dieses Spiel ist nicht größer als unsere Fankultur. Wir können die Reduzierung unseres Kontingentes und auch die Personalisierung der Karten nicht einfach so schlucken. Es kann nicht sein, dass wir uns künftig für Fußballspiele anmelden müssen.“
Über 300 Gladbach-Fanklubs haben den Boykott-Aufruf mittlerweile unterzeichnet – darunter Ultragruppen, aber auch ältere Semester, Kuttenträger, Familienfanklubs oder der Supporters Club. Selbst der Verein hat mittlerweile verstanden, wie ernst es den Fans ist. Geschäftsführer Stephan Schippers, der zunächst noch „absolut kein Verständnis für einen Boykott“ äußerte, sagt nun: „Wir akzeptieren dieses Votum unserer aktiven Fanszene und unterstützen sie dabei. Auch wenn wir uns natürlich den vollen Support in Köln wünschen würden.“
Genugtuung bei der Boykott-Gruppe
Der Verein hat bereits 1800 Karten in die Domstadt zurückgeschickt. Viele andere Tickets sind zwar verkauft, werden von den Fans aber nicht in Anspruch genommen. Es ist schwer abzuschätzen, wie viele Gladbach-Fans letztlich ins Stadion kommen. Aus Vereinskreisen heißt es, man rechne mit 1000 bis 1200 Borussia-Fans in Köln. Eine Zahl, die bei der Boykott-Gruppe durchaus Genugtuung auslöst. „Natürlich freuen wir uns, wenn am Samstag keine Derby-Atmosphäre aufkommt. Vielleicht wachen die Verbände dann mal auf. Hundert Prozent Fußball-Atmosphäre gibt es nur mit dem vollen Gästefankontingent“, so Boykott-Sprecher Nellis.
Die daheimgebliebenen Fans wollen am Derby-Tag eine Alternativ-Veranstaltung in Mönchengladbach abhalten. Das „Heimspiel gegen Köln“, so der Titel, beginnt am Vormittag im Fanhaus in Stadionnähe – wie an normalen Heimspieltagen. Zwei Stunden später startet ein Demonstrationszug in Richtung Gladbacher Altstadt. Nach einer Abschlusskundgebung wollen sie das Spiel dort in mehreren Kneipen gemeinsam verfolgen. Die Veranstalter rechnen mit 2000 Fans. „Das ist ein klares Zeichen, dass wir aktiven Fans nicht alles mit uns machen lassen“, so Nellis.
Ein Zeichen, das sogar im rivalisierenden Fan-Lager Unterstützung erfährt. Der Südkurve e.V., ein Zusammenschluss von mehreren Kölner Fanklubs aus der aktiven Fanszene, erklärte vergangene Woche überraschend, am Samstag keine Stimmung organisieren zu wollen, keine Choreo zu zeigen und auch auf den optischen Support zu verzichten. Unter dem Titel „Fußball ohne Fans ist wie Köln ohne Dom“ veröffentlichte der Zusammenschluss eine Stellungnahme. Darin heißt es: „Es geht hier nicht um die Gladbacher, um Rivalitäten oder Geschehnisse aus der Vergangenheit, sondern darum Position zu beziehen: Für den Erhalt der Fankultur und gegen die Maßnahmen des DFB!“
Auch wenn sich der Südkurve e.V. nicht explizit mit den Gladbachern solidarisieren will, ist es doch bemerkenswerte Sache, dass eigentlich grundlegend rivalisierende Fans so eindeutig für das gleiche fanpolitische Thema einstehen. Das gemeinsame Feindbild ist klar. „Wir können nicht akzeptieren, dass Punkte wie die „Begrenzung des Kartenkontingents“ und eine „Kartenpersonalisierung“, des noch vor einigen Jahren intensiv diskutierten „Sicherheitspapiers“ der DFL, zur gängigen Praxis werden. Dies kann und darf niemals die Lösung von etwaigen Problemen sein“, konkretisiert der Südkurve e.V am Donnerstag noch einmal.
Stellen die Fans die eigenen Interessen über die des Vereins?
Allerdings gibt es in Köln nicht nur Zustimmung für den Boykott. Die Protestler erhalten auch Gegenwind, beispielsweise aus dem Verein. So äußert Kölns Manager Jörg Schmadtke mehrfach offen seinen Unmut, wetterte unter anderem: „Die Fans lassen die Mannschaft im Stich!“ Im Verein herrscht Unmut über einen angeblichen Alleingang der Fans. Schmadtke: „Sie sprechen immer von Dialog. Das ist aber keine Einbahnstraße. Man hätte ja mal proaktiv über diese Aktion informieren können. Stattdessen stellen sie den Verein vor vollendete Tatsachen. Das sollte uns eine Lehre sein.“
Hinter vorgehaltener Hand werfen Verantwortliche den Fans Egoismus vor. Man stelle die eigenen Interessen über die des Vereins. Der Südkurve e.V. widerspricht vehement: „Der Verein wurde zwei Tage vor der Veröffentlichung unseres Statements über unsere Maßnahmen in Kenntnis gesetzt.“
Dass die Situation durchaus verfahren ist, zeigt auch eine Stellungnahme des Kölner Fanprojektes. Darin rufen wiederum andere Fanvertreter dazu auf, die Mannschaft mit „allen Mitteln eines kreativen, lautstarken und friedlichen Supports zu unterstützen“. Zwar sei man auch klar gegen die Reduzierung von Kartenkontingenten für Auswärtsfans, halte aber „den Zeitpunkt der Protestaktion für nicht zielführend.“ 68 Fanklubs haben diese Stellungnahme bereits unterzeichnet.
Und so darf man gespannt sein, wie sich diese komplexe Gesamtsituation am Samstag niederschlagen wird. Fest steht: Dieses Derby wird wohl anders. Vermutlich wird im Müngersdorfer Stadion eine andere Stimmung herrschen, vermutlich wird ein halbleerer Gästeblock nicht die von den Fans so geliebte Derby-Atmosphäre bewirken.
„Ich bin der Überzeugung, dass das Signal verstanden wird“
Die Frage ist aber, ob dieses Zeichen auch ankommt – oder ob es bei den Verbänden, Politikern und Sicherheitsbehörden als Aufstand einer kleinen Gruppe abgetan wird. Mönchengladbachs Geschäftsführer Stephan Schippers meint: „Ich bin der festen Überzeugung, dass das Signal verstanden wird.“ Schippers, immerhin Mitglied des DFL-Aufsichtsrates, mahnt aber auch an: „Wir alle wollen auch in Zukunft sportlich brisante, aber faire Derbys haben und dies in einem stimmungsvollen Rahmen mit zehn Prozent Gästefans. Dafür brauchen wir die Fans, die sich durch ihr Verhalten nicht den Ast absägen dürfen, auf dem sie sitzen. Ich werbe immer dafür, dass wir es nicht soweit kommen lassen dürfen, dass die Politik solche Dinge reguliert.“
Und vermutlich wird es genau darauf ankommen, wollen die Fans mit ihrem Protest wirklich Erfolg haben und von Politikern, Verbänden und Sicherheitsbehörden ernst genommen werden: Ihr Kampf für die Fankultur wird auch nach dem Derby weitergehen – trotz aller Rivalität meinungsstark und gemeinsam.