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Seite 3: „Mein Verhältnis zu Bernd und Manu ist absolut professionell“

Sie sind 27, Manuel Neuer 33. Wenn Neuer noch drei Jahre im Natio­naltor steht, könnte es pas­sieren, dass Ihnen am Ende ein jün­gerer Kol­lege zuvor­kommt, wenn es um die Nach­folger geht. Bei­spiels­weise: Alex­ander Nübel.
Dar­über mache ich mir nicht mal ansatz­weise Gedanken.

Äußern Sie Ihre Unzu­frie­den­heit im per­sön­li­chen Gespräch mit Jogi Löw und DFB-Tor­wart­trainer Andreas Köpke?
So wie ich bei Barça immer offen und ehr­lich gesagt habe, wie sich die Situa­tion dar­stellt und welche Ziele ich habe, so habe ich es auch bei der Natio­nalelf getan. Die wissen genau, wie ich denke. Nun kann es für mich nur noch darum gehen, Leis­tung zu zeigen.

Die Argu­mente, zumin­dest eine Chance im Natio­naltor zu bekommen, haben Sie. Gerade erst waren Sie zum Welt­tor­hüter nomi­niert und haben auch beim Cham­pions-League Spiel in Dort­mund eine her­aus­ragnde Leis­tung gezeigt.
Für einen Keeper ist es nicht ein­fach, ein gutes Jahr zu spielen und ständig Top­leis­tungen abzu­rufen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Sie kennen Manuel Neuer und Bernd Leno seit Jahren, doch nur einer kann die Nummer eins sein. Wie wirkt sich das im per­sön­li­chen Umgang aus? Trai­nieren Sie meist wortlos neben­ein­ander her?
Ach was, die per­sön­liche Ebene hat doch nichts mit der sport­li­chen Kon­kur­renz und dem Beruf zu tun. Und wir tun alle gut daran, das nicht zu ver­mi­schen. Mein Ver­hältnis zu Bernd und Manu ist absolut pro­fes­sio­nell und wir können uns ganz normal über alles Mög­liche unter­halten, unab­hängig davon, wie die Ambi­tionen des Ein­zelnen sind.

Tor­wart­ri­valen wie Oliver Kahn und Jens Leh­mann, Uli Stein und Toni Schu­ma­cher sind in den Fuß­ball­ge­schichts­bü­chern auf immer mit­ein­ander ver­bunden. Denken Sie dar­über nach, dass es Ihnen mit Manuel Neuer eines Tages auch so gehen könnte?
Über­haupt nicht. Ich lebe im Jetzt, ich will in der Gegen­wart etwas errei­chen. Natür­lich hat das mit­telbar auch mit Manu zu tun, aber das ist eine rein pro­fes­sio­nelle Frage.

Aber wenn Manuel Neuer nicht weicht, könnte es pas­sieren, dass Sie als Natio­nal­spieler eine Rand­figur bleiben.
Mein Ziel ist, maximal erfolg­reich zu sein. Dazu gehört auch die Natio­nalelf. Aber ich kann nur ver­su­chen, stets noch besser zu sein als ges­tern. Ich möchte für den FC Bar­ce­lona und sein Spiel eine Berei­che­rung sein. Die Ent­schei­dung bei der Natio­nalelf liegt nicht in meinen Händen. Ich kann nur zusehen, den Leuten, die dar­über befinden, wer im Tor steht, die Ent­schei­dung so schwer wie mög­lich zu machen.

Ich plane nur bis nächsten Samstag“

Wie lange muss ein Keeper Geduld haben? Sagen Sie sich ins­ge­heim, wenn’s bis zum 30. Geburtstag in der DFB-Elf nicht klappt, trete ich ab?
Ich plane nur bis nächsten Samstag, was ich errei­chen will. Denn da stehe ich wieder auf dem Platz.

Marc André ter Stegen, der FC Bar­ce­lona hat in den letzten drei Cham­pions-League-Sai­sons unglaub­liche Spiele erlebt. Im Ach­tel­fi­nale 2016/17 drehten Sie gegen Paris St. Ger­main ein 0:4 aus dem Hin­spiel durch ein 6:1, im Vier­tel­fi­nale 2017/18 schieden Sie spek­ta­kulär gegen den AS Rom (4:1/0:3) aus, zuletzt das Halb­fi­nale gegen den FC Liver­pool (3:0/0:4). Wie bli­cken Sie auf solche Spiele zurück: als his­to­ri­sche Ereig­nisse oder als Ärgernis, weil Sie so viele Treffer gefangen haben?
Natür­lich sagt mir mein Ver­stand, dass solche Duelle der Grund sind, warum Men­schen ins Sta­dion gehen. Aber ich ana­ly­siere auch die Details und da ist es bitter fest­zu­stellen, wie viele Tore gefallen sind, bei denen ich völlig machtlos war. Sowohl das Aus­scheiden in Rom, als auch in Liver­pool war extrem hart. Nicht nur für mich, fürs ganze Team.

