Paul Kalkbrenner ist Technogigant, Weltstar und Fan des FC Bayern München. Ein Gespräch über die Arroganz von Zlatan Ibrahimovic, die Hacke von Rabah Madjer und den Kater nach dem verlorenen Finale dahoam.
Paul Kalkbrenner, es gibt Ereignisse, bei denen jeder weiß, wo er war: der 11. September, der Mauerfall, der Tod von Lady Di. Sie sind Fan des FC Bayern München. Deswegen müssen wir über den 19.Mai 2012 reden.
Och nö. Müssen wir? Das schaffe ich nicht. Können wir nicht was Schönes machen?
Ist es so schlimm?
Klar ist es schlimm. Aber andererseits sind wir nach Barcelona 1999 mit Niederlagen dieser Kategorie durchaus vertraut. Und sehen wir es mal so: Je trauriger man wegen so einem Spiel es, umso besser sollte es einem eigentlich gehen, weil man keine anderen Sorgen hat.
Klingt ein bisschen nach Verdrängung. Die Psychologie rät aber, dass man sich seinen Ängsten stellen soll. Das nennt man Konfrontationstherapie.
Ach, was heißt Ängste. Wir haben das Spiel verloren. Das tat weh, aber der Kater, den ich am nächsten Morgen hatte, der tat noch viel mehr weh. Wenn wir über was Schlimmes reden wollen, müssen wir über 1987 sprechen. Rabah Madjer, Hacke, Tor. Das war schlimm.
Ist der Schmerz größer, wenn man jung ist?
Ich war zehn, lebte in Ostberlin und musste mir das Spiel heimlich bei einem Schulfreund im Westfernsehen angucken. Am nächsten Tag durfte ich in der Schule nicht einmal weinen, sondern musste so tun, als wüsste ich nicht, was passiert war. Das tat richtig weh. Aber das Schlimmste war, dass das Tor von Madjar so unendlich schön war. Da kann mir ein Kopfball von Drogba, ein verschossener Robben-Elfmeter doch nichts mehr anhaben.
Ach, kommen Sie, Sie sind knallharter Bayern-Fan und dann ist das Trauma vom „Finale dahoam“ nur halb so schlimm.
Ja gut, vielleicht ist es auch eine gewisse altersmilde, die mittlerweile einsetzt. Aber ich sehe es einfach positiv. Ich war bei diesem epischen Moment live dabei. Und außerdem hat dieses Spiel den anderen Fans gezeigt, dass Bayern-Fans auch durchaus leidensfähig sein müssen. Ich habe eine Art mitfühlende Sympathie erlebt. Das ist durchaus selten.
Dennoch leiden Bayern-Fans nach wie vor auf hohem Niveau.
Klar, das ist der FC Bayern. Unter Spitzenniveau machen wir es nicht. Abstiege, erneute Abstiege, Finanznot, diese Graue-Maushaftigkeit – dieses Gefühl werden wir wohl nie bekommen.
Bayern München hat ein spezielles Schicksal: Man hasst den Klub oder man liebt ihn. Dazwischen gibt es nichts.
Das liegt mir sehr nah, denn ich mag es auch liebsten, wenn ich irgendwo spiele, wo mich vielleicht 10.000 Leute zum Kotzen finden und 10.000 Leute denken, ich sei der Schärfste. Das ist doch besser, als wenn 20.000 Leute denken: Der Kalkbrenner, der ist ganz okay.
Sie sind der Oliver Kahn der Musikszene!
Naja, ich habe ja keine Wettbewerbssituation wie ein Fußballer. Vielleicht wäre das mal ganz reizvoll, wenn plötzlich einer auftauchen würde und mir meinen Job streitig machen will. Aber bei mir haben die Leute bezahlt, um meine Musik live zu erleben. Da wird keiner auf die Idee kommen, Bananen auf mich zu werfen.
Zudem können Sie nervige Field-Interviews nach dem Abpfiff umgehen.
Man stelle sich mal vor, ich komme gerade die Treppe runter und Rollo Fuhrmann hält mir sein Mikro unter die Nase. Da würde sicher nicht viel bei rauskommen.
Haben Sie in den letzten zwei Jahren auch mal neidisch auf Borussia Dortmund geschaut?
Warum? Die haben eine tolle Mannschaft, sind zu Recht Meister geworden. Aber in dieser Saison ist der Spuk vorbei.
Die neuen Bayern dominieren wieder die Liga.
Wenn ich diese Mannschaft sehe, entweicht mir vor Freude ein Tröpfchen in die Hose. Wir haben 20 Punkte Vorsprung und sind so gut wie sicher Meister. Ich hab das erste Mal das Gefühl, dass Bayern wirklich auf allen Positionen doppelt gut besetzt ist. Ich glaube, mit dem Team kann der ganz große Schuss gelingen.
Das Festgeldkonto macht es möglich.
Nicht nur das. Ich glaube, die Mannschaft ist durch das Trauma von 2012 noch stärker geworden. Vielleicht hat es genau diese Niederlage gebraucht, damit man nicht irgendwie durch Glück ins Finale rutscht, sondern als Großmacht heranwächst.
Fehlt nicht der große Star, auf den sich alle fokussieren können.
Wollen wir jetzt über Effenberg reden?
Nein, aber über Typen wie Didier Drogba oder Lionel Messi.
Davon gibt es eben nur ein paar auf der Welt und die kann man sich nicht schnitzen. Zlatan Ibrahimovic ist auch so einer. Der ist so bekloppt, dass der sich alles erlaubt. Dieser Wahnsinn macht ihn einmalig.
Sein Fallrückzieher gegen England ist wohl das Tor des Jahrzehnts.