Wie geht der FC Bar­ce­lona mit sol­chen Situa­tionen um?
Wir sind sehr mit uns ins Gericht gegangen. In Rom, in Liver­pool, aber auch 2017 im Vier­tel­fi­nale gegen Juve ist viel schief gelaufen, was nicht vor­her­sehbar war.

Was kon­kret?
Dinge, die nicht durch spie­le­ri­sche oder tak­ti­sche Fehler erklärbar sind, son­dern wo man tief in die Psy­cho­logie ein­tau­chen muss.

Sprich: Im Kopf hat’s nicht gestimmt.
Zumin­dest haben sich die Dinge so ent­wi­ckelt, dass sie schwer greifbar sind. Des­halb würde ich nie sagen, dass uns sowas nicht noch einmal pas­sieren kann.

Warum scheidet der große FC Bar­ce­lona in zwei auf­ein­an­der­fol­genden Jahren trotz kom­for­ta­bler Hin­spiel­siege so schmäh­lich aus?
So ist Fuß­ball. Wenn an der Anfield Road schnell auf­ein­an­der­fol­gend zwei Tore fallen, ändert sich alles. Dann können Sie das Hin­spiel ver­gessen. Und ich muss auch zugeben, dass der Gegner an diesem Tag in jeder Hin­sicht besser war.

Nerven behalten, wir kriegen das schon wieder in den Griff“

Nach dem 6:1‑Sieg gegen Paris St. Ger­main 2017 sagte Ihr Team­kol­lege Arda Turan: Du nennst es Wunder, wir nennen es normal.“ Wie nennen Sie es?
Auf keinen Fall normal. Nach der 0:4‑Niederlage im Hin­spiel waren wir am Boden. Aber vor dem Rück­spiel hat uns der Trainer eine Über­zeu­gung mit­ge­geben, wie ich es so noch nie erlebt habe. Es war unglaub­lich, mit was für einem Gefühl wir auf den Platz gegangen sind. Aber es hat natür­lich geholfen, dass wir schon nach drei Minuten in Füh­rung gingen.

Wel­chen Ein­fluss können Sie in dra­ma­ti­schen Spielen als Schluss­mann aus­üben? Wäh­rend der Partei gegen Paris St. Ger­main sollen Sie den Vor­der­leuten zuge­rufen haben: Wir sterben nie, wir sind Bar­ce­lona, wir werden gewinnen.“ In Ihrer Über­set­zung klingt das aber sehr mar­tia­lisch. Ich würde es eher mit Wir sind noch nicht tot“, im Sinne von Leute, es ist noch nicht vorbei“ über­setzen. Als Paris in der 62. Minute das Anschlusstor zum 1:3 machte, gingen bei uns die Köpfe runter. Aber ich wollte nicht auf­hören, an das Wunder zu glauben. An diesem Tag hatte ich die Über­zeu­gung und ich wollte keinen nega­tiven Gedanken zulassen. Und dann fiel unser viertes Tor…

Und was haben Sie gerufen, als Liver­pool im Früh­jahr in Anfield plötz­lich Mor­gen­luft wit­terte? Wir sind alle Men­schen, wenn die plötz­lich treffen, pas­siert was in den Köpfen. Meis­tens ver­suche ich als Tor­wart dann beru­hi­gend zu wirken. Sinn­gemäß: Nerven behalten, wir kriegen das schon wieder in den Griff.“

Wie müssen wir uns die Stim­mung nach dem Halb­final-Aus in Liver­pool in der Barça-Kabine vor­stellen?
In dem Moment waren alle nur fas­sungslos, weil es für uns schlichtweg keine Erklä­rung gab. Da fragt man sich: Wie soll ich meinen Eltern oder meiner Frau plau­sibel die Frage beant­worten, warum wir trotz eines 3:0‑Siegs im Hin­spiel nicht wei­ter­ge­kommen sind?

Fragen Ihre Eltern danach?
Zum Glück nicht, aber natür­lich kommen viele Fragen von Leuten aus dem Verein. Und da braucht man schon men­tale Stärke, um damit zurecht­zu­kommen.

Wer alles per­sön­lich nimmt, für den ist es in diesem Geschäft schwer“

Sind die Barça‑Superstars besser in der Ver­ar­bei­tung sol­cher Nie­der­lagen als durch­schnitt­liche Bun­des­li­ga­spieler?
Auf dem Niveau, auf dem sich der Klub bewegt, müssen alle Spieler in der Lage sein, Ent­täu­schungen schnell abzu­haken. Weil schon die nächste Her­aus­for­de­rung auf uns wartet und immer die höchsten Erwar­tungen an uns gestellt werden.

Als Sie 2014 nach Bar­ce­lona wech­selten, wurde Ihre Ablöse auf 80 Mil­lionen Euro fest­ge­schrieben. Damals hielten Sie die Klausel für sym­bo­lisch, weil Sie sich nicht vor­stellen konnten, dass die Option je gezogen würde. Inzwi­schen ver­langt der FC Bar­ce­lona 180 Mil­lionen für Sie.
Der Markt ist dau­ernd in Bewe­gung. In der Zwi­schen­zeit sind auch schon 80 Mil­lionen für Tor­hüter bezahlt worden, das war damals unvor­stellbar. Fuß­ball ist heute nicht mehr nur elf gegen elf, son­dern ein rie­siges Mar­ke­ting­in­stru­ment. Des­wegen haben sich auch die Summen ver­än­dert, die in den Ver­trägen stehen.

Laut Trans​fer​markt​.de hat das Team des FC Bar­ce­lona aktuell einen Markt­wert von 1,18 Mil­li­arden Euro. Ist das krank?
Ob das gut oder schlecht ist, sollen die beur­teilen, die das Geld in die Hand nehmen. Wir Profis tun nur unser Bestes, um im Verein einen Stel­len­wert zu erhalten. Und damit steigt der Wert des Kaders. Aber dass sich der Markt so ent­wi­ckelt, war sicher­lich nicht abzu­sehen.

Spre­chen Sie mit Ihren Team­kol­legen über derlei Ent­wick­lungen?
Nein, in Spa­nien werden schon lange hohe Summen im Fuß­ball bezahlt, in Deutsch­land ist Geld ein sen­si­bleres Thema. Hier werden die Ablö­se­klau­seln als Absi­che­rung für den Verein betrachtet. Aber natür­lich bin auch ich ver­wun­dert, wenn in Aus­nah­me­fällen wie beim Ney (Neymar, d.Red.), solche Summen tat­säch­lich bezahlt werden.

Vor zehn Jahren beging Robert Enke Selbst­mord, wohl auch, weil er dem Druck des Fuß­ball­busi­ness nicht gewachsen war. Wie emp­finden Sie als heu­tiger Profi die Situa­tion?
Diese Welt ist für den ein oder anderen sicher nicht leicht zu ver­kraften. Wer nicht in der Lage ist, Kritik abzu­fe­dern, wer alles per­sön­lich nimmt, für den ist es in diesem Geschäft schwer.

Was macht das Fuß­ball­ge­schäft so anstren­gend?
Dass die Kritik oft über den Sport hin­aus­geht.

Haben Sie nega­tive Erfah­rungen gemacht?
Sport­liche Kritik ist okay, aber wenn Men­schen, die mich gar nicht kennen, per­sön­lich über mich urteilen und Unwahr­heiten ver­breiten, trifft einen das schon hart. Ich erin­nere mich an einen Artikel nach einem Cham­pions-League-Spiel vor ein paar Jahren, da würde ich noch heute gern wissen, was sich der Schreiber dabei gedacht hat und mit ihm drüber reden.

Warum machen Sie es nicht?
Weil sich der Autor bei der Zei­tung leider nicht her­aus­finden ließ.

Letzte Frage: Wie stellen Sie sich eine voll­endete Pro­fi­kar­riere vor?
Eine voll­endete Lauf­bahn wäre es, wenn ich stets Spaß am Fuß­ball gehabt habe, Titel gesam­melt und im Ein­klang mit den Mit­spie­lern gelebt habe. Denn min­des­tens so wichtig wie eine Tro­phäe sind die Erin­ne­rungen an die Momente, die man mit dem Team erlebt hat.