Einfach unglaublich. Deswegen bin ich der Meinung: So einer muss auch den Affen machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sein kleiner Größenwahn, den er im Spiel und wahrscheinlich auch zuhause vor dem Spiegel zeigt, in seine Leistung mit reinspielt. Der macht sich selbst so einen Druck durch sein Auftreten, dass er genau weiß, dass er dann auch abliefern muss.
Dieser Funken Wahnsinn lässt ihn die unmöglichsten Sachen probieren.
Genau! Der zweifelt nicht eine Sekunde daran, dass ein Fallrückzieher aus 30 Metern ins Tor gehen könnte. Und dann geht der auch rein. Wenn so etwas zwei Mal daneben geht, dann ist man nicht Weltklasse, sondern Marko Arnautovic.
Manchmal hat man das Gefühl der jüngeren Spielergeneration fehlen diese Eier.
Denen fehlt spielerisch nichts, aber eben die gewisse Attitüde. Ich kenne das von mir selbst. Ich trete oft überheblich auf, weil ich mir damit selbst Druck mache. Und dann weiß ich: Und jetzt muss was kommen, sonst machst du dich lächerlich. Dieser Selbstdruck führt im besten Falle dazu, dass das auch stimmt, was man so erzählt.
Taugt Zlatan Ibrahimovic zum Vorbild?
Unbedingt. Sein Ego ist beneidenswert. Wer so über den Dingen steht, verringert die Möglichkeit, tragisch zu enden.
Hatten Sie ebenfalls fußballerische Vorbilder?
Il grande Lothar! Wegen ihm habe ich jahrelang Inter Mailand die Daumen gedrückt. Und natürlich Zico, der weiße Pelé. Sein verschossener Elfmeter gegen Frankreich 1986 hat ihn in meiner Gunst steigen lassen.
Sie haben also einen Hang zu tragischen Figuren?
Das kann man heute sicher so konstruieren. Aber damals konnte ich mir das ja nicht aussuchen. Ich wusste ja nicht, was aus dem ein oder anderen Helden mal wird.
Zumindest vom Glanz eines Lothar Matthäus ist nicht mehr viel übrig.
Der tut mir einfach nur leid. Nehmen wir zum Beispiel diese Personalty Doku auf Vox. Da hat man doch von Anfang an gemerkt, dass sie ihn schon wieder verarscht haben. Aber es ist auch seine eigene Schuld. So etwas passiert, wenn man einfach an keinem Mikro vorbeigehen kann.
Würden Sie trotzdem feuchte Hände kriegen, wenn er nach einer Show von Ihnen im Backstage-Raum auftauchen würde?
Erstens glaube ich nicht daran, dass Lothar Matthäus etwas mit meiner Musik anfangen kann. Und dann glaube ich noch, dass mein eigener Werdegang mir die Ehrfurcht vor großen Stars genommen hat. Ein Beispiel: Ich habe neulich in Los Angeles gespielt, da kam auf einmal Dave Grohl von den Foo Fighters Backstage. Mein Manager wäre fast ohnmächtig geworden, aber wir haben uns einfach ganz normal unterhalten.
Die eigene Größe lässt andere kleiner erscheinen.
So ein Quatsch. Aber warum sollte Erfolg einen Menschen über den anderen stellen? Davon halte ich nichts. Entweder man versteht sich oder eben nicht. Da spielt es keine Rolle, ob jemand früher mit Kurt Cobain gekifft hat oder im 2. Semester Theologie studiert.
Das Finale dahoam hätte für jeden Bayern-Fan das größte aller Spiele werden können. Die Chance ist vertan. Haben Sie dennoch ein Spiel Ihres Lebens?
WM 1990, Achtelfinale, Deutschland-Holland.
Warum?
Mein Vater hat sich früher überhaupt nicht für Fußball interessiert, aber das Spiel haben wir zusammen geguckt. Mein Vater saß stoisch in seinem Sessel und hat die ganze Zeit kein Wort gesagt. Dann kam die 51. Minute, Flanke von außen, Klinsmann, 1:0 und bamm: Mein Vater schoss hoch und stürzte brüllend vor den Fernseher. Ich sprang hinterher. Ich glaube, ich habe ihn nie wieder so erfreut gesehen.
Das Spiel ließ noch mehr Raum für Emotionen.
Ja klar, Andi Brehmes Traumtor, die Spuckerei. Alles verrückt, aber an keinen Moment erinnere ich mich so sehr, wie an das 1:0. Vielleicht weil ich mir immer gewünscht hatte, so mit meinem Vater Fußball zu gucken. Dafür muss ich Klinsi danken.
Kann es bei der Vielzahl von Spielen, die heute live im TV laufen, solche emotionalen Momente heute noch geben?
Ich glaube, dass geht nur noch bei Vereinsmannschaften. Wenn wir im Mai in München gewonnen hätten, wäre ich ausgerastet. Und wenn wir in diesem Jahr nach London kommen und das Ding gewinnen, dreh ich ebenfalls durch. Aber vielleicht sollte man auch nicht übertreiben und maßlos werden. 2012 war zum Glück ein gerades Jahr, und man ist nicht in so ein Loch gefallen. 1999 mussten wir zum Beispiel NBA-Finals zum Ausgleich gucken. Da kann man depressiv werden.
Paul Kalkbrenner, nach dem Horror-Fußballjahr 2012. Wie wichtig ist nach der sicheren Meisterschaft pdiese Champions-League-Saison, um als Bayern-Fan erneuten Depression zu entkommen?
Unglaublich wichtig. Nur ein Erfolg in diesem Jahr, kann die Wunden aus dem Mai 2012 sofort wieder verschließen. Sonst fängt es an zu eitern, und das ist ja immer eklig.